Kapitel 10
Er war nicht wirklich sauer auf sie gewesen, viel mehr auf sich selbst und sein eigenes Unvermögen, sich von seinem Bruder gefühlsmäßig zu distanzieren. Denn Maya hatte recht gehabt: Der kleine Junge, dem Damien einst nachgetrauert hatte, von dem er immer noch hoffte, er könnte wieder erweckt werden, den hatte es nie gegeben. Sein Verhalten gegenüber Maya war vollkommen irrational. Oder vielleicht doch nicht.
Er hatte ihren verletzten Gesichtsausdruck gesehen, die Enttäuschung und ihre Unfähigkeit seine Gefühle nachzuvollziehen. Sie würde sich ihm nach dieser Ablehnung niemals wieder nähern, da war er sich sicher. Und das war gut so. Sein schlechtes Gewissen, wegen dem, was ihr passiert war, nahm ihm fast den Atem und selbst jetzt, wo er ihr die ganze Wahrheit erzählt hatte, fühlte er sich immer noch schlecht. Was hatte er denn erwartet? Vergebung? Rechtfertigungen? Verständnis?
Maya war ein Opfer geworden und das war alleine seine Schuld, sie würde ihm das niemals vergeben, genauso wenig wie sie Marcus nie vergeben würde. Doch er hatte nicht vor, von ihr Vergebung zu erhalten, was er von ihr wollte, war sehr viel primitiver als das. Er wollte sie wieder spüren. Für einen kurzen Moment hatte er Verständnis für Marcus' Sucht nach Maya. Objektiv betrachtet hatte er schon hübschere Frauen gesehen, aber es waren nicht alleine ihre äußerlichen Vorzüge, die ihn so anzogen. Es war sie. Diese explosive Mischung aus Unschuld, Unerfahrenheit und dieses Temperament, das ihr mittlerweile so dicht unter der Haut saß, dass sie selbst es nicht mehr leugnen konnte.
Sie war zu der Frau geworden, die sie immer hätte sein sollen und obwohl er Sex normalerweise nie so etwas wie Gefühle andichtete, wusste er, dass da etwas in ihm war, das mehr wollte. Klar, in erster Linie wollte er sie unter sich, aber zum ersten Mal hatte er das Bedürfnis, einfach neben einer Frau zu sitzen und sich zu unterhalten. Ihre Meinung zu hören.
Er wusste, dass Maya gute Noten in der Uni erreichte und es wurde immer deutlicher, dass hinter der sehr hübschen Fassade ein brillanter Kopf steckte. Was würde Maya von seinem neusten geschäftlichen Vorhaben halten? Aber auch das war irrational.
Es war nicht so, als würde sie die erste hübsche, intelligente Frau sein, der er begegnete. Aber sie war die Erste, mit der er heftig diskutieren und danach noch heftigeren Sex haben wollte. Er hatte so etwas stets vermieden. Sex und Emotionen führten in der Regel zu unlogischem und selbstzerstörerischem Verhalten. Es war der Inbegriff der Irrationalität.
So wie bei ihr.
Maya ging ihm unter die Haut, das konnte er nicht leugnen und es war am cleversten, sich von ihr fernzuhalten, denn ...
Ja, warum eigentlich? Weil er das Band, das ihn und seinen Bruder verband, nicht durchtrennen konnte? Hatte er nicht genau das vor wenigen Stunden getan? Er hatte seinem Bruder abgeschworen und ihn seinem Wahnsinn überlassen.
Und zwar irgendwie wegen Maya...
Und nun da sie die Wahrheit kannte... was hielt ihn jetzt noch davon ab, sie sich zu nehmen? Gar nichts. Sie war vielleicht nur noch wenige Tage in New York und nichts hielt ihn davon ab, sie in den Nächten rücklings aufs Bett zu drücken und in sie zu stoßen, bis sie bettelte, aufzuhören und dann solange, bis sie ihn anflehte, nie aufzuhören.
Und das würde sie!
Maya stand gerade vor dem Spiegel und föhnte sich ihre langen Haare, als es an der Tür klopfte und sie kurz instinktiv zusammen zuckte. Ihr Herz begann zu rasen und sie fragte sich, für einen irrationalen Augenblick, ob das Marcus sein konnte, der nun vor ihrer Tür stand und das zu Ende brachte, was er angefangen hatte. Sie konnte sich noch so taff und selbstsicher benehmen, aber im Inneren hatte sie immer noch Albträume von diesem Mann.
Also legte sie den Föhn beiseite, zog sich ihren Morgenmantel über das Nachthemd und ging in die Küche, ohne im Flur den Blick von der Eingangstür zu nehmen. Voller inneren Zuspruchs rief sie sich die Lektionen des Selbstverteidigungskurses in Erinnerung, dem sie immer sehr aufmerksam gefolgt war und zog ein großes Messer aus einem Holzblock, bevor sie aus der Schublade auch noch ein kleines, mit kurzer Klinge herauskramte und in der anderen Hand hinter ihrem Rücken verbarg.
Das Große war die Ablenkung, die Waffe die jeder normalerweise ergreifen würde, wenn er sich unsicher fühlte. Effektiv war es aber nicht. Die Klinge würde schnell brechen und beim Ausholen oder umdrehen in der Hand würde die Schneide zu viel Platz brauchen. Abgesehen davon, dass man es nicht verstecken konnte. Dabei brauchte eine Frau ihrer Statur jeden Überraschungsmoment, den sie bekommen konnte.
Sobald ein Angreifer das Messer sah, würde er sich darauf konzentrieren während Maya die Gelegenheit nutzen konnte, um ihm mit dem kleinen zu attackieren, vorzugsweise in Richtung seines Gesichtes, weil sie dort am meisten Schaden anrichten konnte.
Es klopfte wieder an der Tür, diesmal enthusiastischer und Maya drückte auf den Knopf der Gegensprechanlage, der direkt neben der Tür war. Das Schloss sollte laut Vermieter einbruchssicher sein und hatte deswegen keine Sicherheitskette, dennoch zuckte Maya jedes Mal zusammen, wenn die Faust gegen das Holz hämmerte. Wenn jemand hineinkommen wollte, würde er hineinkommen.
„Wer ist da?", fragte Maya und verkniff sich die Frage, wie zum Teufel dieser jemand an dem Wachdienst am Eingang vorbeigekommen ist.
„Lass mich rein, Maya."
Maya hielt die Luft an, sie würde diese Stimmer immer und überall wieder erkennen. Damien. Er war hier. Wusste er, welches Spiel sie spielte, hatte er sie nach nur einem Tag enttarnt? Sie zögerte, verfiel plötzlich in Panik. Sie wollte Damien nicht hereinlassen, sich seinem Zorn nicht aussetzen und doch klammerte sie sich an die kleine Hoffnung, dass er sich nicht darüber wundern würde, dass sie ein eigenes Apartment für einen angeblichen Kurztrip nach New York gemietet hatte.
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Zwischen Uns
RomanceVor einem halben Jahr erlebte Maya das erotischste und angsteinflößendste Abenteuer ihres Lebens. Und das ausgerechnet mit Damien Dust, dem attraktiven und erfolgreichen CEO einer aufsteigenden Software-Firma und ihr neuer Stiefbruder. Doch seitdem...