Prolog

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  Prolog

„Wirklich, Mum, ich komme zurecht", versicherte Maya ihrer Mutter zum gefühlt zehnten Mal und verdrehte bei der quiekigen Stimme die ihr aus dem Hörer entgegen schnellte nur genervt die Augen.
„Denk an mein armes Herz, Kind. Lass dich doch zumindest von deinem Vater zum Bahnhof bringen, das würde mich ungemein beruhigen und Benjamin auch", flehte Madleen Dust ein weiteres Mal und Maya verkniff sich den Hinweis, dass Benjamin Dust zwar seit einigen Monaten Madleens Ehemann, aber ganz sicher nicht ihr Vater war. Es war nicht notwendig den alternden Mann in seinem gebrochenen Zustand noch weiter zu peinigen. Schließlich hatte er gerade seinen jüngsten Sohn verloren.
„In Ordnung. Ich lass mich von Benjamin fahren, aber ich werde mir selbst einen Praktikumsplatz für die Semesterferien suchen!", stellte sie noch einmal klar, doch mit dem Zugeständnis schien ihre Mutter mehr als Zufrieden. Ein hoher Ton quiekte durch den Hörer, sodass Maya ihn ein gutes Stück von ihrem Ohr nehmen musste, um nicht taub zu werden.
„Oh, dein Dad wird begeistert sein. Er spricht immer davon, dass er dich öfter sehen möchte. Er hatte kaum Zeit dich kennen zu lernen nach... der Hochzeit."
>>Die Hochzeit<< war nicht der Grund gewesen, warum sie einander kaum gesehen hatten, es waren viel mehr die Ereignisse die sich einige Wochen zuvor in dem alten meist leerstehenden Jagdhaus der Familie Dust abgespielt hatte und das wusste auch Madleen. Doch ihre Mutter war nun einmal ihre Mutter und ging in ihrer Rolle einer fröhliche Ehefrau zugegebenermaßen positiv auf. Sie war wirklich der Sonnenschein, den Benjamin nun am meisten brauchte und obwohl Maya zu Beginn dieser Beziehung ernsthafte Zweifel gehabt hatte, musste sie nun zugeben, dass die beiden einander tatsächlich liebten und brauchten. Auch wenn nur wenig der quirligen Art ihrer Mutter zu ihm durchzudringen schien. Immer wenn sich der alte Mr. Dust unbeobachtet fühlte, erkannte man die abgrundtiefe Trauer in seinen Augen und den Schmerz den ihm der Verlust seiner Söhne bereitete. Beider Söhne.
Denn obwohl nur sein Jüngster Marcus momentan für ihn unerreichbar schien, hatte auch sein ältester Sohn sich vor Jahren von ihm abgewandt. Und damit auch von Maya.
Kurz schloss sie die Augen und versuchte den tief sitzenden Schmerz in ihrem eigenen Herzen wieder tief in ihrer Brust einzuschließen. Damiens Verrat schmerzte noch immer. Doch noch mehr der Abstand, den er seitdem einhielt. Und sie wusste nicht wie sie damit umgehen sollte, dass Damien immer noch zu seinem Bruder hielt.
Dieser Psychopath hatte sie fast umgebracht und saß nun in einer geschlossenen, klinischen Abteilung einer sehr exklusiven und sehr verschwiegenen Anstalt auf der anderen Seite dieses Landes. Maya prustete verärgert. Marcus hätte auf der anderen Seite dieser Galaxie sein können und es wäre für ihren Geschmack noch nicht weit genug weg. Am liebsten hätte sie ihn hinter Gittern gesehen, doch ein Prozess hätte ihr nicht die Rache geben können, die sie sich erhoffte. Das konnte nur ein Messer in seinem verkommenen Herzen.
„Ja, ich weiß. Aber das Semester hat mich sofort in Beschlag genommen und ich musste selbst erstmal verarbeiten was passiert war."
„Oh, ich weiß mein Schatz. Du hast so viel durchgemacht. Ich bin Damien trotzdem sehr dankbar, dass er mein Baby beschützt hat. Gerade Marcus, das hätte ich nie gedacht."
Ihre Mutter wusste nicht alles über diese Tage im Jagdschloss. Sie hatte weder Ahnung von den sexuellen Eskapaden ihrer Tochter mit beiden ihrer Stiefbrüder, noch davon, dass Marcus einer Prostituierten in einer verregneten Nacht vor Mayas Augen den Schädel eingeschlagen hatte. Nicht sein erstes Opfer, wie sie innerlich befürchtete. Doch es sollte sein Letzten gewesen sein – denn Maya weigerte sich, sich selbst als Opfer zu betrachten. Sie hatte überlebt. Sie hatte es mit einem gebrochenen Arm und einigen Blessuren überstanden und ihm dafür eine Klinge in den Hals gejagt – nicht ganz so aus Notwehr, wie man es glauben könnte.
Eine Pattsituation, die sie dazu gebracht hatte Damiens, offizielle Aussage zu unterstützen und nichts von den Morden zu verraten, die Marcus begangen hatte. Diesen Frauen würde niemals Gerechtigkeit zu Teil werden, dafür würde Damien sorgen. Für die Öffentlichkeit hatte Marcus einen emotionellen Zusammenbruch gehabt, weil er sich Hals über Kopf in seine Stiefschwester verliebt und bei ihrer Ablehnung zu weit gegangen war. Eine Geschichte, die die Familie Dust wieder einmal Schlagzeilen eingebracht hatte. Doch das Interesse war schnell verebbt. Eine Woche nach der Jagdhaus-Tragödie, hatte nämlich eine Schauspielerin ihren Mann erschossen – während dieser auf seiner Sekretärin gelegen hatte.
So viel interessanter, als ein Playboy, dessen Liebe ihn verrückt gemacht hatte. Maya hätte sich durch diese kurze öffentliche Aufmerksamkeit eingeschüchtert fühlen müssen, da es ja eigentlich ihrem zurückhaltenden Charakter hätte entsprechen müssen. Doch die Öffentlichkeit hatte sowohl über Madleen, als auch über ihre Tochter nur positives berichtet. Sofern man es als positiv bezeichnen konnte, wenn die Klatschblätter ihre äußerlichen Vorzüge in höchsten Tönen lobten und ihre zurückhaltende Art gegenüber der Presse, als „vollkommene Damenhaftigkeit" tolerierte.
Maya seufzte. Sie hoffte inständig es würde dabei bleiben.
„Ich weiß Mama. Ich auch nicht." Und das war die volle Wahrheit.
„Und du willst wirklich nicht bei deinem Vater anfangen? Du würdest dort mehr von ihm bekommen, als nur Sachen zum Abtippen. Du könntest ihm über die Schulter schielen und aus erster Hand lernen, er ist so furchtbar stolz auf dich. Erstes Jahr und schon ein neuer Rekord in der Punkteanzahl", flötete Madleen ablenkend. Maya dankte ihrer Mutter stumm dafür. Sie hatte sich innerlich damit abgefunden wie es nun mit Marcus stand. Er würde nie wieder da raus kommen und das war das wichtigste, auch wenn es ihr lieber gewesen war, die Welt würde endlich das Monster erkennen, was in ihm steckte.
Nur eines würde sie nie akzeptieren: Damiens ausweichendes Verhalten. Sie konnte es nicht leugnen, sie war noch immer in ihn verliebt, obwohl er seinen Bruder beschützte und es ihr unmöglich machte die Wahrheit zu sagen. Sie vermisste ihn. Sie vermisste den Sex.
Sie errötete tief und fühlte sich plötzlich wieder wie dieses zurückgezogene Mädchen von damals, nicht die Frau, zu der sie geworden war. Sie war als Jungfrau in dieses Jagdschloss gegangen. Nun wollte sie mehr von der Lust die Damien ihr gezeigt hatte.
„Ja. Ich weiß, aber ich bin immer noch seine Stieftochter und egal wie gut ich mich anstelle, von jeder guten Bewertung würde es heißen, ich hätte sie nicht verdient. Da koche ich lieber die erste Woche Kaffee und sortiere die Post." Sie wollte sich alles selbst verdienen und zwar so, dass ihr diesen Erfolg niemand jemals absprechen machen konnte.
„Okay, okay. Das verstehe ich. Ich mache mir nur Sorgen. Du, ich vermisse dich so sehr. Ich hätte dich gerne bei mir... Nun gut, ich sage deinem Vater Bescheid, dass er dich bringen darf. Sei vorsichtig, ja, Maya-Schatz?"
„Ja, Mama. Danke."
Es folgten schmatzende Kussgeräusche, bevor Maya auflegen konnte und ihr Handy auf das Bett fallen ließ. Direkt neben einen Berg von Klamotten, die sie versuchte in ihrem neuen Koffer zu verstauen. Sie war es nicht gewohnt so viele Kleider zu besitzen. Vor der Hochzeit ihrer Mutter hatte sie in bescheidenen Verhältnissen gelebt und damit gerechnet, neben ihrem Studium arbeiten zu müssen, um über die Runden zu kommen. Sie hatte auf ein Stipendium gehofft, dass sie bekommen und dass ihr dann wieder entzogen worden war, da dieses nur Kindern aus bedürftigen Verhältnissen zustand. Nun, eine Dust zu sein, war ein Update, dass sie definitiv aus solchen herausgeholt hatte.
Aber zu ihrem Glück war Benjamin sehr froh gewesen für ihre Ausbildung und alles anderen aufkommen zu dürfen. Das Ergebnis war eine erstklassige Wohnung in der Nähe des Campus', allerfeinste Lehrmaterialien und selbstverständlich ein sehr großzügiges Taschengeld, das sie nach anfänglichem Zögern auch ohne schlechtes Gewissen ausgab. Zum Dank hatte sie ihm die besten Noten mit nach Hause gebracht und war sehr glücklich darüber, sich voll und ganz auf ihr Studium konzentrieren zu können.
Maya seufzte. Sie war nicht zu stolz, um nicht alles dankbar anzunehmen, was ihr gegeben worden war.
Und nun hatte sie den Salat. Genervt starrte sie auf den Berg Kleidung und dachte ernsthaft darüber nach einen zweiten Koffer für ihre Reise anzulegen. War sie schon so sehr zu einer Tochter aus reichem Hause geworden? Sie weigerte sich innerlich dagegen, musste aber zugeben, dass sie jedes dieser Teile unbedingt dabei haben wollte und griff ergeben zu einem zweiten Koffer. Der Himmel möge ihr beistehen, aber sie nahm es gerne in Kauf, als eine verwöhnte Tochter zu erscheinen, wenn sie dafür die fein ausgewählten Kleider, Hosen und Oberteile mitnehmen konnte. Schließlich hatte jedes Stück einen ganz bestimmten Zweck zu erfüllen: Damien Dust den Kopf verdrehen, ihn verführen, ihn quälen und alles heimzuzahlen, was er ihr angetan hatte. Nur nicht unbedingt in der Reihenfolge.

Zwischen UnsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt