Teil 1 - Tribute

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 4. Das Fundament wird gelegt

     Göttin. Wie soll ich denn eine Göttin sein? Schmerzhaft presse ich meinen Kiefer zusammen und schlage meine Hand gegen die Stirn. Das ist alles so banal. So unreal. Gestern Abend wurde Nicholas der Kopf abgeschlagen und ich kann nichts anderes tun als hier, vor seinem Grab zu sitzen und sauer auf ihn zu sein. Seine Familie hat vorgeschlagen ihn an seinem Lieblingsplatz zu begraben. Hier, unter der Eiche vor meinem Fenster. Meine Geschwister Lic und Luke, Saphire und Rubin waren auch bei der kleinen Bestattung gewesen. Saphire und Rubin waren es auch, die mich ins Bett gebracht haben, weil ich unfähig war mich zu bewegen.

   Den ganzen Tag sitze ich nun hier und überlege, wie ich eine Göttin sein kann. Das ist doch lächerlich. Wie kommt Nicholas auf diese Idee? Ich bin doch nichts Besonderes. Ich sehe die Ungerechtigkeit, mehr nicht. Was soll ich ändern können? Ich kann ja schlecht einen Krieg anzetteln, wenn ich keine Ahnung vom Leben habe, vom Kämpfen. Die Distrikte haben schon einmal verloren, was sprach dagegen, dass sie es dieses Mal nicht taten.

   Passend zum Sonnenuntergang kann ich mich aufraffen und zusammen mit Saphire und Rubin zum Lagerfeuer gehen. Unterwegs werfe ich immer wieder misstrauische Blicke zu Rubin, denn ich bin mir immer noch nicht sicher, ob sie mich nicht jeden Augenblick an Vater verrät, aber vielleicht bin ich mit den Jahren misstrauischer meiner Familie gegenüber geworden.

   Am Platz angekommen, startet das übliche Prozedere. Es wird in meinen Finger gestochen und dann darf ich den Platz betreten. Sämtliche Blicke liegen auf mir, als ich mit erhobenem Haupt über den Platz schreite und versuche so auszusehen, als würde mir Olas Tod nicht so fürchterlich schmerzen. Schwäche zu zeigen, war in unserem Distrikt verpönt und da ich während der Hinrichtung zusammengeklappt war, musste ich nun mein Image wieder herstellen, hatte ich doch Nicholas versprochen, einer Göttin zu gleichen.

   Vor uns wird ein Parcours aus Puppen aufgebaut. Dann müssen sich die Jungs auf der einen und die Mädchen auf der anderen Seite nach dem Alter aufstellen. Die achtzehnjährigen nach vorne und die zwölfjährigen ganz nach hinten. Ein Junge muss gegen das Mädchen antreten, wer die meisten Dummies „umgebracht“ hat gewinnt und kommt eine Runde weiter. Das wird so lange wiederholt, bis ein Sieger feststeht, der Beste. Jeder darf mit seiner Lieblingswaffe kämpfen. Bei mir ist das eindeutig der Bogen oder ein Schwert. Diese Waffen liegen mir am meisten, gefolgt von Messer und Axt. Natürlich wurden wir dazu abgerichtet, mit jeder Waffe umzugehen, doch mein Fabel galt eindeutig den vieren.

   Als Saphire an der Reihe ist, verliert sie haushoch. Sie kann einfach keine Waffe in der Hand halten, ohne eine Panikattacke zu kriegen. So kommt es, dass sie angeschrien wird und noch einmal den Parcours machen muss. Sie tut mir Leid, wie sie, völlig fertig mit den Nerven, den Parcours so lange machen muss, bis sie schließlich in Ohnmacht fällt und abtransportiert werden muss. Natürlich lachen sich Lic und Luke darüber kaputt, weil sie ihre Gegnerinnen besiegt haben.

   Dann kommt Rubin an die Reihe. Ihr blondbraunes Haar hat sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie sieht ganz und gar wie die Tochter unseres Vaters aus und sie kämpft auch dementsprechend. Ausfallschritt hier, angreifen da. Sie kann perfekt mit dem Schwert umgehen, wie jeder aus unserer Familie – abgesehen von Saphire. Am Ende erschlägt sie sogar fast ihren Gegner, weil sie, wie immer beim Kämpfen, aggressiv wird. Wenn sie die Spiele im Fernseher verfolgt schreit sie die Tribute an, denjenigen so oder so zu töten und am Ende ist sie so sauer, dass sie sich wochenlang über die Dummheit der Tribute aufregt. Sie ist so anders als Saphire, die sich gegen Gewalt und Blut sträubt.

   Als ich an die Reihe komme, sehe ich, dass ich gegen Cato kämpfen muss. Mir wird ganz flau im Magen, aber ich setzte meine unbekümmerte Miene auf, die ich immer bei mir Zuhause benutze. Ich greife nach hinten und nehme einem der Trainer das Schwert ab, worauf er mich anschaut, als könne ich kein Schwert bedienen. Das Metall liegt kühl und schwer in meiner Haut, wirkt schmerzlicher weise gut in meiner Hand, so als gehöre es dorthin.

Hungerspiele - Überlebenskampf [Finish]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt