Boy's no good

29.4K 1.1K 148
                                    

In dem Moment griff er ein. Er nahm eine Hand von meiner Jacke und schubste den anderen so kräftig weg, dass der zwei Schritte zurück machen musste.

Mein Hals war wieder frei. Ich schnappte nach Luft. Gierig atmete ich die frische, kalte Abendluft ein. Meine Lungen brannten. Mir tat alles weh.

„Hey, hast du sie noch alle?" Der aggressive Mann wandte sich an ihn. Er verzog keine Miene. Das Licht der Straßenlaternen glitzerte in seinen blauen Augen.

„Du hast sie fast umgebracht", stellte er sachlich fest und zog kritisch eine Augenbraue nach oben.

„Na und? Sie muss sowieso zum Schweigen gebracht werden!" Ich keuchte auf. Verdammt, ich hätte mich einfach umdrehen sollen und einen anderen Weg nehmen sollen. Warum zur Hölle war ich in dem Moment so neugierig gewesen?

„Es gibt auch andere Wege, um sie zum Schweigen zu bringen!" Es war schön zu hören, dass zumindest er gegen meinen Tod war. Der Mann mit dem Rucksack hatte sich inzwischen erholt und richtete sich auf. Erst jetzt konnte ich erkennen, wie jung er war. Er sah kaum viel älter aus als Tyler. Seine dunklen Augen blitzten misstrauisch unter den lockigen schwarzen Haaren hervor.

„Lionel hat recht. Es ist das Sicherste. Sie könnte zu den Bullen gehen, sie kennt alle unsere Gesichter..."

Seine Miene verdüsterte sich. Mit wachsender Furcht sah ich ihn an. Er war der einzige, der mich jetzt retten konnte. Es hing von ihm ab, ob ich lebte oder starb. Er schien zu überlegen. Dann musterte er mich ein letztes Mal.

„In Ordnung." Ich schrie entsetzt auf. Plötzlich hatte der Junge mit dem Rucksack ein Messer in der Hand. In seinem Gesicht war nur Entschlossenheit, doch in seinen Augen konnte ich auch noch etwas anderes erkennen. Vorsichtig, als würde er mich fürchten, machte er einen Schritt auf mich zu.

„Nein!", sagte er, „du bist noch zu jung. Ich werde es machen!" Er griff mit seiner freien Hand nach dem Messer und der Junge überließ es ihm, wobei er die Erleichterung, die sich auf seinem Gesicht breitmachte, zu verbergen versuchte. Ich hingegen konnte mich kaum bewegen vor Entsetzen. Anscheinend würde ich meine Mutter schneller wiedersehen als erwartet.

Er hob das Messer und setzte es mir an die Kehle. Ich konnte das kalte Metall an meiner Haut spüren und versuchte, mich so wenig wie möglich zu bewegen, flach zu atmen. Ich sah ihm in die Augen, hoffte, irgendetwas in ihnen zu entdecken, irgendeine Regung, doch sie starrten mich kalt und gefühllos an, kalt wie Eis. Sein Blick hielt mich gefangen, nagelte mich, wie seine Hand an die Ziegelwand.

Ohne die beiden anderen anzuschauen, sagte er: „Lionel, geh nach Hause oder wohin auch immer du willst. Ricky, bring den Rucksack zurück ins Lager und sag den anderen Bescheid, dass wir uns erst morgen mit ihnen treffen." Der Junge nickte und wandte sich ab, doch der aggressive Mann, Lionel, schien davon nicht begeistert zu sein.

„Woher soll ich wissen, dass du keine Spuren hinterlässt, die zu mir führen?" Streitlustig verschränkte er seine Arme.

Er wandte betont langsam den Kopf, seine Miene so finster wie die Nacht um uns herum.

„Lionel, lass mich nicht bereuen, dass ich immer so freundlich zu dir war..." In seinen Worten schwang eine unausgesprochene Drohung mit. Lionel schnaubte einmal böse, wandte sich dann aber doch ab und ging langsam weg.

Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Die kurze Gnadenfrist, die Lionel mir unbeabsichtigt verschafft hatte, war vorbei. Voller Furcht sah ich ihn an. Über seinem Gesicht schien ein Schatten zu liegen.

„Tu es nicht", bettelte ich mit zitternder Stimme, „bitte, Ryan..."

Seine eisblauen Augen streiften mich verächtlich. Um seinen Mund hatte er einen harten Zug.

„Ich hätte nicht erwartet, dass du so dumm bist..." Ich spürte, wie er mit dem Messer Druck auf meinen Hals ausübte. Das Messer musste furchtbar scharf sein. Ich spürte keinen Schmerz, nur das warme Blut, dass mir seitlich am Hals herunterrann. Seine blauen Augen waren so dunkel wie die tiefsten Tiefen des Marianengrabens.

In diesem Moment nahm er das Messer von meinem Hals, ließ mich los und trat einen Schritt zurück. Ein Laut entwich mir, halb ein Keuchen, halb ein Schluchzen. Der Schock ließ meine Knie weich werden und langsam ließ ich mich an der Wand zu Boden gleiten, bis ich saß. Ryan beugte sich zu mir runter und wischte das Messer an meiner Jeans ab. Es hinterließ eine rote Spur auf dem blauen Stoff. Wie betäubt starrte ich auf den roten länglichen, an der einen Seite verwischten Fleck.

„Es war klug von dir, meinen Namen nicht zu sagen, während sie dabei waren. Hätten sie gewusst, dass ich dich kenne, hätten sie mich niemals allein mit dir gelassen", seine Stimme war dunkler als sonst. Ich blickte auf. Er stand keinen Meter von mir und schaute die Straße hinunter. Sein Gesichtsausdruck war undefinierbar. Ich hatte keine Ahnung, was er in diesem Moment dachte.

„Du wirst nichts sagen, oder?" Er schien es nicht zu fragen, sondern eher als eine Aussage stehen zu lassen. Trotzdem antwortete ich ihm.

„Ist das dein Ernst? Warum sollte ich zur Polizei gehen? Ich habe nichts gesehen..." Sein linker Mundwinkel zuckte hoch. Ryan seufzte einmal tief und setzte sich dann neben mich. Im ersten Moment wollte ich von ihm weg rutschen, so viel Abstand zwischen ihn, der gerade noch mein Leben bedroht hatte, und mich bringen. Doch im nächsten Moment spürte ich die Wärme, die von seinem Körper ausging und auf einmal wusste ich, dass ich zumindest heute Abend keine Angst mehr vor ihm zu haben brauchte.

Vielleicht lag es an meinen überreizten Nerven, doch ich genoss seine Nähe und die Wärme die von ihm ausging. Eine Zeit lang sagte keiner von uns ein Wort. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, was bei mir bedeutete, dass ich hauptsächlich versuchte, die Situation zu verarbeiten. Es war seltsam, doch wir schienen beide die Ruhe zu genießen.

Dann fragte Ryan: „Du hast nicht wirklich geglaubt, dass ich dich umbringen würde, oder?"

Ich schnaubte einmal. Dann schaute ich ihn an und sah, dass er die Frage ernst meinte.

„Du hast schon sehr überzeugend gewirkt..." Er runzelte die Stirn. Meine Antwort schien ihn zu beunruhigen. Doch er erwiderte nichts.

Als sich mein Herz wieder beruhigt hatte, stand ich auf. Es wurde langsam wirklich Zeit, nach Hause zu gehen. Inzwischen musste es schon elf Uhr oder später sein. Auch Ryan stand auf. Kurz starrten wir einander an, als wüssten wir nicht mehr, wie man sich verabschiedete.

„Also dann, ciao", brachte ich schließlich raus. Er nickte.

„Ciao", sagte auch er. Im Nachhinein war es wirklich eine ausgesprochen absurde Situation.

Ich drehte mich um und hatte bereits einige Schritte gemacht, als seine Stimme mich dazu brachte, mich nochmal umzudrehen.

„Liz, soll ich dich nach Hause bringen?" Ich schüttelte irritiert den Kopf und grinste ihn schief an.

„Wer bist du und was hast du mit Ryan gemacht?", fragte ich spaßeshalber. Er lachte einmal auf und zuckte mit den Schultern.

„Gute Nacht, Ryan", sagte ich, drehte mich endgültig um und ging weg.

Ich hoffe, es gefällt euch. Was habt ihr gedacht, wen Liz im letzten Kapitel erkannt hat? Und wie findet ihr Lionel und Ricky?

Schönes Wochenende euch noch ;)

The dark inside meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt