Brüder

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 Kapitel 5
Damien sah Hunter noch eine Weile lang hinterher und ballte seine Fäuste, bis die Knöchel weiß hervortraten. David war schon immer ein gefährlich hinterhältiger Mistkerl gewesen. Sein ehemaliger Kommilitone und Mitbegründer dieser Firma war von Anfang an darauf aus gewesen, Damien dafür büßen zu lassen, dass dieser versucht hatte, seinen Bruder in die Firma zu integrieren. Er hatte die Konfrontation und den Verlust seines Freundes hingenommen, um Marcus davon abzuhalten, weiterhin Mädchen nachzustellen und sie zu ermorden. Es war ihm nicht gelungen. Ein weiteres Versagen seinerseits. Und nur eines von vielen.
Dass es Hunter diesmal tatsächlich geschafft hatte ihn reinzulegen, konnte er jedoch sich nur selbst zuschreiben. Er war abgelenkt gewesen, hatte nicht wie sonst hunderte Schritte im Voraus geplant und nur auf die Umstände reagiert, anstatt sie zu dirigieren. Ihretwegen.
Maya loszuwerden war einfach gewesen, sie von sich weg zu schieben auch. Womit er nicht gerechnet hatte, war, dass er sich in Gedanken immer noch mit ihr beschäftigte. Ihre Trauer, diese innere Stärke, ihre Unterwürfigkeit. Er wollte sie, selbst jetzt noch kam es ihm so vor, als würde er ihr süßes Stöhnen in seinen Ohren hören, ihre wilde Haarpracht auf seinem Körper spüren. Und dieses Gefühl schien so real, dass er keine andere Frau auch nur anfassen wollte.
Es war absurd, aber umso ferner Maya gerückt war, umso mehr wollte er sie - gegen jeden gesunden Menschenverstand.
Selbstverständlich war er nicht in sie verliebt oder so etwas Ähnliches. Damien weigerte sich zutiefst, in dieses naive, kleine Mädchen Gefühle zu investieren. Das würde nur dazu führen, dass er diese Unschuld vollkommen vernichtete. Maya war außer Gefahr, solange er hier in der Großstadt seinem Leben nachging und sie dem ihren. Weit weg von allem Bösen dieser Welt. Weg von Marcus.
Genau in dem Moment, als sein Name wieder in seinen Gedanken auftauchte, klingelte sei Telefon und auf dem Display erschien die Nummer zu einem Er-Gespräch. Wenn man den Teufel einmal in sein Leben lässt, entkommt man ihm nicht mehr.
„Marcus", sagte Damien kühl in das Telefon und ein Schwall dumpfen Atems schlug ihm entgegen. Ein Kichern, ein Knurren und dann die Stimme seines Halbbruders – den nichts von dem Wahnsinn hatte retten können, der von ihm Besitz ergriffen hatte.
„Hallo, Dam. Hast du mich vermisst? Du bist mich letzte Woche gar nicht besuchen gekommen."
Das stimmte. Die Besuche bei seinem Bruder wurden seltener, aber nicht er hatte damit angefangen weniger zu erscheinen, es war Marcus. Immer seltener traf er tatsächlich seinen Bruder bei diesen Besuchen an, stattdessen war es etwas anderes, das mit ihm redete. Und dieses Etwas genoss es, wie sehr Damien litt. Er hatte sogar das Gefühl, dass die klinische Einrichtung seine Psychosen nur noch verschlimmerte.
„Ich komme dich wieder besuchen, wenn du das Thema wechselst."
„Ach ja unser Lieblingsgespräch, wie geht es Maya? Ist sie immer noch so süß? Stöhnt sie immer noch so hinreißend, wenn man einen Finger in sie hineinschiebt? Ich vermisse den Klang ihrer Stimme und ihre Schreie. Du auch?" Damiens Hand verkrampfte sich um seinen Hörer.
Sein Bruder war verloren, das wusste er. Warum also klammerte er sich innerlich immer noch an die Erinnerung dieses kleinen Jungen, dem keine Liebe je ausgereicht hatte? Es war hirnrissig und Damien wusste nur eine Methode, um mit dieser Erinnerung umzugehen: Hinter einer Wand aus Stahl fest verschließen, damit sie nie wieder herauskam. Genauso wie er es mit seinem Bruder gemacht hatte.
„Wenn das alles ist, worüber du reden willst, werde ich jetzt auflegen."
„Ich glaube ich denke in letzter Zeit weniger über sie nach, ich denke jetzt mehr an dich, Dam. Daran, wie du mich hier eingesperrt hast. Daran, wie du alles tust, um mich von ihr fernzuhalten. Ich glaube, ich weiß jetzt endlich warum."
Damien verengte die Augen, sagte aber nichts. Es gab nichts, was er darauf erwidern konnte, ohne ihn in seiner Wahnvorstellungen zu unterstützen. Ab und zu vergaß Marcus regelrecht, wer diese Mädchen getötet hatte und behauptete, Damien sei es gewesen. Zum Glück glaubte niemand einem Verrückten und selbst wenn, würde es nichts geben, was Damien belasten könnte, denn er hatte keine der Prostituierten je angefasst, die im Boden des Jagdschlosses langsam verrotteten.
„Du bist eifersüchtig. Das warst du von Anfang an. Du hast Frauen immer dafür bezahlen müssen, dass sie sich mit dir abgaben. Zu mir sind sie freiwillig gekommen. Genau wie Maya." Damien unterließ es die verdrehte Wahrheit richtig zu stellen. Es brachte nichts und die Ärzte hatten ihm davon abgeraten. Er musste selbst aus seinen Psychosen erwachen.
„Ich lege jetzt auf", sagte Damien und als Marcus am anderen Ende der Leitung anfing zu schreien, hatte Damien bereits den Knopf getätigt und seinen Bruder beiseite geschoben. Das war der letzte Anruf, den er von ihm angenommen hatte. Das schwor er sich und doch keimte in ihm die Hoffnung, sein Bruder könnte wieder zu dem lieben Jungen werden, der er einmal gewesen war. Wie dumm er doch war.
Als der Abend anbrach und er sein Büro und das, mittlerweile viel zu kleine Firmengebäude verließ, färbte sich der Himmel bereits in ein dunkelviolett und etwas Rotes tauchte in seinem Augenwinkel auf.
So wie immer, wenn eine Frau mit tiefrotem, langem Haar an ihm vorbei lief, sah er ihr nach und suchte nach... wonach er suchte, wusste er selbst auch nicht. Keine dieser Frauen hatte Maya auch nur ähnlich gesehen. Und normalerweise sah er deshalb auch sofort wieder weg, aber nicht dieses Mal. Die Frau war klein, zierlich gebaut und trug einen engen Bleistiftrock zu einer weißen Bluse. Es war eiskalt und der Taxistand, an dem sie stehen blieb, um auf einen Wagen zu warten, leer. Bis ein Wagen kam, würde sie durchgefroren sein. Es war Feierabendverkehr und Taxis rar.
Instinktiv machte Damien einen Schritt auf die Frau zu. Wusste, dass er das nur tat, weil sie Maya tatsächlich ähnlich sah und blieb dann doch plötzlich stehen. Sie sah Maya nicht nur ähnlich.
Es war Maya.   

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