Gräben

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  Kapitel 9
Maya ließ diese Worte einige Sekunden auf sich wirken, der Schmerz in ihrem Ellenbogen pochte fast hörbar in ihren Ohren. Nach dem Schlag auf die Tür war der Schmerz bis in ihre Schulter gedrungen, doch sie weigerte sich auch nur einen Laut von sich zu geben.
Allerdings konnte sie sich ein herablassendes Prusten nicht verkneifen. Sie glaubte ihm das nicht. Sie war ihm doch scheißegal, wie sie mit blutendmn Herzen einsehen musste. Es ging nur darum, Marcus zu beschützen.
„Und dass Marcus anstatt in der Todeszelle in eine Luxus-Psychiatrie eingesperrt wurde, ist nur ein angenehmer Nebeneffekt?"
Damiens silbernen Augen schlossen sich kurz resigniert, als er verstand, dass sie ihm den letzten Satz nicht abkaufte. Er hatte sicher nicht vorgehabt sie zu retten.
„Es war alles, was ich erreichen konnte. Ich habe nach dem Überfall noch einmal mit meinem Vater gesprochen und ich wusste, dass er niemals zulassen würde, dass die Morde herauskommen. Er sagte, dass Marcus für den Rest seines Lebens da drinnen bleiben würde. Es sei vorbei und alles andere würde nur noch dem Rest der Familie schaden. Ich kann nichts tun, Maya."
Und die Art, wie er das Lenkrad umfasste, wie seine Finger weiß unter der Anspannung wurden, sagten ihr, dass er die Wahrheit sagte. Aber eines musste sie unbedingt noch wissen.
„Liebst du ihn noch immer?" Maya war nicht klar, wie man jemand so böses lieben konnte. Marcus war ein Monster und anders als sie am Anfang, hatte Damien sehr früh erfahren, was hinter dieser schönen Fassade steckte. Damien seufzte und rieb sich mit einer Hand das Gesicht.
„Ich liebe den Jungen, der er einst war, Maya. Er ist mein kleiner Bruder und irgendwo da drinnen, lebt er noch."
„Schwachsinn!", entfuhr es ihr und fuhr ihm damit über den Mund.
„Damien, nach allem was du mir da gerade erzählt hast, kannst doch nicht ernsthaft glauben, dass eine Art böses Etwas von ihm Besitz ergriffen hat. Der kleine Junge, dem du so hinterher hängst, den gibt es nicht und er ist auch nirgendwo in ihm. Es hat ihn nie gegeben. Er hat keine gespaltene Persönlichkeit oder so ähnlich, der Psychopath in ihm versteckt sich nur. Er ist krank, er manipuliert dich und deinen Vater, um davon zu kommen, das müsst ihr doch sehen."
Damiens Blick legte sich finster auf den ihren und plötzlich sah er überhaupt nicht so beschützerisch oder besorgt aus, wie in dem Moment, in dem sie gegen diese verdammte Autotür geschlagen hatte. Da war nur noch Kälte und Maya wurde klar, dass er all das wusste und einfach verdrängte. Und dass Marcus einen wesentlich höheren Stellenwert bei ihm hatte, als sie.
Es schmerzte ihn so wütend zu sehen, als betrachtete er etwas, das ihm in Weg stand, als wäre sie der Feind.
„Er war ein Kind, Kinder sind nicht von Natur aus einfach böse." Vielleicht doch.

Vielleicht war Marcus von Anfang an verloren gewesen.

Vielleicht gab es das Böse, nicht im Sinne von Teufel und Dämonen, aber vielleicht wurden einfach manchmal Menschen geboren, die von Anfang an die Tendenz hatten, anderen Schmerzen zufügen zu wollen.

Es war grausam und absolut nicht gesellschaftskonform zu denken, unschuldige Kinder könnten nicht ganz so unschuldig sein, doch wie sollte man es denn sonst erklären? Marcus war geliebt worden, ist in einem vermögenden Umfeld aufgewachsen und es gab keine Anzeichen von Missbrauch in irgendeiner Form. Er widersprach fast allen Bildern, die man von Psychopathen hatte und zeigte doch alle üblichen Anzeichen: Tierquälerei, Brandstiftung, Manipulationsfähigkeit.
Es war schrecklich und man suchte automatisch nach Erklärungen, doch... manchmal gab es keine. Maya aber sprach ihre Gedanken nicht laut aus, lehnte sich nur resigniert zurück und wusste, dass dieses Gespräch den Graben zwischen ihr und Damien nicht verkleinert hatte. Ganz im Gegenteil. Es hatte ihr gezeigt, wie sehr das alles zum Scheitern verurteilt war. Sie wollte und konnte nur das Monster in Marcus sehen und ertrug es nicht, dass man ihm auch noch Liebe entgegenbrachte, während sie, das eigentliche Opfer, mit Abscheu behandelt wurde.
Vielleicht liebte sie Damien irgendwie, aber als er sie angesehen hatte wie einen Eindringling, eine Störung, in seinen Sichtweisen, da hatte er ihr das Herz gebrochen. Sie würde niemals zu ihm durchdringen und wenn es hart auf hart kam, würde sie immer nur die Nummer zwei für ihn sein. Das konnte sie nicht ertragen, sie wollte es nicht ertragen.
„Lass mich bitte raus, ich rufe mir ein Taxi", sagte Maya absolut desillusioniert und zu ihrer Überraschung zögerte Damien nicht, die Taste für die Entsperrung des Wagens zu drücken. Autsch. Das tat noch mehr weh.
Sie öffnete die Tür, wollte, dass er sie nicht einfach gehen ließ, dass er sich für sie entschied, anstatt für dieses Monster und sie schöpfte Hoffnung, als er begann zu sprechen.
„Ich bleibe hier stehen, bis es da ist", sagte er nur kühl und Maya schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter.
Und das tat Damien auch.
Nicht mehr und nicht weniger.
Als das Taxi kam und sie einstieg, heulte der Motor seines Wagens auf und er verließ sie.
In ihren Augen brannten Tränen. Die Ablehnung schmerzte mehr, als sie es für möglich gehalten hätte und all ihr Selbstbewusstsein sank in ihr zusammen. Sie war wieder das kleine, schüchterne Mädchen, das sie einst gewesen war und wollte sich einfach nur noch verstecken.

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