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Die Tage vergingen kriechend und am Mittwoch war Joachim auf Klassenfahrt. Hieß, dass ich ihn 3 Tage nicht gesehen hatte. Aber ich brauchte die Zeit für mich. Heute war Freitag, heute würde ich ihn wiedersehen. Am Sonntag war die Beerdigung, ich wusste nicht wie ich mich verhalten sollte, ich meine ich war noch nie auf einer Beerdigung. Wird es schlimm sein? Wird es schwer sein? Ich hatte Angst davor. Am Meisten hatte ich Angst, wie er dort liegen würde.

Ich blieb kurz vor der Schule stehen. Ich atmete tief durch. Ich wollte nicht. Ich wollte nicht hineingehen, was neu für mich war. Normalerweise freute ich mich immer auf die Tage, an denen ich Herr Feihl sehen konnte, aber heute wusste ich selber nicht was mit mir los war. Ich klammerte mich an meine Lederjacke und ging langsam hinein. Ich hörte seit den 3 Tagen nicht mehr im Unterricht zu, was heute auch noch so war. Ich schaltete alles um mich aus. Es kam mir so vor, als ob ich in der Dunkelheit sitze und kein einziges Licht hängt über mir.

So langsam hatte ich die 4 Stunden Unterricht über mich ergehen lassen. Jetzt fehlen nur noch die letzten beiden Mathe Stunden. Ich starrte auf einen Punkt. Irgendwie konnte ich nicht denken, es ist so als ob man nur da sitzt und im Kopf alles weiß ist, wie eine blanke Wand. „Emily". Werden viele Leute auf der Beerdigung weinen? Ich konnte meine Verwandten nicht leiden sehen. Ich spürte wie jemand an meinem linken Arm rüttelte. Ich schaute in die Richtung. Olivia sah mich an und deutete mir nach vorne zu schauen. Ich sah nach vorn. Herr Feihl sah mich fragend an. Ich war immernoch nicht ganz da. Er sah mich immer noch an. Seine Augen drückten Mitgefühl aus. „Herr Feihl" sagte eine Mitschülerin. Joachim sah zu ihr und wendete den Blick von mir ab. „Es ist 45" sagte sie und er nickte ihr zu. Kurz sah er mich noch einmal schnell an, bevor er mit dem Unterricht weiter machte.

Es klingelte. „Ich möchte dass Sie Aufgabe 5, 6 und 7 noch machen" sagte Herr Feihl während alle zusammenpackten. Ich nahm die nötige Kraft um aufzustehen, um meine Sachen zu verstauen. „Emily bleiben Sie noch schnell da". Ich blieb im Raum stehen und wartete. Wartete darauf, bis alle weggingen. Der Letzte machte die Tür zu. Joachim kam zu mir. „Emily, du bist noch nicht vollkommen da, hab ich recht?". Er versuchte mir in die Augen zu schauen, ging aber schlecht, weil ich auf den Boden schaute. „Ich glaub es ist gut, wenn du dich ausruhen solltest, jetzt wo das Wochenende da ist". Ich nickte. „Wann ist die Beerdigung?" fragte er vorsichtig. „Sonntag". Er nickte. „Wenn du darüber reden willst, ich bin da, okay?" er hob mein Kinn an, sodass ich ihn endlich ansah. Ich blickte in seine Augen und nickte. Ich wusste nicht was ich machen sollte. Ich ging einen Schritt auf ihn zu und umarmte ihn fest. Er legte sanft seine Hände um mich, dabei schloss ich meine Augen und genoss nur seine Nähe. Ich fühlte mich so wohl bei ihm und deswegen bin ich ihm so dankbar. „Danke" flüsterte ich leise. Er löste sich von mir und nahm mein Gesicht in die Hände. Wir sahen uns tief in die Augen. Er hatte so wunderschöne blaue Augen. Ich verlor mich jedes Mal in diese. Er kam näher und küsste mich sanft. So als ob ich jeden Moment zerbrechen würde.

~Sonntag~

Ich stand auf. Völlig neben der Spur. Ich wusste nicht was ich anziehen sollte. Was zieht man an so einem Tag an? Ich entschloss mich zu einer schwarzen Bluse mit einer schwarzen Hose. Dazu flechtete ich mir noch meine Haare zu einem Zopf. Als wir am Friedhof ankamen, war die Stimmung bedrückt. Ich kannte das nicht. Normalerweise waren immer alle fröhlich, aber heute nicht, was auch nachzuvollziehen ist. Alle waren in tiefer Trauer. Viele weinten auch. Ich ging weiter. Ich sah meinen Opa, er drehte sich um und ich sah, dass er rote Augen hatte. Ich musste mich zusammenreißen nicht loszuheulen. Ich habe mir vor vielen Jahren, geschworen meine Gefühle niemanden zu zeigen. Er fragte mich ob ich hinein gehen möchte, um ihn ein letztes Mal sehen zu können. Ich lehnte ab. Ich konnte ihn nicht sehen. Meine Cousine, die immer bei mir war, hatte sich auch von mir abgewandt. Sie war reingegangen. Ich nahm's ihr nicht übel. Ich brauchte Freiraum, zum Denken. Mir wurde immer bewusster, was das Leben mit einem Menschen machte. Das Leben wird uns geschenkt, der Tod nimmt es uns wieder. Ein Teufelskreis. 

Als wir alle hineingingen, sah ich im Vorbeigehen den Bruder meines Opas. Er sah so friedlich aus. Als ob er schlafen würde. Immer wieder sagte ich die ganze Zeit zu mir, Bitte steh auf. Bitte steh auf, aber er tat es nicht. Für meine Uroma und meinem Uropa muss es am Schlimmsten gewesen sein. Ihr Kind wird begraben, es lebt nicht mehr. Schnell schüttelte ich meine Gedanken ab, ich konnte meinen Gefühlen vor anderen Personen nicht zeigen. Als ich drinnen saß, kam meine Cousine wieder zu mir. Ich hatte sie noch nie weinen gesehen und ich wollte ebenso nicht, dass sie mich weinen sieht. Ich soll für sie da sein, die Stärkere, die die ihr beisteht und alles Böse vor ihr nehmen würde. Als der Pfarrer anfing zu reden und über die schönen Ereignisse erzählte, wurde mir alles auf einmal zu viel. Ich hatte es mir schlimm vorgestellt, aber dass es so schlimm und schmerzvoll werden würde, nein das wusste ich nicht.

Ich war am Ende.

Schließlich wurde er begraben. Jeder schüttete Erde hinein und legte eine Blume dazu. Meine Mutter und ich kauften 5 weiße Rosen. Sie sagte, man solle zur Beerdigung keine gerade Zahl an Rosen kaufen. In Russland stehen 4 weiße Rosen für den Tod, sagte ich ihr, weil wir eigentlich 4 Personen waren. Aber ich hab die 5. meiner Cousine gegen. Wir kamen aus Russland, deswegen ist alles bei uns etwas anders und traditioneller, als bei den Deutschen hier. 

Danach gingen wir essen. Um ehrlich zu sein, hatte ich wenig bis gar keinen Hunger.
Als ich dann endlich zu Hause war, ließ ich alles raus. Wie sehr wünschte ich mir, dass Joachim jetzt hier wäre und mich fest in seinen armen halten würde. Heiße Tränen brannten mein Gesicht runter, bis ich schließlich einschlief..

His blue eyes | Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt