Die Tage vergingen schnell und Shawn hatte keine Zeit mehr für ein Treffen gehabt, weswegen ich mich für heute Abend mit meinen Freunden verabredet hatte. Ich freute mich, den ganzen verrückten Haufen endlich mal wieder zusammen zu sehen, denn wenn wir als Gruppe unterwegs waren, konnte es nur spaßig werden. Obwohl es immer kälter und der Schnee immer dichter wurde, zwang ich mich, Dr. Wyatts Rat zu folgen und ging noch an weitere Orte, die mich an Cami erinnerten. Und auch wenn es eigentlich nicht dazugehörte, besuchte ich auch Orte, die mich an meine Eltern erinnerten. Es schmerzte, die Orte so vorzufinden, wie sie schon immer gewesen waren, mit dem Wissen, dass eigentlich gar nichts mehr so war wie zuvor. Aber die Bilder, die in meinen Kopf schossen, all die Erinnerungen, hatten etwas tröstliches. Außerdem hatte ich langsam genug davon, den ganzen Tag nur auf dem Sofa zu verbringen und mich in Büchern zu vergraben und auch wenn ich mich schlecht fühlte, weiterzumachen, weil es ich so anfühlte, als würde ich meine Familie vergessen wollen, entschloss ich mich, nach vorne zu sehen. Das erste, was ich tat, war es, das Haus einmal gründlich durchzuputzen, denn außer staubsaugen und ein oder zweimal staubwischen, hatte ich in den letzten Wochen gar nichts gemacht. Nachdem ich den ganzen Tag damit verbracht hatte, das Haus zu säubern, fiel ich todmüde ins Bett. Am nächsten Morgen jedoch, machte mich auf den Weg ins Tanzstudio. Das offizielle Training würde erst heute Abend gegen 5 beginnen, aber ich war der Meinung, dass ich eine Menge nachzuholen hatte. Ich schwang die Tür auf und lief zu meinem Spind, aus dem ich mir meine Schuhe holte. Mit den Schuhen und einer Flasche Wasser bewaffnet, machte ich mich auf den Weg zum Balletraum. Ich war die einzige dort und war froh darüber, da ich sonst nur mitleidige Blicke geerntet hätte. Aus dem Raum neben mir drang leise Musik, da um diese Zeit die Seniorengymnastik stattfand, doch ich blendete die Rhythmen aus dem Nebenzimmer aus, und legte eine der vielen CDs in den Player. Die ersten Töne erklangen und ich begann mit den Dehnen. Die Zeiger an der Uhr, die an der Wand hing, bewegten sich in rasanter Geschwindigkeit, und ehe ich es bemerkte, waren schon fast 3 Stunden vergangen.
"Lyra." Ich hielt in meiner Bewegung inne und wirbelte herum. Sophie, meine Trainerin, stand in der Tür und lächelte mich freundlich an.
"Oh, hey. Ich wusste gar nicht, dass du heute eine Gruppe unterrichten musst."
"Muss ich nicht, aber ich tanze auch gern mal nur für mich."
Ich nickte und hob meine Wasserflasche vom Boden auf. "Ich wollte sowieso gerade gehen, also..." "Okay, super." Ich lächelte sie kurz an und lief dann zur Tür. "Lyra?"
"Ja?"
"Es ist schön, dich wieder hier tanzen zu sehen."
"Danke." Sophie schenkte mir ein herzliches Lächeln, bevor ich den Raum verließ.Auf dem Rückweg holte ich mir bei einem Chinesen Essen für zu Hause, da mein Magen knurrte, als hätte ich seit Tagen nichts mehr gegessen hätte. Ich hatte tatsächlich etwas abgenommen, in den letzten Wochen. Ich war nicht wirklich glücklich darüber, weil ich sowieso schon zierlich war, aber in den ersten Wochen nach dem Unfall hatte ich weder Appetit gehabt, noch etwas gegessen, weswegen es eigentlich kein Wunder war, dass ich Gewicht verloren hatte. Ich zwang mich also, die ganze Portion, welche mir riesig vorkam, aufzuessen, während ich irgendeine dumme Sitcom schaute, die gerade im Fernsehen lief. Ich stellte gerade den Teller in die Spülmaschine, als Kaitlyn mich anrief.
"Hey Lyra! Na?", begrüßte sie mich euphorisch.
"Hey Kaitlyn, was gibt's?"
"Ich hätte ja eigentlich noch Snacks und so kaufen sollen, aber mir ist was dazwischen gekommen. Könntest du das vielleicht übernehmen?", bat sie mich.
"Äh, ja klar. Schickst du mir die Einkaufsliste?"
"Sicher doch, danke du bist ein Schatz! Ich wusste ich kann auf dich zählen!" Ich wollte noch etwas sagen, aber sie hatte bereits aufgelegt. Ich lachte leise über ihre aufgedrehte Art und ging dann ins Bad, um noch zu duschen. Nachdem ich mein braunes Haar wieder trocken geföhnt hatte, legte ich noch etwas Make Up auf und verließ dann das Haus. Der nächste Supermarkt war glücklicherweise nicht allzuweit weg, denn ich vermied es so gut wie es ging selbst Auto zu fahren, und da es sowieso nicht viel zum Einkaufen war, hatte ich mir einen Rucksack mitgenommen und hatte mich fürs Laufen entschieden. Der Supermarkt war für einen Samstag sogar relativ leer und ich war froh darüber, da ich keine Lust auf so viele Menschen hatte. Ich lief also durch die Gänge und nahm hier und da mal ein Produkt aus dem Regal, welches auf Kaitlyns Liste stand, und warf es in den Korb als ich auf einmal eine bekannte Stimme hörte. Ich drehte mich suchend um. "Aus dem Weg!" Erschrocken sprang ich zur Seite, um die beiden erwachsenen Männer durch den Gang zu lassen. Einer schob einer dieser Kindereinkaufswagen, in die man sich reinsetzen konnte, und der andere hatte sich mit Müh und Not reingequetscht.
"Shawn?", fragte ich erstaunt und er hielt den Wagen abrupt an. So abrupt, dass sein Freund aus dem Wagen fiel. Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen und Shawn schoss das Blut ins Gesicht.
"Hey! Ich hatte nicht erwartet dich hier zu sehen, was tust du hier?" Er fuhr sich verlegen mit der Hand durch die Haare, während sich sein Freund langsam aufrappelte.
"Ich kaufe ein", erklärte ich und Shawn wurde noch röter, "Die Frage ist, was tust du hier?" Ich deutete auf den Kindereinkaufswagen. Ehe Shawn antworten konnte, mischte sich sein Freund ein.
"Wir veranstalten heute einen kleinen Männerabend und müssen uns natürlich auch richtig darauf vorbereiten. Und ich bin übrigens Brian." Er lachte verschmitzt.
"Freut mich, ich bin Lyra." Mir entging der Blick, den Brian bei meinem Namen zuwarf nicht, aber ich beschloss ihn zu ignorieren. "Und ich will euch ja nicht zu nahe treten, aber so wie es aussieht wird das kein Männerabend sondern, ich weiß nicht, eine Krabbelgruppe?", zog ich die beiden auf.
"Hey! Beleidige nicht unseren heiligen Rituale!", beschwerte sich Shawn, dessen Hautfarbe langsam wieder normal wurde.
"Ich entschuldige mich vielmals, werte Herren."
"Wir verzeihen dir", winkte Brian ab. "Und wofür kaufst du ein?", wollte Shawn wissen und warf einen Blick auf meinen Einkaufswagen, der über und über mit Süßigkeiten beladen war.
"Ich treffe mich heute Abend mit meinen Freunden, ich hab einige davon schon länger nicht mehr gesehen", klärte ich auf.
"Wir sollten unser und dein Treffen zusammenlegen!", schlug Brian vor, was Shawn sichtlich unangenehm war.
"Danke fürs Angebot, ein anderes Mal vielleicht", lehnte ich daher ab.
"Äh ja, es war schön dich zu treffen Lyra, aber wir sollten dann mal los", stotterte Shawn, dem die Situation immer unangenehmer wurde. Er griff nach Brians Arm und dem Griff des Einkaufswagens und zog beide in den nächsten Gang. Ich rief ihm noch ein "Bis dann" hinterher, bevor ich mich kopfschüttlend über das Verhalten der beiden Kindsköpfe auf den Weg zur Kasse machte.

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Deep Waters [german]
FanficLyras Leben ist beinahe perfekt. Sie muss sich wegen nichts sorgen und kann jeden Tag genießen. Doch von einem Tag auf den Anderen verändert sich alles. Ihre Familie ist in einen tragischen Autounfall verwickelt und sie ist die einzige Überlende, zu...