Midnight dreams

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„Was zur Hölle machst du hier? Ich dachte, ihr kommt erst am Sonntag wieder?", fragte ich ungläubig, als ich mich wieder von ihm löste. Ryan zuckte mit den Schultern.

„Ich habe es da nicht mehr ausgehalten, meine Eltern haben sich gestritten, und da dachte ich mir, ich überrasche dich einfach", er zwinkerte mir zu. In diesem Moment heulte nicht allzu weit weg die Sirene eines Krankenwagens auf und mir wurde bewusst, wie gefährlich und dumm es von Ryan gewesen war, um diese Uhrzeit in mein Viertel zu kommen.

„Lass uns lieber schnell reingehen, es ist sowieso schon ein Wunder, dass du heil hier angekommen bist..." In meiner Stimme klang mein Unwohlsein mit. Ryan folgte mir widerspruchslos ins Haus. Oben angekommen ging ich mit ihm in unsere kleine Küche. Mir war die Schäbigkeit unserer kleinen Wohnung nur allzu bewusst und so hielt ich meinen Blick gesenkt, um nicht seinen entsetzten Gesichtsausdruck sehen zu müssen. Bevor ich mich setzten konnte, hielt er mich an der Schulter fest und drehte mich zu sich um. Er lächelte.

„Schön habt ihr es hier", meinte er und klang zu meinem Erstaunen ehrlich. Etwas beruhigt setzte ich mich auf die Küchenbank und Ryan rutschte schräg neben mich. Verlegen zog ich die Beine an.

„Wie waren deine Ferien so?", fragte ich und er lachte auf.

„Es war ganz schön eigentlich, abgesehen von dem Streit. Ich hatte viel Spaß mit Devil." Ich lächelte.

„Glaube ich, hat sie dir irgendetwas neues von Sylva erzählt?"

„Ja, du wirst es nicht glauben, die beiden sind jetzt tatsächlich zusammen. Devil hat sich jeden Abend davon geschlichen, um mit ihr zu telefonieren...", Ryan strahlte und auch ich freute mich für Devil. Dann wurde Ryans Gesicht wieder ernster.

„Noah, also ihrem Vater, meinem Onkel, will sie es weiterhin nicht erzählen. Sie meint, sie hat zu sehr Angst vor seiner Reaktion. Du glaubst nicht, was das für ein Akt war, ihre Beziehung den ganzen Urlaub geheim zu halten..." Ich schnaubte zustimmend. Dann fiel mir etwas ein und ich sprang auf.

„Willst du vielleicht etwas trinken?", versuchte ich mich als gute Gastgeberin.

„Was habt ihr denn so da?" Seine Frage ließ mir das Blut in die Wangen schießen.

„Na ja, wir hätten Wasser... und Tee" Hätte ich gewusst, dass er kommt, hätte ich... Nein, wies ich mich zurecht, ich hätte nichts kaufen können. Das bisschen Geld, das nicht für die Miete oder die nötigsten Lebensmittel gebraucht wurde, nahm Vater mir weiterhin regelmäßig weg.

„Tee, gerne", nahm Ryan mein Angebot an und ich machte für uns beide Wasser heiß.

„Du hast mir noch gar nichts von deinen Ferien erzählt...", meinte er nun. Ich schluckte.

„Da gibt es nicht besonders viel zu erzählen. Ich habe fast jeden Abend gearbeitet und ansonsten fast nur für die Schule gelernt..." Mein Leben war so furchtbar langweilig. Ryan machte ein erschrockenes Gesicht.

„Was hast du denn alles gelernt?" Ich dachte kurz nach und zählte dann auf.

„Die Kurzbiographie über John Green für Ms. Hobbs, die Übungsaufgaben von Mr. Pollakowski, den Stammbaum für Ms. Morgan und das Wirtschaftsbuch, das wir über die Ferien lesen sollten..." Beim letzten Punkt zuckte Ryan zusammen.

„Scheiße, dieses blöde Buch habe ich ja total vergessen..." Ich musste unwillkürlich lachen über seinen entgeisterten Gesichtsausdruck. Ryan kitzelte mich als Rache, dass ich ihn ausgelacht hatte und so sprangen wir kichernd und schreiend durch die Küche, bis das Ping des Wasserkochers uns unterbrach.

Außer Atem und so gut gelaunt, wie seit bestimmt zwei Wochen nicht mehr, nahm ich zwei Tassen aus dem Schrank und füllte sie mit heißem Wasser. Dann betrachtete ich unsere Teeauswahl und beschloss, dass Ryan jetzt einfach Rooibos Orange trinken musste.

Als ich die Teebeutel im heißen Wasser versenkte, spürte ich, wie sich plötzlich Ryan von hinten an mich schmiegte. Seine Hände glitten über meine Hüfte und schlossen sich um meinen Bauch, sein Kopf lehnte sich an meinen. Augenblicklich galoppierte mein Herz los.

In diesem Moment tobte ein einziger Sturm an Gedanken durch meinen Kopf. In den Ferien hatte ich immer wieder die Situation unseres Abschieds, unseres Kusses, durchgespielt. Ich wusste einfach nicht, warum Ryan danach so schnell die Flucht ergriffen hatte. Es hatte sich so gut angefühlt und ich spürte die ganzen Ferien hindurch, wie sehr ich ihn vermisste. Doch was bedeutete ich ihm? Er war nun einmal ein Badboy, ich konnte mir einfach zu gut vorstellen, dass ich nur eine harte Nuss war, die er knacken wollte, sprich dass er mich einfach nur ins Bett kriegen wollte. Ich hingegen wünschte mir so sehr, mehr für ihn zu sein. In meinem Herzen mischten sich Zweifel und Hoffnung innerhalb weniger Millisekunden miteinander.

„Ich habe dich vermisst...", flüsterte mir Ryan ins Ohr und die Hoffnung in meinem Herzen jubilierte.

„Ich habe dich auch vermisst..." Langsam entspannte ich mich in seinen Armen und lehnte den Kopf an seine linke Schulter.

Eine Weile standen wir still und genossen die Nähe des Anderen. Mein Herz beruhigte sich etwas, auch wenn Zweifel und Hoffnung weiterhin einen erbitterten Kampf fochten.

„Darf ich heute Nacht bei dir schlafen?", fragte Ryan schließlich und mir entwich eine Mischung zwischen einem Lachen und einem Schnauben.

„Dir wird wohl kaum etwas anderes übrig bleiben, es ist viel zu gefährlich, so spät abends noch unterwegs zu sein. Und ich will ganz sicher nicht die Verantwortung tragen, dass dir etwas passiert..." Ich spürte ihn lächeln. Hoffte er, in meinem Bett zu schlafen? Das konnte er sich aber mal ganz schnell aus dem Kopf schlagen.

Irgendwann lösten wir uns voneinander, aber wir saßen noch lange in der Küche und redeten miteinander. Er erzählte vom Skifahren, von den Hängen, die sie hinabgefahren waren (Ryan liebte anscheinend Tiefschnee) und von dem Blödsinn, den er und Devil alles angestellt hatten. Ryan hatte noch einen jüngeren Bruder, Mike, den er mit Devil regelmäßig zur Weißglut getrieben hatte.

Gegen zwölf Uhr beschlossen wir, langsam mal ins Bett zu gehen. Ich holte aus dem Zimmer meiner Mutter eine Decke und ein Kissen und legte sie auf das Sofa im Wohnzimmer. Ryan sah mich enttäuscht an.

„Kann ich nicht lieber bei dir im Bett schlafen?", fragte er. Ich lachte.

„Vergiss es, ich teile mir mein Zimmer mit Mary und Lily. Außerdem ist mein Bett viel zu klein für uns beide!" Ich zwinkerte ihm zu, um ihm zu zeigen, dass ich schon geahnt hatte, was er eigentlich wollte und ging ins Bad um Zähne zu putzen. Ryan folgte mir und ich gab ihm eine Zahnbürste. Einheitlich standen wir nebeneinander im Bad und mir wurde die Absurdität dieser Situation bewusst. Ryan war in meiner Wohnung und würde hier auch übernachten, ein Junge, von dem ich bis vor einigen Wochen überzeugt gewesen war, dass es sich um ein arrogantes Arschloch handelte. Und jetzt mochte ich ihn nicht nur, mein Herz sprang jedes Mal ins Allegro, wenn er mich berührte oder mir näher kam.

Als wir fertig waren mit Zähneputzen, ging Ryan zurück ins Wohnzimmer und ich folgte ihm, wieso weiß ich auch nicht mehr genau. Ungeniert begann Ryan sich auszuziehen. Ich wurde rot und doch konnte ich mich nicht dazu bringen, mich umzudrehen. Wie ein Spanner beobachtete ich ihn mit verschränkten Armen vom Türrahmen aus. Als Ryan schließlich oberkörperfrei dastand, hielt er inne. Süffisant hob er eine Augenbraue.

„Gefällt dir, was du siehst?" Ein Grinsen spielte um seinen Mund. Ich wurde noch röter, falls das überhaupt möglich war. Es gefiel mir tatsächlich, was ich sah. Ryan war schlank und gleichzeitig sehr muskulös. Seine gut geformte Brust ging über in ein ausgeprägtes Sixpack. Er sah aus wie ein junger Gott. Allerdings würde ich mir nicht die Blöße geben, das zuzugeben.

„Das hättest du wohl gerne..." Ich schenkte ihm ein letztes Lächeln. Dann drehte ich mich um und ging ins Bett.


So, weil ich Lust drauf hatte, kommt heute gleich das nächste Kapitel. Ich hoffe, es gefällt euch. Voten und Kommentieren nicht vergessen ;)


The dark inside meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt