Demotiviert trottete ich in die Küche, um mir Abendessen zu machen. Es war der 24. Dezember. Der Weihnachtsabend. Normalerweise würde meine Mutter jetzt schon den Truthahn vorbereiten und viele leckere Speisen dazu. Ich wiederum wusste nichtmal, ob ich überhaupt noch etwas richtiges zu Essen da hatte.
Gerade als ich in den Kühlschrank blickte und dabei hoffte, Lebensmittel würden aus dem Nichts auftauchen, klingelte es an der Tür. Ich seufzte und schleppte mich zur Haustür. Welcher Idiot war am Weihnachtsabend unterwegs und klingelte bei mir? Mit einem Schwung öffnete ich die Tür.
"Shawn?", sagte ich verwundert, worauf er lächelte.
"Tut mir leid, ich weiß es ist unerwartet."
"Ist alles in Ordnung?", fragte ich vorsichtig nach.
"Ja, bei mir schon. Nur du", sagte er. "Du musst alleine Weihnachten feiern und das kann ich einfach nicht zulassen."
"Shawn, das ist mehr als in Ordnung für mich", winkte ich ab, obwohl ich mich wirklich einsam fühlte.
"Aber nicht für mich", erwiderte er. "Ich möchte, dass du mit mir kommst."
"Shawn", antwortete ich. "Danke für dein Angebot, aber ich will einfach nicht."
"Ach, komm schon!"
Ich verschränkte die Arme vor der Brust.
"Du weißt, dass ich kein Nein akzeptieren werde, Lyra", fügte er hinzu, worauf ich mit den Augen rollte, aber nachgab.
"Na schön!"
Shawn lächelte mich an. "Geht doch!"
"Aber ich muss mich noch fertig machen!", sagte ich, in der Hoffnung, er würde doch gehen.
"Kein Problem. Wir essen erst in einer Stunde", erwiderte Shawn.
Ich rannte die Treppen nach oben in mein Zimmer. Ich trug ein wenig Make-Up auf und durchforstete meinen Kleiderschrank. Ich wollte keinen schlechten Eindruck machen. Nicht zu schick und nicht zu bequem. Ich entschied mich letztendlich für einen roten Stickpullover und schwarze Leggings. Als ich mit meinem Look zufrieden war, lief ich die Treppen hinunter zu Shawn. Sein Geschenk hatte ich in meiner Tasche und es war mir total peinlich, ohne ein Geschenk für seine Eltern oder Schwester bei ihnen aufzukreuzen. Doch ich wusste, dass er mich sowieso nicht alleine lassen würde.
Shawn stand schon am Fuß der Treppe und blickte zu mir hoch.
"Wow", murmelte er mit einem Grinsen im Gesicht. "Du siehst toll aus."
Ich blickte nach unten, als ich vor ihm stand, um meine roten Backen zu verbergen. "Danke."
Shawn bot mir seinen Arm an, worauf ich kicherte und mich bei ihm unterhakte. Wir stiegen in sein Auto und obwohl ich seit dem Unfall schonmal im Auto gesessen hatte, wurde mir trotzdem etwas schlecht. Vorallem heute. Eigentlich sollte ich diesen Abend und den nächsten Morgen mit meiner Familie verbringen. Shawn wollte gerade das Auto starten, als ich meine Hand auf seinen Arm legte. "Warte."
Er erstarrte und blickte mich an.
"Tut mir leid", entschuldigte ich mich. "Es ist nur... das Auto und dieser Tag... und du."
"Ist schon in Ordnung", versicherte Shawn. "Keine Sorge."
Das letzte Mal, als ich mit Shawn in einem Auto gesessen war, hatte das ganze nicht gut geendet.
Ich atmete tief durch. "Okay."
"Bist du sicher?", hakte er vorsichtig nach.
"Ja, fahr schon los", forderte ich ihn auf, worauf er langsam das Auto startete.
Sobald wir losgefahren waren, entkrampfte sich mein Körper und ich entspannte mich ein wenig.
"Du bist dir sicher, dass ich dir heute nicht zur Last falle?"
"Du würdest mir nie zur Last fallen, Lyra."
Er legte seine Hand kurz auf meine, zog sie aber schnell wieder weg, nachdem er bemerkte, was er da getan hatte.
Die restliche Fahrt wurde nur leise von einem Ed Sheeran Song begleitet."Lyra! Wie schön, dass da da bist", jubelte Manny.
"Konnte Shawn dich doch noch überzeugen?", fügte Karen lachend hinzu.
"So in der Art", gab ich lachend zurück.
Shawn nahm mir meine Jacke ab, worauf ich mich bedankte.
"Oh!", rief Karen plötzlich.
"Was?"
"Ich sehe was, das ihr nicht seht", jubelte sie und kassierte damit verwirrte Blicke von Shawn und mir.
Sie deutete über unsere Köpfe. Ich blickte nach oben und sah den Mistelzweig im Hintergrund. Aaliyah lachte nur hinter ihren Eltern, die uns erwartungsvoll ansahen.
"Mom!", rief Shawn und warf dabei die Arme in die Luft.
"Es ist nunmal Pflicht", erwiderte Karen und zuckte mit den Achseln. Shawn blickte zu mir und sah mir wohl an, wie unwohl mir in dieser Situation war.
"Weißt du was?", sagte Shawn. "Ich werde Lyra mal das Haus zeigen. Sie ist ja zum ersten Mal hier."
Noch bevor seine Eltern antworten konnten, zog er mich schon mit sich die Treppen nach oben. Mein Herz raste immernoch wie verrückt.
Als wir oben angekommen waren, drehte Shawn sich zu mir. "Das tut mir so leid."
"Ist schon okay", winkte ich ab, obwohl die Situation total befremdlich gewesen war."Das ist also dein Zimmer?", fragte ich und blickte mich um.
"Fühl dich wie zu Hause", sagte er. "Mi casa es su casa."
Ich lachte und ließ mich auf seinem Sofa nieder.
Shawn blickte mich etwas peinlich berührt an.
"Hey, das muss dir nicht peinlich sein", sagte ich und klopfte neben mir auf das Sofa. Shawn setzte sich zu mir und lächelte mich an.
"Ich bin froh, dass du da bist. Ich hätte es gehasst, zu wissen, dass du den Abend alleine rumsitzt", sagte er.
"Danke", sagte ich lächelnd.
"Wofür?", fragte er verwundert.
"Für alles. In den letzten Wochen ging es mir wirklich schlecht und du bist mir nicht von der Seite gewichen, obwohl ich dich weggestoßen habe. Ohne dich ginge es mir wahrscheinlich jetzt noch miserabel."
"Keine Sorge, mich wirst du nicht so schnell los", sagte er. "Ich weiche dir nicht von der Seite, egal wie sehr du versuchst mich loszuwerden."Nach dem Essen, bei dem der Mistelzweig-Vorfall glücklicherweise nicht mehr erwähnt wurde, hatte Karen sich geweigert, mich nach Hause gehen zu lassen. Shawn hätte ja eine Schlafmöglichkeit in seinem Zimmer. Somit war ich praktisch gezwungen zu bleiben.
Nachdem ich mir von Aaliyah Abschminktücher ausgeliehen hatte, ging ich zurück in Shawns Zimmer. Er kam gerade aus dem Badezimmer und trug nur eine Jogginghose. Kurz starrte ich auf seinen Oberkörper, bevor ich mir die Augen zuhielt. "Tut mir leid."
Shawn nahm meine Hände, sodass ich ihn wieder ansah. "Hör auf dich zu entschuldigen."
"Okay", murmelte ich und spürte wieder diese tiefe Spannung zwischen uns.
Shawn räusperte sich und griff nach einem Shirt, dass er mir in die Hand drückte. "Ich will ja nicht, dass du darin schlafen musst."
Ich lächelte. "Danke."
Im Badezimmer zog ich Shawns Shirt über, welches mir knapp über den Hintern reichte. Ich lief wieder zurück in sein Zimmer. Er saß auf der Couch und blickte auf sein Handy. Als er mich bemerkte, stand er auf und lächelte. "Steht dir."
"Halt die Klappe", erwiderte ich.
"Nimm du das Bett."
"Ich kann auch auf dem Sofa schlafen", winkte ich ab.
"Nein, ist schon in Ordnung."
Nach einer kurzen Diskussion akzeptierte ich es und legte mich in sein Bett. Er ging mir nicht aus dem Kopf. Lächelnd und umhüllt von seinem Duft, schlief ich schließlich ein.
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Deep Waters [german]
FanfictionLyras Leben ist beinahe perfekt. Sie muss sich wegen nichts sorgen und kann jeden Tag genießen. Doch von einem Tag auf den Anderen verändert sich alles. Ihre Familie ist in einen tragischen Autounfall verwickelt und sie ist die einzige Überlende, zu...