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"Hey!" Luke grinste mich breit an, als er zur Seite trat, damit ich ins Haus gehen konnte. Nachdem ich so viel Spaß mit Shawn gehabt hatte, hatte ich mich mit Luke verabredet, da wir uns schon lange nicht gesehen hatte. "Wie geht's dir?" Er zog mich in eine Umarmung und hielt mich dann eine Armlänge entfernt von sich an den Schultern, um mich zu mustern. "Du siehst gut aus. Schon viel besser." "Danke, es geht mir auch schon viel besser."
"Woran das wohl liegen könnte?" Ein spitzbübisches Glitzern blitzte in seinen tiefbraunen Augen auf und seine Lippen verzogen sich zu einem frechem Lächeln. Ich hatte Luke natürlich von Shawn erzählt und er war der Meinung, Shawn würde etwas von mir wollen. Ich warf ihm also einen warnenden Blick zu, weil seine Vermutung absolut lächerlich war, und folgte ihm ins Haus.
"Ist deine Mom nicht da?", wollte ich wissen, da ich mich schon immer sehr gut mit Lukes Mutter verstanden hatte und sie gern mal wieder sehen würde.
"Nein, sie ist einkaufen. Aber ich soll dir herzliche Grüße ausrichten." "Danke." Lukes Eltern hatten sich letztes Jahr scheiden lassen und es war eine harte Zeit für ihn gewesen. Es war außerdem die Zeit gewesen, in der er sich als schwul geoutet hatte. Für ihn war es ein äußerst ereignisreiches Jahr gewesen und ich freute mich deswegen umso mehr, dass es ihm nun gut ging. Er war in meinem Freundeskreis zwar der Jüngste, doch er hatte schon mit so vielen Dingen zu Kämpfen gehabt, dass er immer einen guten Ratschlag parat hatte.
"Willst du noch was essen, bevor wir ins Kino gehen?"
"Ja, das wäre fantastisch. Ich sterbe vor Hunger!" Er warf mir einen bittenden Blick zu.
"Ja, wir können in diesen Burgerladen gehen, von dem du uns immer so vorschwärmst."
"Danke!" Er griff nach seiner Jacke und schlüpfte in seine Schuhe. Von Lukes Haus war es nicht weit bis zum nächsten Kino. Es lag relativ im Zentrum von Pickering. Der Schnee hatte über Nacht eine neue weiße Schicht über die Welt gezogen und die Weihnachtsbeleuchtung strahlte in der Dämmerung. Überall liefen gehetzte Menschen, mit Tüten bepackt, von Straße zu Straße um Weihnachtsbesorgungen zu machen. Es waren noch knappe zwei Wochen bis Weihnachten und normalerweise würde ich jetzt einer dieser gestressten Menschen sein, doch dieses Jahr würde ich Weihnachten alleine verbringen und für meine Freunde würde ich noch eine Kleinigkeit besorgen. Luke und ich liefen also nebeneinander durch die überfüllte Fußgängerzone und keiner von uns sagte ein Wort. Ich sah mir die blinkenden Lichterketten an und bewunderte die Schaufenster.
"Wirst du Weihnachten mit deinem Vater verbringen?", fragte ich. Luke sah kurz zu mir rüber und zuckte mit den Schultern.
"Ich weiß es noch nicht, aber wahrscheinlich nicht. Er hat schon wieder eine neue Freundin und ich würde ihm sowieso nur zur Last fallen. Außerdem freut sich meine Mutter bestimmt über meine Gesellschaft." Ich nickte verständnisvoll.
"Vielleicht versteht dein Vater ja irgendwann, dass er seine Freundinnen nicht wie seine Unterwäsche wechseln kann und es mit 46 langsam Zeit wird erwachsen zu werden." 
"Vielleicht." Luke schwieg kurz und fragte dann: "Wie verbringst du Weihnachten?"
"Meine Tante aus New York hat mich eingeladen, aber ich hab ihr gesagt, dass ich Weihnachten mit meinen Freunden feiere."
"Tust du?", hakte er verwundert nach. "Nein. Ich werde mir zu Hause ein paar Weihnachtsfilme ansehen und früh schlafen."
"Und am 25.?"
"Keine Ahnung",antwortete ich wahrheitsgemäß.
"Du kannst gerne zu uns kommen! Du weißt du bist immer willkommen." Ich schenkte ihm ein breites Lächeln. "Danke Luke, aber ich denke ich bin lieber allein."
Er hielt mir die Tür zum Restaurant auf. "Wenn du meinst... Aber falls du dich umentscheidest, meld dich bei mir."
"Werde ich. Danke Luke!" 

Wir suchten uns einen freien Tisch und bestellten unser Essen. Luke hatte wirklich nicht zuviel versprochen, denn dieser Burger war tatsächlich der Beste, den ich je gegessen hatte. Als wir fertig gegessen hatte, war ich zwar so voll, dass ich mich fast übergeben musste, doch das war es wert gewesen.
"Wir sollten langsam los, der Film beginnt bald", machte Luke mich aufmerksam, nachdem er einen Blick auf sein Handy geworfen hatte.
"Ja natürlich." Wir zahlten und verließen das Restaurant. Mittlerweile war es komplett dunkel und noch kälter als zuvor. Frierend eilten wir zum Kino und ich war froh, als wir im warmen Eingangsbereich des Gebäudes standen. Ich wartete während Luke die Karten kaufte, als ich plötzlich ein bekanntes Gesicht sah.
"Shawn? Was tust du denn hier?" "Lyra? Du? Außerhalb deines Hauses?" Ich verkniff mir ein Lächeln und verdrehte die Augen.
"Ich und Aaliyah sehen uns einen Film an", klärte er mich auf.
"Hey!", begrüßte mich nun auch Aaliyah die etwas hinter Shawn stand. "Schön dich wiederzusehen, Aaliyah!" Sie lächelte mich etwas scheu an. 
"Du kannst mit uns mitkommen, dann bist du nicht so allein", schlug Shawn vor.
"Danke fürs Angebot, aber genau genommen bin ich nicht allein hier." Luke kam auf uns zu. "Kennt ihr euch?", wollte er wissen und warf mir einen fragenden Blick zu.
"Äh ja! Luke, das ist Shawn. Shawn, Luke. Und das ist Aaliyah, Shawns Schwester", stellte ich vor. Lukes Augenbrauen schossen in die Höhe und er grinste.
"Freut mich." Shawn nickte und warf einen etwas säuerlichen Blick in Lukes Richtung, das Lächeln auf seinen Lippen war verschwunden. "Ist irgendwas?", fragte ich.
"Nein, aber wir sollten jetzt los. Bis dann!"
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, zog er Aaliyah mit sich und verschwand in einem der Kinosäle.
"Was war das denn eben?" Luke sah mich verwundert an.
"Ich habe nicht die geringste Ahnung, Luke. Sollen wir auch los?" Er nickte und wir setzten uns in unseren Saal.

"Danke fürs heimfahren! Wir sehen uns!"
Ich stieg aus Lukes Auto und winkte ihm zu, bevor ich in meiner Tasche nach dem Schlüssel kramte.  Erschöpft streifte ich mir die Schuhe von den Füßen und hängte meine Jacke an einen der Bügel. Ich ging den direkten Weg in mein Zimmer und schlüpfte in meinen Pyjama. Ich löschte das Licht, so dass nur die kleine Lampe auf meinem Nachtisch Licht spendete. Ich griff nach dem Buch, das daneben lag und schlug es auf. Obwohl ich so gerne las, hatte ich es schon ewig nicht mehr getan. Ich hatte das Buch etwa bis zur Hälfte gelesen, hatte jedoch keinen Schimmer mehr von der Handlung und es dauerte gute 20 Seiten bis ich endlich wieder wusste, worum es ging.  Das Klingeln meines Handys riss mich jedoch aus der Parallelwelt, in der ich mich befand. 'Shawn' prangte auf dem Display.
"Hallo."
"Ich bins, Shawn."
Ich lachte. "Das weiß ich. Was ist los?" "Ich wollte wissen wie es im Kino war." Es war nicht nur Neugier, die ich in seiner Stimme hörte. Es schwang ein harter Unterton mit, der mir das Gefühl gab, etwas falsch gemacht zu haben. 
"Es war schön, und bei euch?"
"Gut." Es blieb still am anderen Ende der Leitung.
"Was ist los?"
"Was soll schon los sein?", fragte er sarkastisch.
"Hab ich was falsch gemacht oder bist du heute einfach nur mies drauf?" Seine schlechte Laune war durch das Telefon zu spüren und ich hatte keine Lust darauf, dass er mir meine gute Laune verdarb. 
"Was denkst du denn?"
"Ich weiß nicht, wieso du böse bist. Ich kenne dich nicht sonderlich gut." Shawn stöhnte genervt auf. "Ach weißt du was? Was solls? Ich wünsch dir noch viel Spaß mit Luke!"
Seine Stimme war so abwertend, dass ich mir den Blick dazu vorstellen konnte.
"Warte Shawn! Du bist wütend, weil ich mit Luke im Kino war?" Ich konnte mir ein leises Lachen nicht verkneifen.
"Wieso lachst du?", fragte er wütend. "Weil Luke erstens einer meiner besten Freunde und zweitens schwul ist."
Keine Antwort.
"Shawn?"
"Tut mir Leid, ich wusste nicht-" "Schon gut."
"Nein wirklich, jetzt fühle ich mich schlecht", jammerte er.
"Musst du nicht." Bevor Shawn etwas sagen konnte, begann ich erneut zu sprechen. "Hör mal Shawn, ich bin müde und werde jetzt schlafen. Also Gute Nacht."
"Gute Nacht!"
Ich wollte gerade auflegen, als er  nochmal etwas sagte. "Lyra?"
"Ja?"
"Schlaf gut."

Deep Waters [german]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt