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"Andrew arbeitet für Island Records und sie haben mir einen Vertrag angeboten", platzte es aus Shawn heraus. Ich befreite mich aus seinen Armen, setzte mich hin und schenkte ihm dann ein unfassbar stolzes Lächeln.
"Shawn, das ist doch fantastisch! Das ist die Chance, deine Träume zu verwirklichen!" Freude durchströmte meinen gesamten Körper, denn ich wusste ganz genau, wieviel Shawn die Musik bedeutete und ich wusste ganz genau wie gut er war, und dass er es zu etwas bringen könnte. 
"Ja, ich weiß,Lyra", erwiderte er mit leiser Stimme und sah seine Hände an.
"Ach, komm schon. Was gäbe es für einen Grund, um dieses Angebot abzulehnen?" Ich gab ihm einen spielerischen Klaps auf die Brust um ihn aufzumuntern, aber seine Miene blieb finster. Er richtete sich langsam auf und verließ das Bett. Seine Hand fuhr nervös durch sein braunes Haar. "Shawn?", fragte ich, nun doch etwas beunruhigt. 
"Ich müsste nach New York. Dort ein paar Songs aufnehmen und sehen wie es läuft", erklärte er widerwillig.
Die Anspannung fiel von mir ab. "Na und? Wenn du zwei, drei Wochen nicht da bist, bekomme ich das sowieso nicht mit, wenn ich auf dem College bin." Ich lächelte ihn aufmunternd an.
"Lyra, wir reden hier nicht über zwei oder drei Wochen. Es geht um mehrere Monate."
"Was?"
"Ich würde mehrere Monate in New York leben."
Ich blieb still. Ich wusste nicht recht, was ich sagen sollte. Die Neuigkeiten hatten mich einfach aus der Bahn geworfen. "Es wäre natürlich scheiße, weil wir uns dann noch seltener sehen können, aber ab und zu schaffen wir es vielleicht uns zu besuchen", versicherte er mir. "Wir werden das schon hinbekommen."
Mein kalter Blick traf seinen. "Du hast das Angebot schon angenommen?", fragte ich und versuchte mit normaler Lautstärke zu sprechen.
"Ja, nächste Woche geht es los." Ich sprang auf und sah ihn wütend an. "Shawn, ist dir bewusst wie verdammt unfair du dich mir gegenüber verhältst?"
Shawn, der bis jetzt nervös in meinem Zimmer umhergetigert war, hielt inne und sah mich verwirrt an. "Unfair? Was ist an meinem Verhalten unfair? Ich hab die Chance meines Leben bekommen, sie nicht zu ergreifen, wäre einfach nur dumm. Nur weil ich in New York bin, ist unsere Beziehung nicht zu Ende, Lyra. Ich liebe dich und du liebst mich. Wir kriegen das hin."
Sein Lächeln war zwar echt, aber die Verunsicherung in seinem Blick war nicht zu übersehen. Er war sich nicht unsicher, ob seine Worte stimmten, aber ich konnte die Wut, die in mir kochte nicht länger verbergen und ich wusste, dass er nicht den leisesten Schimmer hatte, wieso ich sauer war.
"Unfassbar", schnaubte ich und warf die Hände in die Luft. "Ich habe von Vancouver eine Zusage bekommen. Eine der besten Unis, schon vergessen? Das war auch die Chance meines Lebens und ich habe sie vorüberziehen lassen, weil du mich darum gebeten hast. Weil du dachtest, die Beziehung geht daran kaputt. Und springst bei der nächstbesten Gelegenheit in einen Flieger nach New York?!" Meine Stimme war lauter geworden, als ich es gewollt hatte, aber wenigstens schien Shawn nun verstanden zu haben, worum es mir ging.
"Versteh doch, bei mir ist es anders. Du hast immer noch die Chance auf einen-"
"Es ist verdammt nochmal kein bisschen anders!", schrie ich fast. "Wir führen eine Beziehung und es sollte nicht so sein, dass ich dir alles gebe und du mir alles nimmst, Shawn!"  Ich merkte ganz genau, wie auch er langsam wütend wurde, aber es war mir egal.
"Ich nehme dir gar nichts! Du bist hier, hast einen guten Studienplatz und später immer noch Chancen auf einen guten Job", erwiderte er eingeschnappt, "Wenn ich nicht nach New York gehe, wars das für mich!"
"Wow, Shawn. Danke", fauchte ich.
"Was soll ich tun, das Angebot ablehenen, nur um bei dir sein zu können?"
"Genau das hast du von mir verlangt!" Ich war rasend vor Wut.
"Aber es ist anders. Du kannst das nicht vergleichen", schrie er und ich zuckte zurück. Ich stand am anderen Ende des Raumes und versuchte den Kloß in meinem Hals herunterzuschlucken, während ich Shawn traurig ansah. Verzweiflung hatte meine Wut ersetzt. Konnte er nicht wenigstens versuchen, mich zu verstehen?
"Du hast mich nichtmal gefragt was ich von der Idee halte. Und was hab ich damals gemacht? Ich hab dir davon erzählt und du hast mich vor ein Ultimatum gestellt. Du hast mir keine Wahl gelassen", sagte ich leise.
In Shawns Augen erneut die Verunsicherung aufleuchten sehen. "Oh bitte, du wusstest, ich hätte dich nicht verlassen", argumentierte er herablassend.
"Was würdest du tun?"
Er sah mich fragend an. "Was würdest du tun, wenn ich dir ein Ultimatum stellen würde?"
Für den Bruchteil einer Sekunde war die Wut in seinem Gesicht nicht mehr zu erkennen. Da war nur noch Trauer und Angst. "Das würdest du niemals tun. Du liebst mich." Meine Augen füllten sich mit Tränen und machten mir es schwer, scharf zu sehen.
"Und ich dachte du liebst mich, als du mich vor die Entscheidung gestellt hast", brachte ich hervor. Ich wollte nicht mehr mit ihm diskutieren, denn er war nicht einmal ein winziges bisschen einsichtig. Ich hatte gehofft, er würde mir sagen, dass er mich auch liebte, aber er tat es nicht und es tat verdammt weh.
"Tut das was zur Sache? Ich werde nach New York gehen und damit Ende."
Die Kälte und emotionslosigkeit seiner Stimme ließen mich schaudern. "Okay."
Ich wollte nicht mehr streiten. "Geh bitte", forderte ich ihn auf.
"Was?"
"Verschwinde, Shawn." Ich ging zur Tür und öffnete sie.
"Du schmeißt mich raus?",fragte er und gab ein ersticktes Lachen von sich.
Ich antwortete nicht, sondern starrte ihn einfach nur an und wartete darauf, bis er mein Zimmer verließ.
Es dauerte einen kurzen Moment, bis er sich vom Fleck bewegte und langsam durch die Tür ging. In der Sekunde, in der er im Gang war, warf ich die Tür hinter ihm zu, ließ mich auf mein Bett fallen und ließ den Tränen freien Lauf.

Deep Waters [german]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt