- 15 -

1.1K 52 3
                                    

Als ich aufwachte, pochte mein Schädel. Langsam kamen die Erinnerungen an den Tag zuvor zurück. Wie ich mich an Shawns Schulter ausgeweint hatte und dass wir uns auf irgend eine Weise versöhnt hatten. Mein Körper fühlte sich warm an und an meinem Ohr hörte ich ein leises Klopfen. Langsam öffnete ich die Augen und erblickte Shawn, an dessen Brust ich gekuschelt lag. Das Geräusch auf meinem Ohr war sein Herzschlag gewesen. Ich setzte mich langsam auf und versuchte, ihn nicht aufzuwecken. Irgendwie war es mir jetzt peinlich, vor ihm geweint zu haben, bevor ich dann an ihn gekuschelt eingeschlafen war.
"Hey", sagte Shawn plötzlich, worauf ich zusammenzuckte. Ich blickte ihn an, worauf er lächelte. "Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken."
"Hast du garnicht", log ich.
"Tut mir leid, dass ich hier geschlafen habe. Du bist auf mir eingeschlafen und ich wollte dich nicht wecken. Du konntest ein wenig Schlag gebrauchen."
Ich lächelte leicht, da er so fürsorglich war. "Danke. Ist schon gut, du musst dich nicht entschuldigen."
Ich stand vom Sofa auf und so tat es auch Shawn, der sich am Hinterkopf kratzte.
"Sollen wir zusammen frühstücken?", fragte ich, worauf er eifrig nickte.
"Gerne", erwiderte er. "Dann lernst du endlich mal meine Pancakes à la Mendes kennen."
"Pancakes à la Mendes?", wiederholte ich, bevor ich losprustete.
"Na warte", murmelte Shawn und nahm mich abrupt hoch, um mich über seine Schulter zu werfen.
"Hey!", lachte ich. "Lass mich runter!"
Er lief weiter in die Küche, hielt sogar meinen Kopf beschützend fest, damit ich mich nicht am Türrahmen anschlug.
"Shawn, lass mich runter!"
"Wenn du das so willst", erwiderte er und setzte mich direkt auf dem Thresen der Küche ab. Er stand vor mir und grinste mich an. Mein Herz klopfte wie verrückt, seine braunen Augen waren ein Meer, in dem ich zu versinken drohte. Auch er spürte wohl diese Spannung zwischen uns.
Ich räusperte mich. "Dann zeig mir mal deine Pancakes. Ich bezweifle irgendwie, dass du kochen kannst."
"Du kannst deinen Arsch darauf verwetten, dass ich für dich die besten Pancakes machen werde, die du in deinem Leben jemals gegessen hast und du sie am liebsten wieder ausspucken würdest, um sie nochmals zu genießen."
"Widerlich", lachte ich, worauf Shawn loslegte. Ich stellte ihm alles, was er brauchte auf den Thresen und fing schon an den Tisch zu denken.
Während ich ein paar Früchte für uns schnitt, beobachtete ich ihn. Ich musste mich einfach fragen, was für ein guter Mensch er sein musste, um mir zu verzeihen und sich sogar um  mich zu kümmern. Immerhin hatte ich ihn des Mordes an meiner Familie beschuldigt. Das verzeiht man nicht einfach so. Aber er schon. Er stand in meiner Küche, wendete Pfannkuchen in der Pfanne, blickte hin und wieder stolz auf den Teller, auf dem die fertigen Pancakes lagen.
Plötzlich blickte er zu mir und lächelte. "Mach ein Foto, das hält länger."
Ich rollte genervt mit den Augen und hoffte, dass ihm nicht auffiel, wie rot ich geworden war. "Halt die Klappe."
"Bring mich doch dazu", sagte er, sein Blick wieder auf die Pfanne unter ihm gerichtet. Ich konnte seinen rechten Mundwinkel zucken sehen.
Er flirtete mit jeder Silbe und warum auch immer, es machte mir nichts aus.

Shawn stellte den fertigen Teller auf den Tisch und blickte mich dann an, während er eine Augenbraue nach oben zog.
Er eilte zu einem Stuhl, zog ihn leicht vom Esstisch weg, damit ich mich setzen konnte und schob mich dann wieder an den Tisch. "Danke."
"Habt ihr Ahornsirup?", fragte er nach.
"Ist die Frage rhetorisch?", antwortete ich. "Welcher kanadische Haushalt hat kein Ahornsirup da?"
Ich wollte gerade aufstehen, um es zu holen, als er mich schon aufhielt. "Nein, nein. Bleib ruhig sitzen. Wo ist er?"
Ich deutete auf den Schrank, den Shawn öffnete. Er konnte perfekt hineinsehen, während ich sonst immer auf die Zehenspitzen gehen musste, um an die Lebensmittel zu kommen.
Er stellte den Sirup auf dem Tisch ab und setzte sich mir gegenüber. "Ladies First."
Ich griff nach einem Pancake, gab etwas Sirup darüber und schnitt ein Stückchen ab. Shawn beobachtete mich gespannt.
"Wow", murmelte ich. "Ich habe dich wohl unterschätzt. Die sind verdammt gut."
Shawn zuckte nur leicht mit den Achseln, worauf ich lächelte.
Wir aßen auf, räumten zusammen den Tisch ab. "Hast du heute schon was vor?"
"Shawn, du musst nicht bleiben, ehrlich. Mir geht es gut."
"Ja, ich muss nicht bleiben, aber ich will", antwortete er.
"Und woran hattest du gedacht?", hakte ich nach und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Wie geht es deinem Bein?", fragte er.
"Gut", gab ich zurück.
"Na dann, wie wäre es mit Eislaufen?", schlug er vor.
"Ich bin nicht wirklich ein Talent darin", gab ich zu, worauf er den Kopf schüttelte.
"Was für ein Glück, dass ich Eislaufen kann", erwiderte er und trat einen Schritt näher.
"Also, ich weiß nicht."
"Komm schon, ich halte deine Hand und ich lasse erst los, sobald du alleine fahren kannst", sagte er.
"Bitte, ich brauche keine Hilfe von dir!", gab ich zurück. "Ich bin eine Eisprinzessin!"
"Das will ich sehen. Ich bezweifle nämlich, dass du das alleine kannst", sagte er und äffte mich von vorhin nach.
"Das wollen wir ja sehen, Mendes", erwiderte ich.

Nachdem ich mich fertig gemacht hatte, fuhren wir mit Shawns Auto zur Eislaufhalle. Vielleicht hatte ich gelogen, als ich sagte, ich könne das auch alleine, aber das tat jetzt nichts zur Sache. Ich war schon ewig nicht mehr Schlittschuh gelaufen.
Wir liehen uns zwei paar Schuhe aus. Shawn war schon auf dem Eis und glitt engelsgleich hin und her. Er konnte das wirklich gut.
Ich stand mit den Schlittschuhen auf und tat mir schon schwer, auf normalem Boden damit zu gehen. Shawn sah mich fragend an. "Worauf wartest du?"
"Woher kannst du das eigentlich so gut?", hakte ich nach.
"Eishockey", erwiderte er und drehte sich auf dem Eis. "Kommst du jetzt endlich?"
Ich nickte, worauf Shawn grinste. Er wusste genau, dass ich es nicht konnte. Mit wackligen Beinen stieg ich auf das Eis und rollte ein wenig, bevor ich das Gleichgewicht verlor und nach hinten kippte. Doch bevor ich den Boden auch nur berühren konnte, wurde ich von zwei starken Armen aufgefangen.
"Du bist also wohl doch keine Eisprinzessin", scherzte er und half mir wieder auf die Beine. Er stand hinter mir und ich fühlte seinen warmen Atem an meinem Ohr. Er drehte mich vorsichtig um und hielt mich immernoch fest.
"Na schön, dann bin ich eben keine gute Eisläuferin", gab ich zu. "Und ich bin auch keine Eisprinzessin, sondern nur eine normale."
"Hätte nicht gedacht, dass du es zugibst", sagte er und lachte auf. Er ließ mich los, worauf ich mich an der Barriere am Rand der Bahn festhielt.
"Na komm", forderte er mich auf und streckte mir seine Hand entgegen.
"Shawn-"
"Was? Ist es dir peinlich, meine Hand zu halten?", fragte er und lachte. "Ich will dir nur dabei helfen, dass du dir nicht nochmal was brichst."
"Okay", erwiderte ich und legte meine Hand in seine große Hand. Während meine Hände trotz Handschuhen noch kalt waren, waren seine angenehm warm.
Er hielt meine Hand fest und begann langsam über das Eis zu gleiten. Ich versuchte nur seine Bewegungen nachzuahmen. Anfangs tat ich mir wirklich schwer, worauf ich hin und wieder von Shawn ausgelacht wurde. Mit der Zeit wurde ich aber sicherer, doch trotzdem ließ ich seine Hand nicht los. Es war das erste Mal, dass ich nicht an den Unfall dachte. Und ich sah Shawn nicht als den Jungen, der mit mir im Unfallwagen gesessen hatte. Komplett in Gedanken verlor ich das Gleichgewicht und riss somit Shawn mit zu Boden. Dabei landete ich auf ihm, worauf er lachte.
"Tut mir leid", entschuldigte ich mich und setzte mich auf.
"Auch Prinzessinnen fallen mal hin", erwiderte er und zuckte mit den Achseln. "Na gut, die fallen vielleicht etwas eleganter als du gerade, aber-"
Ich unterbrach ihn, indem ich ihm einen Klaps auf den Arm gab.
Er stand lachend auf und gab mir seine Hand. Er zog mich zu sich hoch.
"Sollen wir gehen?", fragte ich.
"Was immer du willst", erwiderte er.
Wir gingen vom Eis, Shawn zog seine Schuhe aus, während ich mich darüber beklagte, wie sehr meine Füße mir wehtaten.
Er kniete sich vor mich und fing an die Schlittschuhe aufzuschnüren. Er kniete dort, zog mir wie ein Gentleman die Schuhe aus und stellte meine Stiefel vor mich hin. Er legte kurz seine Hand an meinen Arm. "Bin gleich wieder da."
Dann marschierte er mit den Schlittschuhen davon, um sie zurückzubringen.

"Es schneit", jubelte ich, als wir die Halle verließen.
Ich hüpfte durch die Massen von Schnee, die gefallen waren, während Shawn mich nur anlächelte.
"Machen wir eine Schneeballschlacht?", forderte ich ihn heraus. Er trat näher an mich heran.
"Du zitterst doch jetzt schon", sagte er lächelnd und zog sich dann die Jacke aus, die er um meine Schultern legte. "Ich bringe dich nach Hause, sonst wirst du noch krank."
Ich nickte und bedankte mich für seine Jacke. Die ganze Zeit war er so aufmerksam gewesen. Er hielt mir sogar die Tür seines Wagens auf.
Wir fuhren zu mir, während ein Ed Sheeran Song im Radio lief, den Shawn leise mitsummte. Lächelnd schloss ich meine Augen und horchte dem Klang seiner Stimme.
Als wir ankamen, stieg Shawn mit mir aus und begleitete mich mit zur Haustür. Ich zog seine Jacke aus und gab sie ihm wieder.
"Danke", sagte ich.
"Wofür?"
"Ich hatte heute so viel Spaß wie seit Wochen nicht mehr", sagte ich lächelnd.
"Ging mir auch so."
Er nahm mich zum Abschied fest in den Arm.
"Bis bald, Shawn", sagte ich, öffnete die Tür und verschwand im warmen Haus.

Deep Waters [german]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt