- 32 -

912 49 2
                                    

Ich starrte auf die geöffnete Internetseite über die Uni in Vancouver. Ich hatte mich fast schon ein bisschen in sie verliebt, trotzdem zog ich Ontarios Uni ebenfalls in Betracht. In meinen Kopf hatte ich bereits eine Pro und Contra Liste erstellt.

Pro Vancouver: eine der besten Unis in Kanada

Contra Vancouver: Shawn

Contra Ontario: Nicht so gut wie Vancouver

Pro Ontario: Shawn, Shawn, Shawn, Shawn, Shawn.

Ich schloss das Fenster und bewegte meine Maus zu dem Senden-Button meiner Emails. Ohne weiter nachzudenken, klickte ich ihn und sendete somit meine erste Bewerbung nach Vancouver. Ich öffnete die zweite Email, die ich an Ontario geschrieben hatte und sendete sie ebenfalls ab.
Bedrückt ließ ich mich in den Stuhl fallen.
Natürlich musste ich Shawn von den Unis erzählen und natürlich musste ich in Betracht ziehen, dass unsere Beziehung sehr darunter leiden könnte, wenn ich mich für Vancouver entscheiden würde.
5 Flugstunden. 5 verdammte Flugstunden würden mich von Shawn trennen. Aber es waren auch 5 Flugstunden, die mich von meiner Traumuni trennten. Ich gab einen frustrierten Seufzer von mir, stand auf und fuhr den Computer herunter. Mein Weg führte mich in die Küche, es war bereits nach 19 Uhr und mein Magen grummelte bereits länger. Ich griff nach einem Topf und ließ Wasser hineinlaufen. Wie fast jeden Tag wollte ich mir Nudeln machen. Ich muss gestehen, ich war ziemlich einfallslos, wenn es ums Kochen ging und außerdem auch zu faul dazu. Ich wusste, dass meine Ernährung wahrscheinlich eher weniger gesund war, aber ich machte viel Sport, um es auszugleichen. Während die Nudeln im Wasser kochten, bereitete ich in einer Pfanne eine Sahne-Soße zu. Als mir der Geruch in die Nase stieg, brummte mein Magen nur noch lauter und ich war froh, als die Nudeln endlich al dente waren.
Um die Stille des leeren Hauses zu übertönen, schaltete ich den Fernseher ein und schaute während dem Essen eine Dokumentation. Als ich fertig gegessen hatte, räumte ich alles in den Geschirrspüler und legte mich zurück aufs Sofa. Die Doku war unfassbar langweilig und als mein Handy vibrierte dauerte es keine 5 Sekunden, bis ich nachsah, wer mir geschrieben hatte.

Shawn: Hast du heute Abend noch was vor? ❤️😏

Ich lächelte beim Lesen der Nachricht und antwortete sofort.

"Nein...ich schaue grade nur so eine blöde Doku und langweile mich zu Tode"

Shawn: Ich bin in 15 Minuten da❤️

Bevor Shawn kam, checkte ich noch mein Aussehen im Spiegel. Es machte keine Sinn, ich weiß. Shawn hatte mich wirklich schon am Tiefpunkt meines Lebens gesehen und wir waren wirklich vertraut miteinander, doch trotzdem wollte ich für ihn gut Aussehen. Ich sah relativ passabel aus, weswegen ich auf einen Gang ins Bad verzichtete und einfach vor dem Fernseher auf Shawn wartete. Exakt eine Viertelstunde später klingelte es an der Tür.
Ich stand vom Sofa auf und lief zu Tür.
"Hey Baby!", begrüßte Shawn mich freudig, nachdem ich ihm die Tür geöffnet hatte.
"Hey", erwiderte ich lachend. Er zog mich zu sich und küsste sanft meine Lippen, die sich nach seinen gesehnt hatten. Seine Hände verweilten noch einen Moment auf meinen Hüften, ehe er sich langsam von mir löste und seine Jacke und Schuhe auszog. Ich betrachtete ihn liebevoll. Seine Haare waren verwuschelt und einzelne Löckchen fielen ihm auf die Stirn. Er trug nur eine graue Jogginghose und ein schwarzes T-Shirt, doch er sah aus, als wäre er einer Werbung entsprungen.
"Du starrst", machte er mich schmunzelnd aufmerksam. Mein Blick wanderte von seinem göttlichen Körper zu seinem ebenso schönen Gesicht.
"Ich bin deine Freundin", erklärte ich langsam, machte einem Schritt auf ihn zu und damit die Distanz zwischen uns zunichte. Meine Hand verweilte auf seiner Brust und ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um einen sanften Kuss auf seinem Hals zu platzieren. "Ich darf dich anstarren."
Seine Reaktion war mehr als befriedigend für mich. Als ich wieder zurücktreten wollte, zog er mich an meinem Po zu sich zurück. Seine braunen Augen glitzerten dunkler als sonst.
"Du machst mich verrückt, wenn du dich so verhältst", murmelte er, seine Stimme klang beinahe etwas kratzig. Ich grinste ihn schelmisch an, wohlwissend, was ich für eine Wirkung auf ihn hatte, riss mich von ihm los und zog ihn an der Hand ins Wohnzimmer, wo noch immer die Doku lief.
"Quäl mich doch nicht so, Baby!", stöhnte er frustriert und ließ sich neben mich auf das Sofa fallen. Ich gab ihm einen Kuss auf die Nasenspitze und er verdrehte lächelnd die Augen.
Er legte seinen Arm um mich und ich kuschelte mich an seine Brust. Still folgten wir beide für einige Minuten der Doku. Ich atmete Shawns Geruch tief ein und auf einmal schossen mir meine Sorgen wieder in den Kopf.
"Shawn?" Seine Augen lösten sich vom Bildschirm und er schenkte mir einen warmherzigen Blick.
"Was ist?" Ich rutschte ein Stück von ihm weg, um mich aufzurichten. "Ich hab mich wegen den Unis informiert. Du weißt ja, dass ich mich umschauen wollte." Er nickte. "Ich habe zwei Bewerbungen abgesendet und.. Eine davon ging nach Ontario-"
"Das ist doch perfekt!", unterbrach er mich. "Dann könnten wir uns an den Wochenenden immer besuchen." Er lächelte mich voller Freude an.
"Und.. Und die zweite Bewerbung ging an eine Universität in Vancouver." Ich konnte förmlich sehen, wie Shawns Lächeln aus seinem Gesicht fiel.
"Vancouver?", wiederholte er ungläubig und sah mich geschockt an. "Ja.. Es ist eine der besten Universitäten in Kanada und ich habe wirklich eine Chance, angenommen zu werden", fügte ich kleinlaut hinzu.
"Lyra, ist dir bewusst, wie weit Vancouver weg von hier ist?" Ich bemerkte, dass er versuchte, sich nicht aufzuregen, doch seine Stimme war etwas lauter geworden und ich konnte seine Enttäuschung und Wut darin hören.
"5 Flugstunden", informierte ich ihn seufzend und rieb mir die Schläfen. "Aber vielleicht nehmen sie mich sowieso nicht an."  Shawn warf mir einen verärgerten Blick zu und stand energisch auf.
"Und was wenn sie dich nehmen? Was, wenn du dich zwischen Ontario und Vancouver entscheiden musst?", fragte er. Ich wusste genau, was er hören wollte, doch es wäre nicht die Wahrheit gewesen.
"Ich weiß es nicht. Vancouver ist einf-"
"Wow, Lyra, wow. Wir sind grade mal ein paar Wochen zusammen und du willst mich quasi wieder verlassen? Für eine Uni?" Er sah mich entsetzt an. 
"Okay, hör zu, Shawn. Zuerst einmal, nur weil ich vielleicht nach Vancouver gehe, heißt das doch nicht, dass ich dich verlasse. Und bis dahin sind es auch noch ein paar Wochen. Ich will nicht so weit von dir entfernt sein, glaub mir, aber Vancouver ist extrem wichtig für meine Zukunft." "Und ich bin nicht wichtig für deine Zukunft?" Seine Stimme war wieder leiser. Er klang immer noch verärgert, doch die Enttäuschung in seiner Stimme hatte die Oberhand  gewonnen. In seine Augen sah ich, dass meine Worte ihn verletzt hatten. Ich stand auf und lief zu ihm. "Natürlich bist du wichtig für meine Zukunft. Ich will nur, dass du verstehst, dass ich meine Chancen in Vancouver wahrnehmen muss." Ich strich ihm sanft durchs Haar und sah ihn entschuldigend an.
"Und ich will nur, dass du verstehst, dass ich dich nicht verlieren will." Er klang niedergeschlagen.
"Oh, Shawn." Ich küsste liebevoll seine Wange. "Du wirst mich nicht verlieren", versprach ich. "Lass uns einfach abwarten, ob sie mich überhaupt annehmen und dann entscheiden wir." Ich schenkte ihm ein zuversichtliches Lächeln, doch er sah mir nicht ins Gesicht. Ich nahm sein Kinn in meine Hand und drehte seinen Kopf zu mir. "Okay?" "Okay", gab er seufzend nach und platzierte geknickt einen Kuss auf meinen Scheitel.

Deep Waters [german]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt