Es waren noch zwei Tage bis Heiligabend und normalerweise würde ich mich jetzt schon wie ein kleines Kind auf das Weihnachtsfest freuen, aber nicht dieses Jahr. Ich würde es alleine verbringen und deshalb war es ein ganz normaler Tag für mich. Solange ich nur drin blieb, mir einen Film ansah und nicht an die ganzen glücklichen Familien dachte, war alles gut. Ich war mir noch nichtmal sicher, ob ich den Baum, der schmucklos im Wohnzimmer stand, noch schmücken würde. Im Nachhinein fragte ich mich sowieso, wieso ich ihn überhaupt gekauft hatte. Ich langweilte mich zu Tode, so kurz vor Weihnachten hatte das Tanzstudio zu, meine Freunde waren mit Weihnachtsvorbereitungen und Last-Minute Geschenke kaufen beschäftigt und auf Lesen oder Filme schauen hatte ich auch keine Lust. Es war furchtbar. Ich zappte durch das Fernsehprogramm und schielte alle paar Minuten auf die Uhr oder sah nach, ob mir jemand geschrieben hatte, was leider nicht der Fall war.
Eine Zoosendung später, schaltete ich den Fernseher wieder aus, und ging in die Küche, um mir etwas zu Essen zu machen, da es bereits Mittag war. Ich wollte gerade die Nudeln in das kochende Wasser geben, als ich im Wohnzimmer mein Handy klingeln hörte. Ich hechtete dorthin und nahm den Anruf sofort an.
"Hey, Lyra!", begrüßte Shawn mich enthusiastisch. Freudig über seinen Anruf, antwortete ich ihm in dem selben Ton: "Freut mich das Sie anrufen Mr. Mendes, was kann ich für Sie tun?" Shawn lachte am anderen Ende der Leitung, ehe er etwas erwiderte. "Du hast meine Eltern auf dem Weihnachtsmarkt getroffen, oder?"
"Ja, hab ich. Wieso?"
"Warum hast du das Angebot meiner Mutter ausgeschlagen? Also ich meine, komm doch einfach zu uns an Weihnachten. Ich kann den Gedanken daran, dass du an Weihnachten allein zu Hause sitzt einfach nicht ertragen", witzelte er und ich grinste.
"Ich will euch euer Weihnachten nicht vermiesen. Am Ende breche ich in Tränen aus oder so."
"Ach was! Wir würden uns wirklich freuen. Und außerdem", fügte er hinzu, "muss ich dir doch dein Geschenk geben!"
Mir fiel beinahe das Handy aus der Hand. "Nein nein nein nein nein! Du schenkst mir gar nichts!", protestierte ich lautstark und brachte Shawn damit zum Lachen.
"Natürlich schenke ich dir etwas. Aber es ist nur eine Kleinigkeit, also nichts besonderes. Mach dir keinen Kopf, wenn du nichts für mich hast", versuchte er mich zu beruhigen. Ich rührte aufgebracht mit dem Kochlöffel die Soße im Topf um. "Ich kann gar nicht anders, als mir jetzt einen Kopf zu machen, ich hoffe dir ist das klar."
"Muss ich mich jetzt schlecht fühlen?", fragte er traurig, doch ich konnte sein Grinsen förmlich hören. "Ja", antwortete ich deshalb kurz angebunden, aber lächelnd.
"Wie dem auch sei", wechselte Shawn das Thema. "Hast du heute was vor?" "Nein, noch nichts", erwiderte ich wahrheitsgemäß.
"Cool, kann ich später vorbeikommen?"
"Ja klar, gerne! Aber ich es gerade noch zu Mittag, ist es in einer Stunde okay?"
"Sicher."
"Okay, dann bis später!"
"Ja, bis dann!" Ich legte lächelnd auf und hatte für eine Sekunde das Geschenk vergessen. Als es mir kurz darauf wieder einfiel, warf ich die Gabel so fest auf dem Tisch, dass dieser eine kleine Delle hatte und wählte augenblicklich Lukes Nummer.
"Lyra?", meldete er sich.
"Okay, folgendes Szenario: Stell dir vor du bist nicht schwul, 19 Jahre alt, und ich kenne dich seit ungefähr zwei Monaten, muss dir aber etwas zu Weihnachten schenken. Was schenke ich dir?"
Es entstand eine kurze Stille, ehe er nachhakte: "Bin ich heiß?"
Ich verdrehte grinsend die Augen. "Tut das was zur Sache?"
"Ja, tut es. Also bin ich heiß?"
"Ja, du bist heiß", klärte ich lachend auf.
"Okay. Also ihr kennt euch ja jetzt noch nicht so lange, das heißt was super persönliches geht sowieso nicht wirklich, aber einfach irgendwas dummes kaufen ist auch blöd. Was du brauchst, ist genau ein Mittelding zwischen beiden Optionen."
"Aha. Bitte sprich weiter."
"Ihr habt bestimmt ein Foto zusammen, oder?" Ich dachte kurz nach.
"Ja, eins oder zwei vielleicht." "Zeichne doch einfach das Foto ab. Du kannst doch so gut realistisch zeichnen", schlug er vor.
"Das dauert zu lang, ich hab nur 2 Tage. Nicht mal. Aber die Idee an sich ist eigentlich gar nicht schlecht."
"Ich weiß, sie stammt ja auch von mir."
Ich lachte. "Denkst du, ich könnte einfach etwas zeichnen, und hinten auf die Zeichnung noch eine kleine Nachricht oder so drauf schreiben?" "Ja klar, wieso nicht."
"Danke, Luke! Du bist der Beste!" "Nichts zu danken, für dich doch immer." Ich lächelte, verabschiedete mich von ihm, legte auf und aß in aller Seelenruhe meine Nudeln auf."Naaa?", begrüßte mich Shawn, als er ins Haus trat. Er umarmte mich fest und sofort umhüllte mich der vertraute Geruch seines Parfüms. "Wie geht's dir heute?", wollte er wissen, als er sich die Schuhe von den Füßen striff und mir dann in die Küche folgte.
"Gut. Also wirklich. Aber mir ist heute so verdammt langweilig." Ich meinte es genauso, wie ich es sagte.
"Zum Glück bin ich jetzt da", er lächelte mich an und ich lächelte zurück.
"Ja, zum Glück."
"Also, was könnten wir tun, um deine Langeweile zu vertreiben?"
Er lief ins Wohnzimmer und ich folgte ihm. "Wir könnten zum Beispiel einen Schneemann bauen oder uns zusammen durch die Karte von einem Restaurant essen oder-" Er stoppte mitten im Satz und starrte auf den Baum in der Ecke.
"Was?", fragte ich belustigt.
"Du hast deinen Baum noch nicht geschmückt?!", gab er entgeistert von sich.
"Äh ja? Ist das so schlimm?" Er drehte sich zu mir um, nahm mich an den Schultern und schüttelte mich leicht. "Es ist...Es ist.... Ich kann es gar nicht in Worte fassen." Er machte eine dramatische Pause. "Es ist fatal." Um seine Performance abzurunden, ließ er mich los und fiel dramatisch zu Boden. Ich prustete laut los, während Shawn sich wieder aufrappelte. "Es ist mir egal, was du heute machen willst. Ich schmücke jetzt diesen Baum." Er lief zur Kellertreppe. "Wohin gehst du?",fragte ich, immer noch lachend. "Den Schmuck für den Baum suchen." "Der ist im Abstellraum, nicht im Keller", klärte ich ihn auf. Er machte sofort kehrt und lief zielsicher zum Abstellraum. "Das wusste ich." Ich fing erneut an zu lachen und sah Shawn dabei zu, wie er eine nach der anderen Kiste voll mit Lichterketten, Kugeln, Strohsternen, Kerzen und Lametta hervorzog. Als er alle Kisten ins Wohnzimmer gebracht hatte, begann er ohne ein weiteres Wort zu sagen, den Baum zu schmücken.
"Was, echt?" Er schaute mich grinsend an. "Wir schmücken den Baum jetzt wirklich?"
"Natürlich. Hier, du kannst mit den Kugeln anfangen." Er deutete auf die Kiste mit den roten Kugeln und ich nahm eine nach der anderen vorsichtig heraus, um sie an den Baum zu hängen. Shawn ließ Weihnachtsmusik von seinem Handy laufen und sang leise und gut gelaunt mit. Ich kann nicht sagen, dass ich wirklich in Weihnachtsstimmung war, aber irgendwann wurde aus Shawns leisem Singen ein sehr lautes, von meiner Seite aus, sehr falsches, Duett aus sämtlichen Liedern. Wir sprachen nicht, sondern hängten einfach nur laut grölend den Schmuck an den Baum, doch es war trotzdem einer meiner schönsten Nachmittage, den ich je hatte. Das Tageslicht draußen wurde immer weniger und als wir fertig waren, war es ganz weg. Mit den Händen in den Hüften betrachtete Shawn fachmännisch unser Werk. "Irgendwas fehlt doch", stellte er kritisch fest. Ich stellte mich neben ihn und musterte den Baum für einige Sekunden, bis ich es bemerkte. "Shawn! Wir haben den großen Stern an der Spitze vergessen!" Er klatschte sich mit der flachen Hand auf die Stirn. "Du hast Recht!" Ich nahm den größten Stern aus der Kiste und reichte ihn Shawn. "Hier du darfst ihn aufhängen, du hast es dir verdient." Er grinste und nahm den Stern freudig entgegen. Bevor er ihn auf die Spitze des Baumes stecken konnte, hielt er inne.
"Es ist dein Baum, du solltest den Stern aufhängen." Er überreichte mir den Stern, als wäre er ein Pokal oder etwas anderes wertvolles und unterdrückte dabei sein Lachen. "Das ist so eine Ehre für mich!" Ich legte meine Hand auf mein Herz um meine Worte zu unterstreichen. "Gemeinsam?"
"Gemeinsam", erwiderte er und wischte sich grinsed eine falsche Träne aus dem Augenwinkel.
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Deep Waters [german]
FanfictionLyras Leben ist beinahe perfekt. Sie muss sich wegen nichts sorgen und kann jeden Tag genießen. Doch von einem Tag auf den Anderen verändert sich alles. Ihre Familie ist in einen tragischen Autounfall verwickelt und sie ist die einzige Überlende, zu...