Kapitel 48.

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-Nicolai-

Der April tat mir unglaublich gut. Nachdem sich die schlimmsten Dinge gelegt hatten, konnte ich mich endlich auf ein normales Leben mit normalen Problemen konzentrieren. Ich war heute das erste Mal wieder bei Angela und ich freute mich wirklich, mit jemanden reden zu können. Ich wusste nicht wie viel ich ihr erzählen durfte, doch ich musste ihr von meiner Tat berichten. Es zerfraß mich nur noch weiter, doch die Angst sie würde mich verhaften lassen, grummelte in meinem Bauch, als ich in das bunte Zimmer trat. 

"Kann ich Sie etwas fragen?" fing ich vorsichtig an und verhakte die Finger ineinander. 

"Aber natürlich."

"Sie müssen sich an die Schweigepflicht halten, doch angenommen, rein hypothetisch natürlich, jemand berichtet ihnen, dass er jemanden ermordet hat. Wird dann  die Polizei eingeschaltet oder halten sie sich an die Schweigepflicht?" 

Überrascht hob sie eine Augenbraue und tippte mit ihrem Kugelschreiber auf dem Klemmbrett herum. Unwohl rutschte ich im Sitzsack hin und her und mied ihren Blick. 

"Unter gewöhnlichen Umständen würde ich mir anhören was geschehen ist, beobachten was in dem Kopf des Täters vorgeht und je nach Motiv und Verhaltensweise könnte man eine geschlossene Anstalt in Erwägung ziehen. Falls die Person jedoch erneute Gewalt anwenden würde, müsste ich die Polizei herbeordern. Es kommt also ganz auf den Fall selbst an." Überlegte sie laut und tippte sich nun mit dem Kugelschreiber an die Unterlippe. Nachdenklich durchwühlte sie ihre Gedanken und blickte mir erst als sie offenbar fertig war, wieder ins Gesicht. 

"In unserem System gibt es jedoch immer spezielle Ausnahmen, Lücken durch die man sich mogeln kann. So wie deine Situation zum Beispiel."

"M-Meine Situation? Aber ich habe doch gar nichts-"

"Tut mir leid, dass ich es dir nicht eher gesagt habe. Um ehrlich zu sein wusste ich nicht in wie weit dich das Thema betrifft, doch mir sind einige unschöne Dinge zu Ohren gekommen, die dich involvieren. Ich bin mit dem Umgang der illegalen Organisationen vertraut. Ich habe einige Männer behandelt, die von dem damaligen Oberhaupt zu mir geschickt wurden. Ob du es glaubst oder nicht, die Mafia besteht auch nur aus Menschen, die Ängste und Probleme haben, die sie nicht immer allein bewältigen können."

"Sie sind eine Bekannte von Lev's Vater?" fragte ich vorsichtig. Die ganzen Verfolgungen hatten mich ein wenig paranoid gemacht. Konnte ich ihr vertrauen? Gehörte sie zu den Guten? Gab es überhaupt so etwas wie die Guten?

"Ich denke Bekannte trifft es wirklich gut. Meine Mutter hatte einen Geliebten innerhalb seiner Reihen. Ich bin also einen Teil meines Lebens mit der Mafia verbunden gewesen. Es erschien mir nicht richtig, dass man seinen Körper und Geist so zugrunde richten ließ, nur weil man in eine Familie geboren wurde, die man sich nicht aussuchen konnte. Diese Menschen opfern sich selbst, bis eine leere Hülle der Verzweiflung und des Hasses zurückbleibt."

"Auch sie haben sich für etwas geopfert, dass sie verändert hat, nicht wahr?"

Ein wissendes Funkeln ließ ihre Augen aufleuchten. Dann nickte sie langsam und schlug die Beine übereinander. 

"In dieser Hinsicht ähneln wir beide uns wohl ein wenig. Wir möchten andere retten, auch wenn wir selbst nicht gerettet werden konnten. Wir haben Menschen sterben sehen und möchten alles in unserer Macht stehende dafür tun, es nie wieder mit ansehen zu müssen. Du hast als Kind dabei zusehen müssen, wie ein Pflegekind nach dem anderen an Krankheiten starben, die mit ein wenig Medizin gerettet hätten werden können und siehst es nun als deine Verpflichtung, andere zu retten. Hast du jemals infrage gestellt, ob du wirklich Arzt werden möchtest?"

See You Again (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt