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Am nächsten Tag wachte ich mit roten, geschwollenen Augen auf. Die ganze Nacht hatte ich vor Wut und Trauer geweint, bis mein Körper schließlich aufgegeben hatte und ich einschlief. Shawn hatte meine Familie ermordet. Schon allein der Gedanke an ihn, machte mich wütend. Am liebsten hätte ich ihm eine reingehauen.
Ich beschloss erstmal unter die Dusche zu gehen. Normalerweise war die Dusche immer ein Ort zum Nachdenken, doch heute wollte ich keine weiteren Gedanken an Shawn verschwenden oder an meine tote Familie denken, weshalb ich die Musik so laut wie möglich aufdrehte und mitsang.
Kurz nachdem ich fertig war, rief Caroline mich an und fragte, ob ich abends zum Bowlen mitwollte. Eigentlich war mir nicht danach, aber ich sagte trotzdem zu. Ich war wirklich dankbar, dass meine Freunde sich Sorgen machten und sich um mich kümmern wollten. Ich räumte ein wenig im Haus auf, putzte das Badezimmer, um mich irgendwie abzulenken, obwohl ich Putzen eigentlich hasste. Mir war jedoch klar geworden, dass das jetzt alles meine Aufgabe war. Putzen, Kochen, Wäsche  waschen. Es gab niemand anderen. Ich musste für mich selbst sorgen. Da es schon fast 16 Uhr war, als ich mit dem Haus fertig war, setzte ich mich aufs Sofa und schaute mir eine Folge Scandal an, als ich eine Nachricht von Caroline bekam.

Hole dich um 17:30 ab :) x

Ich seufzte und schrieb nur 'Okay' zurück, bevor ich mich wieder meiner Serie widmete. Als es dann fast soweit war, zog ich mich an. Eine schwarze Skinny-Jeans mit einem grau melierten Shirt. Meine Haare steckte ich in einen Dutt hoch.
Caroline kam so pünktlich wie eh und je. Als ich zu ihr in den Wagen stieg, lächelte sie mich in ihrer frohen Art an.
"Hey, wie geht's dir?", fragte Care, als ich gerade die Beifahrertür schloss.
"Okay", erwiderte ich und ausnahmsweise stimmte das auch. "Endlich bin ich die bescheuerten Krücken los."
"Tut das Bein noch sehr weh?", hakte sie nach.
"Manchmal, aber ich halte das aus", gab ich zurück, worauf sie nickte und den Motor startete.
"Also falls du mal mit irgendwas Hilfe brauchst, sag einfach Bescheid, ja?... Lyra?"
"Hm?"
"Alles in Ordnung?"
"Ja, es ist nur... der Motor, das Auto, das ist ziemlich viel", murmelte ich.
"Das tut mir so leid, Lyra. Wenn du willst, laufen wir", bot sie an.
"Ist schon okay, Care. Irgendwann muss ich es wieder wagen."
"Sicher?", fragte sie nochmals nach, bevor ich nickte.
Langsam setzte sie sich in Bewegung und ich freute mich schon, dass die Fahrt bald enden würde.
"Was hast du die letzten Tage so gemacht?"
"Nichts", erwiderte ich, während ich an meinen Wutanfall zurückdachte. "Was hast du so gemacht?"
"College Bewerbungen! Haufenweise!", sagte sie und stöhnte. "Warum muss das nur so kompliziert sein?!"
Ich lachte kurz auf.
"Hast du dir denn schon überlegt, was du machen willst?", hakte sie nach.
"Im Moment habe ich wirklich andere Sorgen."
"Tut mir leid", murmelte Caroline.
"Du musst dich nicht entschuldigen", gab ich zurück. Shawn müsste sich entschuldigen.

Als wir am Bowling-Center ankamen, warteten schon alle dort. Ich umarmte alle kurz, sie fragten mich wie es mir ging, ich antwortete dasselbe wie zuvor.
Wir liehen uns Bowling-Schuhe aus und begaben uns zu unserer Bahn. Alle hatten viel Spaß, doch ich konnte mich nicht so begeistern. Ich hatte den Kopf zu voll mit Gedanken, die ich einfach nicht ignorieren konnte. Shawn, der Unfall, meine Albträume. Da meine Freunde es nur gut meinten, tat ich so als hätte ich wenigstens auch ein kleines Bisschen Spaß am Bowlen, obwohl ich eigentlich nur nach Hause wollte.
"Hey", sagte Kaitlyn und riss mich aus meinen Gedanken. "Du wirkst so abwesend. Fühlst du dich nicht gut?"
"Es geht mir beschissen, wenn du's genau wissen willst", erwiderte ich. "Meine Familie ist tot. Und dann taucht dieser Idiot bei mir auf."
"Wer?"
"Shawn."
"Tut mir leid, jetzt komm ich irgendwie nicht mehr mit."
"Der Typ, der mit uns im Auto saß, als... du weißt schon", erklärte ich.
"Oh."
"Er war bei mir und wir hatten Streit, weil er der Grund ist, dass meine Familie tot ist", sagte ich, als sich wieder Wut in mir aufstaute.
"Was meinst du damit?"
"Er hat meinen Eltern ein Bild auf seinem Handy gezeigt. Deshalb haben sie nicht auf die Straße geschaut. Deshalb sind wir von der Brücke gestürzt. Wegen ihm", sagte ich mit Tränen in den Augen.
"Lyra", sagte Kaitlyn leise und umarmte mich.
"Hey!", rief Luke. "Wer hat Lust auf Burger?"
"Hier!", rief Caroline.
"Kommst du mit?", fragte Kaitlyn, als wir uns aus der Umarmung lösten.
"Mein Bein tut ziemlich weh und ich bin müde", sagte ich.
"Soll ich dich nach Hause bringen?", fragte Caroline.
"Musst du nicht", gab ich zurück.
"Doch, das ist kein Problem. Ehrlich", sagte sie. "Ich komm dann einfach nach."
"Ist gut", sagte Kaitlyn und umarmte mich. "Alles wird gut."

"Bist du sicher, dass ich nicht bleiben soll?", fragte Care.
"Ich komme klar", erwiderte ich. "Danke, dass ihr euch um mich kümmert. Das bedeutet mir sehr viel."
"Ist doch selbstverständlich", sagte sie und umarmte mich.
Ich stieg aus und humpelte zur Haustür. Dann winkte ich Care nochmal zu und schloss die Tür, um einen weiteren Abend alleine in diesem Haus zu verbringen.

Deep Waters [german]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt