Friendship

32.7K 1.1K 36
                                    

Als ich um sechs Uhr abends aus dem Haus trat, war die Sonne schon untergegangen. Es war richtig kalt geworden, selbst für Mitte November, aber immerhin hatte es aufgehört, zu regnen. Ich setzte meine Mütze auf und ging zur U-Bahnstation.

Ich freute mich schon sehr auf Devil. Ich war gespannt, was sie geplant hatte. Gleichzeitig hatte ich Angst, dass sie etwas machen wollte, was ich nicht bezahlen konnte. Ich hatte nichts von meinem gesparten Geld nehmen wollen, weil ich davon Winterklamotten für Tyler kaufen musste. Ihm passte fast nichts mehr, was er letztes Jahr getragen hatte.

Es wäre mir jedoch furchtbar peinlich, wenn ich Devil erklären müsste, warum ich kein Geld dabei hatte. Erst recht, weil ihre Eltern so reich waren, wie die von Kyle. Sie würde mich nicht verstehen können.

Sie könnte es nicht nachvollziehen, wenn ich ihr sagen würde, dass ich sparen musste. Sie hatte noch nie in ihrem Leben sparen müssen und würde es auch nie.

All das ging mir während der Fahrt durch den Kopf und als ich schließlich bei der Haltestelle ankam, bei der ich aussteigen musste, wäre ich fast sitzen geblieben. Aus irgendeinem Grund stand ich doch auf und stieg langsam die Treppen hoch.

Ich ging noch zwei Straßen weiter und eine Weile geradeaus und dann stand ich vor unserem Treffpunkt, dem Washington Monument Fountain. Das Wasser war von Oktober bis April abgestellt, aber bei Nacht wurde er von versteckten Strahlern angeleuchtet, was die Figuren seltsam bronzefarben erscheinen ließ.

Ich war einmal in der sechsten Klasse hier gewesen, wir hatten das Kunstmuseum besucht, eins der bekanntesten Museen von Philadelphia und ich hatte damals schon nicht verstanden, warum der Brunnen ‚Washington Monument' hieß, obwohl er doch in Philadelphia stand.

Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, schlangen sich von hinten zwei Arme um meinen Oberkörper und ich hörte Devil kichern.

„Du hast es geschafft!" Sie ließ mich los und ich drehte mich um, damit ich sie richtig umarmen konnte. Ihre Augen strahlten.

„Zum Glück ist hier gleich ein Parkplatz. Ich hätte echt keine Lust gehabt, jetzt noch lange nach einem zu suchen... Wo hast du geparkt?"

„Ich bin mit der U-Bahn gekommen...", wich ich der Frage aus. Neugierig sah ich sie an. Ich hatte keine Ahnung, was sie hier vorhatte. Das Museum hatte schon lange geschlossen.

„Achso, na dann, komm mal mit." Sie grinste mich geheimnisvoll an.

Ich folgte ihr über die Straße bis zum Beginn der Treppe, die zum Museum hochführte.

„Hast du mal Rocky gesehen?", fragte sie mich, „die Filme über den Boxer mit Sylvester Stallone?"

Ich überlegte kurz. Ich hatte die Filme mal mit Marc zusammen geschaut. Danach hatten wir immer im Wohnzimmer die Boxkämpfe nachgestellt. Wir waren noch viel jünger gewesen, vielleicht dreizehn Jahre oder so. Aber ich konnte mich noch daran erinnern, dass Rocky aus Philly kam und dass in jedem Film diese Stufen vorgekommen waren. Etwas wehmütig nickte ich.

„Lust auf einen kleinen Rocky-Trainingslauf?" Devil grinste, ihre Augen blitzten auf. Dann rief sie plötzlich: „Wer zuerst oben ist..." und lief los. Ich schrie auf und rannte ihr hinterher die Treppen hinauf.

„Na warte, das war ein Fehlstart!" rief ich ihr zu und lachte.

„Ja und, was willst du jetzt tun?", rief sie über ihre Schulter zurück.

„Du wirst disqualifiziert!"

„Dafür musst du mich erst mal kriegen!" Ich lachte nochmal. Es fühlte sich seltsam an, abends die Stufen hochzulaufen, aber doch irgendwie sehr schön, die kalte Nachtluft um sich und vor sich jemand, den man mochte. Die Luft zirkulierte in meinen Lungen, mein Herz pumpte und selbst als in meinen Oberschenkeln die Milchsäure zu brennen begann, fühlte ich mich leicht und unbeschwert.

Ich schaffte es tatsächlich nicht mehr, sie einzuholen. Obwohl es eigentlich nicht besonders viele Stufen waren, keuchte ich, als ich endlich oben ankam. Devil hingegen wirkte kein bisschen erschöpft. Stattdessen hüpfte sie um mich herum und sang dabei wie ein kleines Mädchen: „Gewonnen, gewonnen, ich habe gewonnen!" Sie war offensichtlich deutlich fitter als ich.

Nachdem ich mich wieder erholt hatte, standen wir nebeneinander auf der obersten Stufe und blickten über Philadelphia. Wir waren nicht gerade auf einem der höchsten Punkte, aber man hatte einen guten Blick auf die Innenstadt, die jetzt am Abend zu leuchten schien, so viele Lichter waren an. Von hier aus gesehen sah die Stadt schon fast schön aus.

„Das ist einer meiner Lieblingsplätze hier oben.", sagte Devil leise. „Hier komme ich immer hin, wenn ich nachdenken muss oder so etwas..." Ich schaute sie von der Seite an. Irgendwie sah sie traurig aus.

„Danke, dass du mir das zeigst", erwiderte ich, genauso leise wie sie, „es ist wirklich schön hier..."

Sie wandte sich mir zu und sah mir direkt in die Augen. Es war dunkel und in ihrer Iris spiegelten sich die Lichter der Stadt.

„Kann ich dich etwas fragen?" Zu jedem anderen Menschen und zu jedem anderen Zeitpunkt hätte ich ‚Nein' gesagt. Oder ‚vielleicht' und wenn ich die Antwort nicht preisgeben wollte, hätte ich gelogen. Aber in diesem Moment wirkte Devil so verletzlich und ich fühlte mich so froh wie schon lange nicht mehr, dass ich „Ja" sagte und es ernst meinte, bevor ich lange darüber nachdenken konnte.

„Neulich auf Kyles Party...", sie holte tief Luft, „also, als wir uns geküsst haben, das hat dir doch nichts bedeutet, oder?" Sie sah mich halb ängstlich und halb hoffnungsvoll an.

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Es war sehr unerwartet gewesen und in dem Moment war ich viel zu überrumpelt gewesen, um irgendetwas zu fühlen, ganz egal was. Ich hatte auch später über diesen Kuss nachgedacht und nicht genau gewusst, was er bedeutete. Ich mochte Devil, aber verliebt war ich nicht, glaubte ich jedenfalls, ich konnte mich nicht erinnern, jemals richtig verliebt gewesen zu sein. Ich wusste, dass ich mir Devil als Freundin wünschte und ich wusste auch, dass falls sie sich in mich verliebt hatte, sich diese Freundschaft sehr schwierig gestalten würde.

„Na ja, nicht so richtig", brachte ich schließlich heraus, nur um nachzuschieben, „aber ich mag dich sehr und ich würde wirklich furchtbar gerne mit dir befreundet sein..."

Devil atmete erleichtert auf und grinste mich an.

„Oh Mann, da habe ich ja nochmal Glück gehabt. Ich hatte schon befürchtet, du könntest das alles vielleicht falsch verstehen, weil wir uns ja geküsst haben und danach nicht darüber geredet haben... Weil eigentlich steh ich schon seit Ewigkeiten auf ein Mädchen aus dem Internat. Aber ich finde dich so nett und wollte das alles nicht verderben..."

Meine Erleichterung war schon fast greifbar. Wir hatten uns beide Sorgen wegen nichts gemacht. Kurz gluckste ich und im nächsten Moment lachten wir beide laut los.

„Aber mein Cousin scheint dich ganz gut zu finden", meinte sie schließlich grinsend.

„Was, Ryan?", fragte ich ungläubig.

„Na ja, ich habe noch nie gesehen, dass er sich so gut benommen hat wie in deiner Gegenwart. Du musst mir bei Gelegenheit einmal verraten, wie du das geschafft hast..."

„Glaub mir, ich habe absolut keine Ahnung..."


So das wars mal wieder. Ich hoffe, es gefällt euch. Kennt ihr die Rocky Filme? Und mögt ihr die? Bitte entschuldigt, wenn ich über Philly totalen Schwachsinn geschrieben habe, war leider noch nie da...

The dark inside meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt