Streit und Wahrheit

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  Kapitel 8

„Ich meine es ernst, Damien! Halt sofort an!"
„Sonst was?", fragte er herausfordernd und ihre Augen blitzten wütend. „Willst du wie eine eingeschnappte zehnjährige aus dem Wagen springen und den Rest laufen? Du trägst dafür weder die Schuhe, noch weißt du, wo wir uns befinden. Du wirst dich verlaufen und es wird meine Meinung über dein unüberlegtes Verhalten nur noch bestärken", erläuterte er kühl und Maya hatte tatsächlich die Nerven, während der Fahrt an dem Türgriff zu ziehen. Dummes, unvernünftige Frauenzimmer. Er war froh, dass der Wagen so etwas bei laufendem Motor nicht zuließ.
„Du entführst mich. Schon wieder", gab Maya bitter von sich und die Hitze in ihren Wagen war weder Scham noch Erregung, das wusste Damien genau. Es war Wut. Seine süße, kleine Maya war wütend auf ihn. Als der Gedanke über ihn hinwegrollte, wurde auch sein Blick finster.
Sie war nicht seine Maya.
„Du bist freiwillig mitgekommen, wie schon beim ersten Mal, Maya. Ich will mich auch gar nicht mit dir streiten, ich will dich doch nur be-" Er brach ab, sprach das Wort nicht aus, das ihm gerade auf den Lippen gelegen hatte. Doch es war zu spät. Maya wusste, was er hatte sagen wollen und es passierte genau das, was passieren musste. Sie schrie.
„DU WILLST WAS? MICH BESCHÜTZEN? IST DAS DEIN GOTTVERDAMMTER SCHEIß ERNST?"
Er schwieg dazu, konzentrierte sich auf die Straße, doch ob er sie ignorierte oder nicht: Ihr Zorn fand sein Ziel.
„DU hast mich nie beschützt! Nicht eine Sekunde lang, du hast erst eingegriffen, als du gemerkt hast, dass dieser beschissene Plan, der von Anfang an beschissen war, nicht aufgegangen ist. Du hast mich in dieses Haus gebracht, damit ich sein nächstes Opfer sein konnte! Du beschützt ihn! Und nun sitzt du neben mir, ganz der selbstgefällige Bastard, der du eigentlich bist und schreibst mir vor, wie ich damit umzugehen habe, fast vergewaltigt und ermordet worden zu sein? HALT VERDAMMT NOCHMAL AN!"
Den letzten Satz schrie sie, doch die Worte erstickten unter den Tränen, die ihr über die Wangen liefen und sie drückte sich ihren Handrücken gegen die Lippen, um ein Aufschluchzen zu verhindern. Es war die Wut, die ihr die Tränen in die Augen trieb, keine Trauer, kein Selbstmitleid, einfach nur Wut und Verzweiflung, angesichts ihrer Situation.
Damien hielt an der Seite einer Straße an, entriegelte aber ihre Tür nicht, was sie auch sofort merkte, als sie wieder an dem Hebel zog und sich nichts rührte. Daraufhin schlug sie mit der Faust auf die Tür ein und biss die Zähne zusammen, als der Schmerz sie überwältigte. Kein Ton entrann sich ihren Lippen, stattdessen wartete sie nur, bis er abklang und sah ihn dann an, als wäre er das abscheuliche Monster, für das sie ihn hielt. Und das er wahrscheinlich auch war. Er hatte ihr nie wirklich erklärt, was er mit ihrer Opferung eigentlich hatte bezwecken wollen und es schien ihm nun an der Zeit zu sein, ihr die Wahrheit zu sagen.
Die ganze Wahrheit. Sie hatte ein Recht darauf.
„Du hast Recht, du solltest ein Opfer werden. Aber ich habe ihn damit nicht beschützen oder ihn „versorgen" wollen. Ich wollte ihn damit endlich aufhalten."
Maya rieb sich noch immer die schmerzende Hand und Damien widerstand dem Drang nach ihr zu greifen und ihre Hände in seine zu nehmen. Den Schmerz zu lindern, den sie empfand. Doch für zutrauliche Zärtlichkeit war sie momentan ebenso zugänglich, wie eine Raubkatze, der man Gemüse zum Fressen vorsetzte. Also entschloss er, einfach weiter zu reden.
„Marcus ist mein Halbbruder, er entstammt einer Affäre meines Vaters. Meine Mutter hatte nur nie gewollt, dass das irgendwer erfährt." Maya blickte ihn misstrauisch an.
„Eine Affäre deiner Mutter oder deines Vater?" fragte sie noch einmal, weil sie sich anscheinend nicht vorstellen konnte, dass es die betrogene Ehefrau war, die nicht wollte, dass der Seitensprung ans Licht kam.
„Mein Vater. Meine Mutter hatte seit Jahren versucht, noch einmal ein Kind zu bekommen, bereits meine Geburt ist quasi ein Wunder gewesen, die Chancen so gering. Und Marcus' Mutter hatte ihn als Säugling einfach bei uns abgesetzt und sich nie wieder gemeldet. Meine Mutter hat ihn aufgenommen und nicht weniger geliebt als mich. Aber es war nie genug."
Mayas Gesicht entspannte sich ein wenig und sie lehnte sich in den Sitz zurück, wartete einfach nur darauf, dass er weiter sprach. Dass er Erklärungen lieferte. Aber Damien fiel es schwer darüber zu reden, er wollte nicht, dass sie seinen Schmerz sah.
„Er hat sehr früh erfahren, dass er nur mein Halbbruder ist. Meine Eltern wollten es ihm nicht verheimlichen. Ich weiß nicht, ob das der Auslöser war, aber als er fünf war, quälte er das Haustier eines Freundes zu Tode und mit sechs hat ein Gartenhäuschen angezündet. Das versetzte und in Alarmbereitschaft, aber... er hatte schon immer diesen Charme, während ich eher kalt und ungelenk mit meinen Mitmenschen umging. Er schob es auf mich, so unglaublich überzeugend und ehrlich, dass ich selbst fast glaubte, ich hätte es getan, aber mein Vater kannte die Wahrheit."
Ihm war es peinlich zuzugeben, dass er an sich selbst gezweifelt hatte. Doch noch schockierender, als die Tatsache, dass er als Kind durch aus manipulierbar war, war die Tatsache, dass egal was Marcus auch machte, Damien seinen kleinen Bruder immer geliebt hatte.
„Und er hat sie vor sich und dem Rest der Welt geleugnet", fuhr Damien fort.
„Er hat noch mehr Frauen auf dem Gewissen, als die, die du gesehen hast. Sehr viel mehr. Und als ich damit zur Polizei ging, hat mein Vater alles dafür getan es zu vertuschen."
Darauf hin öffnete Maya den Mund. „Hast du deshalb mit ihm gebrochen?", fragte sie und er nickte nur knapp. „Die Opfer waren Frauen mit zweifelhaftem Ruf, für die Polizei nur Abschaum, es war nicht schwer, sie davon zu überzeugen, dass ich mir da was zusammengereimt hatte und diese Frauen einfach nur verschwunden waren. Sie waren meist Prostituierte, aber ich denke, dass auch einige Ausreißerinnen darunter waren. Mädchen, die keiner vermisste."
Mayas Blick verfinsterte sich. Ihr Verstand war noch immer das Aufgeweckteste an ihr. Sie konnte sich den Rest wahrscheinlich denken, aber Damien wollte nicht, dass noch irgendetwas ungesagt zwischen ihnen stand.
„Als mein Vater verkündete, er wolle heiraten, habe ich Nachforschungen angestellt, um herauszufinden, was für eine Frau Madleen ist. Dabei stieß ich auf dich... und ein Bild von dir." Maya gluckste selbstironisch.
„Ah. Ich entspreche seinem Profil und endlich würde es mal ein Opfer geben, dass jemand vermissen würde und dummerweise eines, dessen Verschwinden dein Vater selbst bestätigen musste. Clever. Ein weiteres Opfer, um einem Serienmörder das Handwerk zu legen. Rational betrachtet eine hervorragende Idee, wenn nicht ICH besagtes Opfer hätte sein sollen."
Dazu schwieg er, nickte aber bestätigend und sie verfielen einige Sekunden in Schweigen. Ihr Verstand ratterte.
„Der Plan ist gut und wäre auch erfolgreich gewesen. Warum also hast du es nicht zu Ende gebracht? Konntest du es nicht ertragen, deinen Bruder auf dem elektrischen Stuhl zu sehen?" Maya schien nicht eine Sekunde daran zu glauben, dass er keine Vorkehrungen dafür getroffen hatte, um selbst mit einer weißen Weste aus der Sache hervorzugehen.
Damien wusste, dass er lügen sollte, dass er so viel nicht von sich preisgeben durfte. Doch er wollte es einfach ein für alle mal klarstellen.
„Mein Bruder ist mir egal. Ich wollte dich retten."  

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