Pinienduft

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Kapitel 39:

Maya spürte, wie sie wieder auf der Sitzfläche eines Wagens landete. Ihr Kopf dröhnte noch immer und der Schwindelanfall, der sie überkam, sagte ihr eindeutig, dass es ihr nicht gut ging. Sie blieb eine Weile liegen, versuchte die Bilder zu ordnen, an die sie sich erinnerte und erstarrte, als es ihr wieder einfiel.

Sie hatte einen Unfall gehabt. Jemand hatte die Scheibe ihres Wagens eingeschlagen und sie aus dem Wagen gezerrt und irgendjemand hatte ihr ins Gesicht geschlagen, bis sie komplett das Bewusstsein verloren hatte.

Sie erinnerte sich nicht an ein Gesicht, aber ihr Magen sagte ihr, dass dieser Jemand es ganz und gar nicht gut mit ihr meinte. Und davon gab es nicht viele, um genau zu sein, gab es nur einen Irren der sie aus einem Unfallwagen zerren und mit sich nehmen würde. Markus.

Für den Hauch einer Sekunde blieb ihr Herz stehen und Maya wartete geduldig darauf, dass die aufkommende Panik sie erstarren ließ und sie darum kämpfen musste, die Fassung zu bewahren. Nach Markus' Übergriff war sie ein Häufchen Elend gewesen, aber währenddessen nicht. Zu ihrem Glück passierte genau das jetzt wieder. Sie spürte keine Angst, die Schmerzen schienen nicht einmal mehr halb so schlimm.

Das Häufchen Elend machte der Frau Platz, die mit einem Messer seine Kehle aufgeschlitzt hatte. Ihr Überlebensinstinkt, ihr Gefühl für Rache brannte jede Angst nieder und erfüllte ihren Körper mit Adrenalin.

Ihr Verstand funktionierte plötzlich hervorragend und sie machte ganz vorsichtig die Augen auf. Sie lag auf der Rückbank eines alten Kleinwagens, den Markus gestohlen haben musste, denn auf der dem Boden zwischen der Rückbank und seinem Fahrersitz lagen kleine Babyschuhe. Zu ihrem Glück lag sie mit dem Gesicht so ungünstig, dass Markus ihre offenen Augen durch den Rückspiegel nicht sehen konnte. Genauso, wie er nicht bemerken konnte, wie sie den Kopf hob und die Wagentür an ihrem Kopf betrachtete.

Keine Zentralverriegelung, keine Kindersicherung, soweit sie das erkennen konnte. Praktisch für sie und dämlich für eine Familienkutsche, aber sie würde nicht so dumm sein aus einem fahrenden Wagen zu springen. Bei ihrem Zustand würde sie niemals schnell genug auf die Beine kommen, um vor Markus wegrennen zu können. Sie brauchte eine bessere Gelegenheit, doch da stoppte der Wagen auch schon mit quietschenden Bremsen und das rote Licht einer Ampel viel auf ihre Hüfte und auf ihre Beine.

Es war dunkel. Zu dunkel. Wie lange war er mit ihr bereits gefahren und wie weit konnte er in diesen Stunden gekommen sein? Maya fluchte innerlich. Wohin brachte er sie und wollte sie das eigentlich so genau herausfinden? Ein Telefon klingelte und Markus ging sofort ran.

„Ja?"

„Und?"

„Ist mir doch egal. Wenn ihr noch was von ihr abhaben wollt, bewegt euren Scheiß-Arsch zur Fabrik. Lasst ihn liegen, er hat sein Zweck erfüllt; Wenn er so blöd war sich zermatschen lassen, bleibt mehr für euch. Also freut euch lieber." Dann schmiss er das Telefon auf den Beifahrersitz und fuhr weiter. Maya spürte, wie sie noch blasser wurde.

Etwas von ihr abhaben?

Nein.

Daran würde sie nicht denken, sie würde sich nicht aus Angst, was sie erwarten könnte, davon abhalten lassen, sich zu retten. Und plötzlich schien der Sprung aus dem Auto gar nicht mehr so dumm zu sein. Sie könnte schreien und auf sich aufmerksam machen, sich Hilfe suchen.

Entschlossen nicht abzuwarten und jede Chance zu ergreifen setzte Maya sich plötzlich auf, zog an der Wagentür und... erstarrte.

Markus verfiel ihn sein einnehmendes, lautes Lachen und blickte sie aus schönen braunen Augen durch den Rückspiegel an.

„Hast du wirklich geglaubt, das würde klappen? Für wie dumm hältst du mich?", fragte er und Maya bemerkte erst jetzt den eingedrückten Sicherheitshebel in der Tür. Sie war kurz vollkommen perplex, aber wenn es so nicht klappte dann musste es eben anders funktionieren.

„Ich halte dich für mehr als dumm", fauchte sie frech, setzte sich auf, packte seinen Kopf und schlug ihn mit beiden Händen so fest gegen das Wageninnere, dass Markus das Lenkrad verriss und das Auto von der Straße abkam.

Maya wurde auf die andere Seite des Wagens geschleudert, knallte mit der Schulter in das Fenster, das sofort splitterte und konnte gerade noch die Beine an sich ziehen, als die Fahrerseite gegen ein Baum knallte und die Stelle, an der sie eben noch gesessen hatte, als Knautschzone fungierte. Der Aufprall war heftig und durch die Gesetze der Trägheit wurde sie ein weiteres Mal durch das Wageninnere geschleudert, aber sie überstand es.

Leider auch Markus, der zwar etwas benebelt, aber definitiv ebenfalls noch bei Bewusstsein war.

„Dafür wirst du bezahlen, Maya", murmelte er, spuckte das Blut aus dem Mund und versuchte sich von seinem Platz zu erheben und nach ihr zu greifen. Maya verkniff sich einen Aufschrei und rückte schnell in die andere Ecke des Innenraumes als... Markus nicht weiter kam.

Er brüllte und schien vollkommen die Kontrolle zu verlieren, als er versuchte sie in die Finger zu bekommen. Sein Bein steckte fest, aber sicherlich nicht lange, denn er kämpfte wie ein Wahnsinniger. Aber es war lange genug, dass Maya mit den Ellenbogen das restliche Glas herausschlagen und aus dem Wagen kriechen konnte.

„MAYA! MAYA!", schrie Markus und schlug auf das Lenkrad ein, welches sich so verbogen hatte, dass es sich in seinen Oberschenkel presste. ‚Hätte das nicht sein Kopf sein können?', fragte sich Maya und ließ sich aus dem Wagen fallen.

Sie schlug mit dem Gesicht voran auf einer Wiese auf. Der Duft von Wildblumen und feuchter Erde stieg ihr in die Nase, als sie sich aufrappelte und begann loszurennen. Und geschockt bemerkte, dass hier kein Haus in der Nähe war. Sie waren mitten im Nirgendwo. Eine einsame Kreuzung, mitten auf dem Land. Pinienduft überflutete die Nacht, und ohne ihrer Verzweiflung weiter Platz zu machen, strich sie sich den letzten Schuh von den Füßen, den sie noch trug und rannte auf den Wald zu. Ohne etwas zu sehen, ohne etwas zu spüren.

Das Einzige, was sie wahrnahm, war das bedrohliche Brüllen von Markus, als dieser sich endlich befreite und ihr hinterher rannte. 

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