Kapitel 2.

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 – Levin-

„Wer bist du?"

„Niemand... Ich bin niemand."

Immer und immer wieder spielte sich dieses Szenario in meinem Kopf ab. Jede Nacht schrie mein Unterbewusstsein nach ihm und jedes Mal schob ich diese Erinnerungen beiseite. Ob mein Leben nun ein anderes wäre, wenn ich Nicolai gesagt hätte, wer ich wirklich war? Wahrscheinlich nicht. Selbst wenn er sich an mich erinnern würde, so wäre ich dennoch in meiner Position, als Oberhaupt, tätig, während er darum kämpfte, ein Leben ohne Einschränkungen führen zu können.

Ich hatte mich entschieden. Auch wenn wir uns damals versprochen hatten, für immer zusammen zu bleiben, es war besser so, wie es nun war. Er würde nicht wegen mir in Gefahr gebracht werden. Ich verzichtete auf meine Gefühle für ihn, um seine Sicherheit gewähren zu können, denn das war alles was zählte. Nicolai war zu gut für mich. Das war er immer. Er hätte sich nie in mich verlieben dürfen. Diese Gedanken schwebten schon seit einer langen Zeit in meinem Kopf und nun hatte er eine zweite Chance bekommen. Er hatte die Chance bekommen, glücklich zu werden. Mit jemanden, der nicht ich war.

Es war besser so.

Tristan mochte mich zwar einen Feigling nennen, doch das war mir egal. Ich war bereit, alles für Nic auf mich zu nehmen und als ich das getan hatte, brauchte er mich nicht mehr. Es beruhigte mich, zu wissen, dass er die Chance auf ein richtiges Leben bekommen hatte. Ich würde nicht so weit gehen und sagen, dass das Schicksal seine Hände im Spiel hatte, doch egal was es auch war, es hatte wieder für Ordnung gesorgt.

Ich war so wie immer und lebte da, wo ich hingehörte. Im Untergrund der Gesellschaft. Schon bevor ich geboren wurde, war dies hier meine Bestimmung. Mein Platz. Mein Heim. Es war naiv von mir, zu denken, ich könnte mit jemanden, wie Nicolai glücklich werden.

„Was willst du?" fragte ich gereizt, ohne von meinem Schreibtisch aufzusehen.

„Oh, du hast mich bemerkt?" murmelte Sid überrascht und lugte mit dem Kopf ins Zimmer hinein.

„Wenn es nichts Wichtiges ist, dann verzieh dich." Knurrte ich und blickte finster zu ihm rüber, ehe ich meine Augen wieder auf die Akten vor mir heftete. Es war noch so viel zu erledigen und ich war so müde, wie lang nicht mehr. Ich war mental erschöpft und ausgelaugt. Das hier war meine Berufung und doch fühlte ich mich so fehl am Platz.

Ich hatte es die letzten Monate irgendwie geschafft, Nicolai aus meinem Kopf zu verbannen, doch nun schien er sich nach und nach einen Weg freizuschaufeln. Ich konnte nichts dagegen tun. Womöglich lag es daran, dass ich nicht nur zu ihm, sondern nun auch den Kontakt zu Tristan und den anderen abgebrochen hatte. Sie alle sollten nicht meinetwegen in Gefahr geraten. Meine Schwester hatte jetzt ein Kind, da durfte ich nichts riskieren.

„Du siehst erschöpft aus. Ich wollte mir gleich nen Kaffee machen. Willst du auch einen?" schlug Sid vor, doch ich schüttelte nur den Kopf. Er zuckte daraufhin mit den Schultern und wollte verschwinden, als ich ihn aufhielt.

„Scotch. Auf Eis." Murmelte ich und er nickte grinsend.
„Aye Aye, Sir."

Als er endlich verschwunden war, erlaubte ich es mir für einen kurzen Moment, durchzuschnaufen. Wobei es viel mehr einem Seufzen glich. Es war alles so einfach. Es war simple. Alles was ich tun musste, war meinen Job auszuüben. Für den Rest meines Lebens. Easy.

Für'n Dreck war das.

Doch ich hatte mich dafür entschieden. Ich lehnte mich in meinem Sessel zurück und öffnete den kleinen Tresor unter dem Schreibtisch. Die einen vermuteten eine große Summe Geld, andere ein Arsenal von Waffen, doch alles was man in dem Tresor vorfand, war eine kleine, schwarze Dose, dessen Inneres mit dunklen Satin bezogen war.

Ich hatte diese Dose bis jetzt kein einziges Mal geöffnet, zu sehr hatte mich die Erinnerung daran geplagt, unter welchen Umständen ich sie bekommen hatte. Es war das Erste, das Einzige und auch das Letzte Geschenk, welches mir jemals etwas bedeutet hatte. Vorsichtig öffnete ich sie und betrachtete das Schmuckstück, welches mir Nicolai zu Weihnachten geschenkt hatte. Sachte fuhren meine Fingerspitzen über das kühle Armband, welches nur darauf wartete, von mir benutzt zu werden. Doch ich konnte nicht. Ich durfte nicht.

Ich sollte ihn endlich vergessen.

So, wie er mich vergessen hatte..

„Scotch, auf Eis, wie bestellt!" trällerte Sid und balancierte mein Glas und seine Tasse auf einem kleinen Tablett. Sofort schloss ich die Dose und wollte sie wieder im Tresor verschwinden lassen, als ich inne hielt.

Ich musste ihn vergessen. Ich musste loslassen. Endgültig.

„Ich habe eine Aufgabe für dich." Ich sah Sid finster an und hielt ihm die Dose entgegen.

„Entsorg das für mich. Endgültig." Kam es nur mir so vor oder zitterte meine Hand, als ich ihm die Dose reichte? Es war das einzige, was von Nicolai übrig geblieben war. Das einzige, was mich noch an ihn band.

Genau deswegen sollte es verschwinden. So schnell, wie möglich.

„Bist du dir sicher?" hörte ich meinen Gegenüber fragen, der zögernd die Dose annahm.

„Todsicher. Verbrenn es, schmeiß es ins Meer oder sonst was. Lass dir was Kreatives einfallen. Hauptsache es ist endgültig zerstört."

Er nickte ein wenig überrascht, nahm meinen Befehl jedoch an und wand sich zum Gehen.

„Aye Aye, Sir.." Murmelte er noch leise und ließ mich anschließend in diesem viel zu großen Büro zurück. 

See You Again (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt