Als ich das erste Mal aufwachte, hielt Shawn mich fest in seinen starken Armen. Ich blinzelte und warf einen Blick auf die Uhr: 6:32. Da es noch so früh war und ich Shawn nicht wecken wollte, schloss ich die Augen also einfach wieder, kuschelte mich noch ein Stück näher an ihn und schlief wieder ein.
Als ich zum zweiten Mal an diesem Morgen erwachte, war Shawn bereits aufgestanden, denn ich war allein im Bett. Mühsam richtete ich mich auf und rieb mir den Schlaf aus den Augen. Die Uhr verriet mir, dass es jetzt bereits kurz vor 10 war, also lief ich ins Bad, duschte mich kurz ab und warf mir ein viel zu großes, altes Shirt von meinem Dad über, dass mir beinahe bis zu den Knien reichte. Während ich die Treppen herunterging, umhüllte mich der himmlische Geruch von Pancakes und ich folgte ihm in die Küche.
Shawn stand konzentriert am Herd und legte gerade einen Pancake auf einen Teller, als er mich hörte und sich zu mir umdrehte."Wow",sagte er und starrte mich fasziniert an.
"Wow", gab ich zurück. Shawn hatte nur seine Boxershorts an und sonst nichts. Gestern Nacht war ich zu müde gewesen, um seinen Körper zu betrachten, doch jetzt konnte ich meinen Blick nicht von ihm wenden. Die Muskeln umspielten seinen Körper so perfekt, dass er beinahe nicht echt aussah. Er hatte genau die richtige Muskelmasse an genau den richtigen Stellen. Seine dunklen Haare waren noch vom schlafen verwuschelt und seine Augen funkelten amüsiert.
"Soll ich noch für dich posen?", fragte er, um mich zu necken.
"Nein. Nein, danke", erwiderte ich und boxte ihm sanft in die Seite. Er grinste mich verschmitzt an und widmete sich dann wieder den Pancakes.
"Du hättest kein Frühstück machen müssen." Ich fühlte mich fast schlecht, weil er hier in der Küche gestanden hatte, während ich noch seelenruhig geschlafen hatte.
"Ich wollte aber."
Ich seufzte. "Wie du willst, aber ich decke den Tisch."
Während Shawn den letzten Rest des Teiges in Pancakes verwandelte, deckte ich den Tisch und presste frischen Orangensaft aus ein paar verschrumpelten Orangen, die schon seit Ewigkeiten in der Küche herumlagen.
"Guten Appetit!"
"Danke, den wünsche ich dir auch." Ich lächelte Shawn dankbar an und schob mir fröhlich ein Stück der Pancakes in den Mund, mit der Gewissheit, dass sie fantastisch schmecken würden. Die meiste Zeit während des Frühstücks waren wir still und aßen genüsslich, die Stille wurde nur von gelegentlichen, unwichtigen Floskeln durchbrochen. Shawn und ich waren zum Glück schon längst über den Punkt hinaus, an dem sämtliche Stillen peinlich sind und man anfängt über irgendeinen Müll zu reden, damit man sich nicht so komisch fühlt. Ich wollte gerade nur essen und nicht reden und Shawn sah das anscheinend genauso.
"Also nochmal danke", bedankte ich mich erneut und räumte die Teller in die Geschirrspülmaschine.
"Nichts zu danken, wirklich Lyra. Ich dachte mir, wenn ich es schon mit dir aushalten muss, dann soll es wenigstens erträglich sein", sagte er provokant. Ich lachte und verdrehte die Augen. "Du kannst auch gerne gehen."
"Ha ha, sehr witzig." Nachdem die Küche wieder sauber war, wanderte ich planlos ins Wohnzimmer und ließ mich vor dem Regal mit den Filmen nieder.
"Schon wieder?", wollte Shawn wissen.
"Nein, kein Film. Nicht heute...aber..." Triumphierend nahm ich die Hülle des Mario Kart Wii Spiels aus dem Regal und warf sie strahlend zu Shawn. Er sah das Spiel für den Bruchteil einer Sekunde an und schaute mich dann mit einem Blick an, der töten könnte: "Ich werde dich sowas von fertig machen." Mir war bewusst, dass ich ein miserabler Mario Kart Spieler war, aber das musste er ja nicht wissen.
"Da wäre ich mir nicht so sicher", forderte ich ihn deshalb heraus und nahm zwei Wii Fernbedienungen aus einer Schublade.
"Mach dich bereit für deinen Untergang", fügte ich noch dramatisch hinzu und Shawn sah mich mit schiefen Blick an, bevor wir beide losprusteten.
Dank meiner nicht vorhandenen Spielkünste verlor ich ausnahmslos jedes Rennen und Shawn machte mich gnadenlos fertig und freute sich darüber wie ein kleines Kind. "Gegen mich zu gewinnen ist aber auch nicht schwer", sagte ich lachend.
"Achso, auf einmal." Wir entschlossen uns, etwas anderes zu tun, als es schon Nachmittag war. Eigentlich beschloss ich es eher, denn das ständige Verlieren war ziemlich frustrierend.
Wir saßen auf dem Sofa und unterhielten uns einfach, als mein Blick auf die Gitarre fiel, die von gestern noch hier stand.
"Spielst du mir nochmal was vor?" Shawn überlegte kurz und antwortete dann: "Äh...Nein."
Verdutzt sah ich ihn an, da ich diese Antwort nicht erwartet hatte. "Aber...", er zog das 'A' in die Länge,"ich bringe dir bei wie man spielt." Er stand auf und griff nach der Gitarre um sie mir zu reichen.
"Ich glaube nicht, dass das ein Spaß wird", lachte ich.
"Ach was, so schwer ist es nicht",ermutigte er mich und setzte sich wieder zu mir. Er zeigte mir einige einfache Akkorde und Schlagmuster. Ich gab wirklich mein bestes, aber irgendwie schien es mir nicht zu liegen, denn selbst Shawn begann langsam aber sicher zu verzweifeln. Und Sätze wie "Nein, nein, nein. Dein Mittelfinger muss nicht auf diese Saite" oder "Du musst die Saiten fester runterdrücken", die er am Anfang noch lachend gesagt hatte, waren jetzt eher ungeduldig. "Ich hab dir gesagt, dass ich es nicht kann", sagte ich schuldbewusst und sah ihn entschuldigend an.
"Kein Problem, ich hab ja darauf bestanden." Er rutschte näher und legte seine Hand auf meine, um mir erneut die Griffe zu zeigen. Eine gute Stunde später konnte ich die einfachsten Akkorde sogar ganz gut spielen und Shawn war ziemlich stolz auf mich.
"Genug für heute", sagte er schließlich.
"Genug für immer. Nichts für Ungut, aber das Gitarrespielen überlasse ich dir", erwiderte ich mit einem entschuldigenden Lächeln auf den Lippen. Er stand auf und stellte die Gitarre zurück, sein Blick blieb dabei an einem der vielen Bilder hängen, das an der Wand hing. Es zeigte mich und Cami nach einem Auftritt. Es war letztes Jahr um diese Zeit aufgenommen worden und ich verband es mit vielen schönen Erinnerungen.
"Ich hätte sie gerne mal tanzen gesehen."
"Sie war großartig." Ich stellte mich neben ihn und betrachtete das Foto. "Cami sprühte beim Tanzen immer nur so vor Energie und Leben." Er nickte und blieb still. Auf einmal fiel mir etwas ein.
"Warte hier." Ich lief schnell in das Büro meines Vaters und holte aus einem der vielen Regale eine selbstgebrannte DVD.
"Tada", stolz präsentierte ich ihm den Film.
"Was ist das?", wollte er wissen. "Ein Video von Cami beim Tanzen, sie war damals noch klein. Willst du es sehen?"
"Ja, gerne...ich meine, wenn es für dich okay ist?"
"Das schaffe ich schon." Ich zwinkerte ihm zu und legte die DVD ein. Einige Sekunden später erschien Cami auf dem Bild. Sie war vielleicht 7 Jahre alt, maximal 8.
"Sie war ein richtig süßes Kind",sagte Shawn.
"Süß, aber auch ziemlich nervig", lachte ich.
"Ja, das kenne ich von Aaliyah." Ich setzte mich neben ihn und sah auf den Bildschirm. Cami stand zusammen mit einigen anderen kleinen Mädchen auf einer Bühne. Sie trug ein blaues Tutu und hatte ihre Haare in einem typischen Ballet-Dutt hochgesteckt. Es war so niedlich wie sie ihre kleinen Ärmchen über ihren Kopf streckte und die Tanzschritte so gut ausführte wie es nur ging. Ich begann zu lächeln und ohne dass ich es wollte rollten mir leise Tränen die Wangen hinunter. Shawn bemerkte das und zog mich näher zu sich und strich mir behutsam übers Haar. Er hatte Cami nicht gekannt, aber ich sah, dass seine Augen nass wurden. Als das Video zu Ende war wischte ich mir die Augen mit meinem Shirt trocken und lachte Shawn an.
"Tut mir leid, ich wollte nicht so emotional werden."
"Muss es nicht." Jetzt, wo die ersten Tränen geflossen waren, hätte ich wieder richtig losweinen können, doch ich riss mich vor Shawn zusammen. Wir verharrten mehrere Minuten dicht beieinander in den Armen des jeweils anderen und sagten nichts. Das Klingeln von Shawns Handy riss uns aus der Trance. "Hallo?"
Ich ließ Shawn alleine telefonieren und ging in die Küche, um etwas zu trinken. Bereits nach kurzer Zeit kam er wieder zu mir. "Das war meine Mutter. Der Sturm ist vorbei und sie sagt, ich soll nach Hause kommen." Ich nickte. "Ja klar." Auch wenn ich ihn gerne noch länger bei mir gehabt hätte, ließ ich ihn gehen.
"Auch wenn ich gezwungenermaßen hier war, ich fands echt schön." Er lächelte und sah mir direkt in die Augen. "Ja ich auch." Am Türrahmen angelehnt sah ich ihm zu, wie er seine Schuhe und Jacke anzog. "Also dann.." Er zog mich in eine Umarmung. "Bis bald, Shawn." "Ich zähle schon die Tage",erwiderte er lachend und im nächsten Moment war er weg.
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Deep Waters [german]
FanfictionLyras Leben ist beinahe perfekt. Sie muss sich wegen nichts sorgen und kann jeden Tag genießen. Doch von einem Tag auf den Anderen verändert sich alles. Ihre Familie ist in einen tragischen Autounfall verwickelt und sie ist die einzige Überlende, zu...