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Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Ich sah auch dementsprechend aus. Angeschwollene, dicke rote Augen und tiefe Augenringe bis zu den Kniescheiben. Ich hab die ganze Nacht durchgeheult. Ich saß vor dem Spiegel und konnte mich selber nicht mal anschauen. In der Schule werden mich wahrscheinlich auch alle durchlöchern mit Fragen, doch nicht umsonst war ich die perfekte Schauspielerin. Ich machte deswegen extra viel Make-up drauf. Ich war im Schminken wirklich gut begabt, weswegen ich auch viele Komplimente von meinen weiblichen Mitschülerinnen bekam. Als ich zur Schule lief, hatte ich gar keine Lust. Ich wollte am liebsten daheim bleiben und mich unter die Decke verkriechen. Das Wetter passte ebenso zu meiner Stimmung, kalt und trüb. Als ich im Klassenzimmer ankam, war ich die Letzte. Liegt vielleicht daran, dass ich auch zu spät kam. Mir war klar, dass mir die fehlende Zeit eingetragen wurde, aber es war mir egal. Ich bin ein bisschen umhergelaufen, um einen frischen Kopf zu bekommen.

Ich setzte mich und machte mir gar nicht die Mühe meine Sachen raus zu holen. Wir hatten Mathe. Ich war mit mir selber so beschäftigt, dass ich Joachim nicht mal wahrnahm. Als es klingelte stand ich auf und ging Richtung Klassenzimmertür. Als ich sie aufmachen wollte, stand ein Lehrer vor mir. „Herr Feihl, ich brauch Sie schnell". Ich schenkte dem Typen keine Beachtung und ging zur Toilette. Ich sah immer noch schlimm aus. Am liebsten würde ich den ganzen Tag hier verbringen und mir die Seele rausheulen . Als es erneut klingelte, machte ich mich auf zum Unterricht.

Nach dem Unterricht wusste ich nicht wohin. Ich wollte nicht nach Hause. Deswegen ging ich runter in die Aula. 13.20 Uhr. Um diese Zeit war niemand da. Nur ich war hier und ein Klavier, dass alleine herumstand.  Ich setzte mich ans Klavier und klappte es hoch. Ich sah auf die Tasten und strich sie leicht entlang ohne ein Ton zu machen. Sie waren so sauber und glanzvoll wie die teuersten Gegenstände der Welt. Dann langsam fing ich an eine Melodie zu spielen. Meine Finger fliegen über den Tasten und ein wunderschöner Klang entstand. Ich steckte meine ganzen Gefühle hinein und dachte an die schönen Erinnerungen mit ihm. Mir standen die Tränen in den Augen, aber ich spielte weiter.
Zum Schluss würde ich immer leiser und langsamer, bis es irgendwann keine Klänge mehr macht.

„Ganz schön traurig, finden Sie nicht?" ich drehte mich erschrocken um. Es war Joachim. Er lief in meine Richtung und ich drehte mich wieder zum Klavier. Er setzte sich zu mir ans Klavier. „Ich wusste nicht, dass du Klavier spielen kannst". Er sah mich an, aber ich sah nur auf die Tasten. „Kannst du River flows in you?". Ich spürte weiterhin seinen Blick auf mir, doch ich nahm meinen Blick nicht von den tasten ab. Dann nickte ich. Er fing an zu spielen und ich sah nun seinen Fingern zu, wie sie durch die Tasten schwebten. Dann fingen wir zusammen an zu spielen. Wir spielten und spielten, wir vergaßen sogar alles um uns herum. Ich war wieder in Gedanken versunken. Ich spielte als gäbe es keinen Morgen.

Als wir das Stück fertig gespielt hatten, bin ich wieder in der Realität angekommen. Es war wieder so still wie vorher. Der Regel prasselte auf das kleine Glasdach der Aula und brachte somit die einzigen Geräusche rein. „Ich weiß, dass irgendetwas passiert ist. Ich sehe, dass es dir weder heute morgen, noch jetzt gut geht. Ich wollte dich nach dem Unterricht darauf ansprechen, aber Herr Hitt brauchte mich schnell. Ich möchte dir helfen. Ich will dich nicht leiden sehen". Mit stiegen die Tränen in die Augen, bei seinen lieben Worten und gleichzeitig was erst passiert war. Dann schluchzte ich. Herr Feihl sah mich besorgt und gleichzeitig mitfühlend an. „Der Bruder von meinem Opa ist gestern gestorben". Mehr brachte ich nicht raus und mir liefen die Tränen über die Wangen. Er zog mich sofort in seine starken Arme. Behutsam strich er mir über den Kopf. Ich weinte, und weinte. „Tut mir Leid" flüsterte er mir leise zu. Mir war gerade alles egal, ob uns jemand hier jetzt sieht oder auch nicht. Ich brauchte nur ihn gerade, sonst niemanden. ich brauchte jemanden, der für mich da war und er war für mich in diesem Moment da.

His blue eyes | Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt