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Nachdem ich tagelang Stellenangebote durchsucht hatte, fand ich eine Anzeige eines Tierarztes, der Aushilfen suchte. Ich hatte sofort meine Bewerbung abgeschickt und hatte wenige Tage später eine Zusage bekommen.
Ich hatte schon eine Woche dort gearbeitet und der Job gefiel mir ziemlich gut. Ich half an der Rezeption, nahm unsere kleinen Patienten auf und war hauptsächlich für die Beruhigung der Tiere zuständig. Man hatte mir Grundlagen gezeigt, zum Beispiel wie Spritzen geben oder Blut abnehmen.
"Sehr gut", lobte Dr. Knight, als ich dem kleinen Dalmatiner vorsichtig eine Spritze verpasste. "Sie haben ruhige Hände."
"Danke", erwiederte ich und legte die Spritze beiseite, bevor ich einen Blick auf die Uhr warf.
"Sie können dann nach Hause gehen. Das war der letzte für heute", sagte er.
"In Ordnung", gab ich zurück und wollte gerade gehen, als ich mich nochmals zu ihm umdrehte. "Dr. Knight?"
"Ja?", erwiderte er und blickte mich fragend an.
"Ich will Medizin studieren. Denken Sie das käme für mich infrage?"
"Wie ich schon sagte. Sie haben ruhige Hände, sie sind freundlich und mitfühlend. Ich denke, das wäre das richtige für Sie."
"Okay", sagte ich. "Vielen Dank! Und bis Donnerstag!"
Ich verabschiedete mich von meiner Kollegin Sonya und stieg außerhalb der Praxis in mein Auto. Seit ich wieder regelmäßiger fuhr, wurde ich sicherer auf der Straße und bekam kaum noch Herzrasen, wenn ich den Motor startete. Ich hatte Kaitlyn versprochen, bei ihr vorbeizukommen, um ihr beim Packen zu helfen. Schon nächste Woche würde sie aufs College gehen, um Kommunikationsdesign zu studieren, weshalb sie schon in zwei Tagen abreisen musste. Natürlich war das irgendwie ein Schlag ins Gesicht. Adam war schon vor zwei Wochen weggezogen und studierte Architektur und jetzt würde meine beste Freundin, die ich schon seit meiner Kindheit kannte, auch noch Pickering verlassen. Es fühlte sich komisch an, als einzige noch keinen Studienplatz zu haben. Auch ich musste mich langsam auf meine Zukunft fokussieren, immerhin konnte ich nicht ewig in Pickering bleiben. Jetzt da ich eigentlich wusste, dass ich Medizin studieren wollte, konnte ich mich auf das nächste Semester bewerben. Als ich in Kaitlyns Einfahrt stand, sah ich auf mein Handy und hatte eine Nachricht von Shawn: Hey, wie war dein Tag? ❤ Ich vermisse dich.
Ich lächelte und schrieb kurz zurück. Mein Tag war ziemlich gut, bis auf sie Tatsache, dass ich dich mehr vermisse.
Ich stieg aus dem Auto und klingelte an Kaitlyns Tür. Nur wenige Sekunden stand meine beste Freundin vor mir und fiel mir um den Hals.
"Hey", begrüßte ich sie fröhlich.
"Lyra", rief sie und drückte mich fest. "Komm rein!"
Wir gingen rauf in ihr Zimmer, in dem schon einige Kartons standen.
"Ich bin froh, dass du endlich da bist", sagte Kaitlyn. "Dieses ganze Packen ist echt langweilig."
"Aber es lohnt sich", fügte ich hinzu. "Müssen die alle mit?"
Ich deutete auf den Haufen Klamotten auf dem Bett.
"Jep!", erwiderte sie. "Danke übrigens, dass du mir hilfst."
"Kein Problem", antwortete ich. "Freust du dich schon aufs College?"
"Ich bin nervös, ehrlich gesagt", gab Kaitlyn zu und warf ein paar Shirts in den Karton. "Irgendwie sind die letzten Jahre so schnell vergangen. Klar, ich freue mich, aber ich habe das Gefühl, dass ich dafür irgendwie nicht bereit bin."
"Kaitlyn", sagte ich und fasste sie an den Schultern. "Wenn jemand bereit dafür ist, dann du."
Sie lächelte mich mit Tränen in den Augen an und umarmte mich. "Ich werde dich so vermissen, Lyra."
"Ich dich auch", schluchzte ich. Obwohl ich inzwischen über den Tod meiner Familie hinweg war, brauchte ich Kaitlyn trotzdem. Sie war immer wie eine Schwester für mich gewesen. Ich wusste, dass wir in Kontakt bleiben würden, doch trotzdem hatte ich Angst, sie zu verlieren.
"Wie sieht's eigentlich bei dir aus?", fragte Kaitlyn nach, als sie sich aus der Umarmung löste. Ich widmete mich wieder dem Packen und zuckte mit den Achseln.
"Ich will Medizin studieren. Das will ich wirklich. Die besten Universitäten sind eben nur in Großstädten... Vancouver zum Beispiel ist ziemlich renommiert."
"Wow, von Pickering nach Vancouver", sagte Kaitlyn. "Was sagt Shawn dazu?"
"Eigentlich", zögerte ich. "Also, ich habe noch nicht mit ihm geredet."
"Weiß er denn, was er machen will?"
"Ich denke, er würde gerne singen, aber es ist ja ziemlich schwer, einen Vertrag zu kriegen", erklärte ich. "Und in Vancouver werde ich sowieso nicht angenommen, aber vielleicht an einer Uni in Ontario. Dann sind wir nicht weit voneinander entfernt."
"Lyra, wenn du in Vancouver angenommen wirst, dann gehst du gefälligst nach Vancouver."
"Davon kann ich nur träumen! Ich muss mich sowieso erstmal bewerben und dann sehen wir weiter", sagte ich.
"Du hast recht", stimmte Kaitlyn zu. "Wo wir schon von Shawn sprechen, wie war es bei der Hochzeit?"
"Es war schön", sagte ich. "Warte!"
Ich zog mein Handy aus der Tasche und zeigte ich ein Bild von mir und Shawn bei der Hochzeit seines Cousins. Im Anzug sah er verdammt gut aus und lächelte in die Kamera.
"Ihr werdet wunderschöne Kinder haben", schwärmte Kaitlyn.
"Halt die Klappe", erwiderte ich und steckte mein Handy zurück in die Hosentasche.
"Aber ehrlich, Lyra. Ihr seid noch nicht allzu lange zusammen und er hat dich zu einer Hochzeit eingeladen!", jubelte Kaitlyn. "Er muss es ja wirklich ernst mit dir meinen. Immerhin wollte er dich seiner Familie vorstellen!"
"Das ist doch nichts besonderes", winkte ich ab, worauf ich von Kaitlyn unterbrochen wurde.
"Er hat dich seiner Familie vorgestellt", sagte sie. "Nicht nur seinen Eltern, sondern seiner ganzen Familie. Man macht sowas nicht, wenn man nicht Hals über Kopf in jemanden verliebt ist. Er meint es wirklich ernst mit dir, Lyra. Wahrscheinlich stellt er sich schon eure Zukunft vor, mit einem Haus in Pickering und kleinen Shawns und Lyras, die überall in der Gegend rumlaufen!"
"Kaitlyn", sagte ich. "Ich liebe ihn auch, aber das ist noch lange kein Grund auszurasten."
"Was hast du da eben gesagt?", hakte sie nach.
"Dass du dich beruhigen sollst", wiederholte ich.
"Du hast gesagt, dass du ihn liebst, Lyra."
"Ach du Scheiße, das hab ich wirklich gesagt", erwiderte ich und setzte mich auf das Bett.
"Hast du es ihm schon gesagt?", fragte Kaitlyn nach.
"Offensichtlich nicht."
"Er muss es zuerst sagen", stimmte Kaitlyn zu.
"Und jetzt wechseln wir bitte das Thema", sagte ich und atmete tief ein.
"Ist gut", erwiderte Kaitlyn. "Ich hoffe meine Mitbewohnerinnen im Wohnheim sind nur halb so nett wie du."
"Bestimmt", ermutigte ich sie. "Und außerdem kommst du doch mit jedem klar."
"Ich hoffe damit hast du recht", sagte sie. "Wie wär's mit Pizza zum Abendessen?"
"Ich dachte, du fragst nie."

Deep Waters [german]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt