Hungerspiele - Überlebenskampf [Finish]

Teil 2 - Spiele

36. Fairness

Ich nehme mal an, dass Katniss sich mit Rue als Geisel sicher genug fühlt, um sich schlafen zu legen. Ihre eine Hand ist im Schlafsack verborgen, worauf ich schließen kann, dass sie ein Messer in der Hand hält. Was sie nicht weiß ist, dass ihre Annahme, ich wolle sie töten, absoluter Humbug ist. Sollte sie Rue aber im Schlaf ausversehen verletzen, dann würde ich es mir noch einmal überlegen mit dem umbringen. Rue scheint wieder einmal vollstes Vertrauen an den Tag zu legen, denn sie schläft zügig ein. Was mich wach hält ist das nagende Offensichtliche, dass was mich schon seit Stunden quält. Wir können nicht alle drei gewinnen. Wir werden schon bald an den Punkt gelangen, wo unser Vertrauen nichts mehr nützen wird. Wenn wir zu unseren verbittertsten Gegnern werden.

Das ist jedoch eine Sache, auf die ich mich zu einem späteren Zeitpunkt konzentrieren muss. Was jetzt wichtig ist, ist einen Plan zu entwickeln, wie wir die Vorräte der Karrieros zerstören können. Ich weiß, dass Ian um die Pyramide die aktivierten Minen vergraben hat. Das gibt mir ein Vorteil den anderen gegenüber. Wenn ich nur eine Ahnung hätte, wie wir die Minen zur Explosion bringen könnten. Wir dürfen denen nicht zu nahe kommen, denn sonst würde uns die Druckwelle glatt in den Tod reißen. Wir müssen aus der Ferne agieren. Aber das größte Problem ist, wie locken wir die Karrieros fort?

Ich weiß, dass es für die Karrieros schlagartig härter werden wird, wenn wir ihnen die Vorräte nehmen und sie auf sich selbst gestellt wären. Die Strategie, sich schon zu Anfang sämtliche Essensvorräte zu sichern zieht sich schon von Anbeginn der Spiele durch jedes Jahr. Seit ich die Spiele gucke, lief es immer gleich ab. Die Karrieros sicherten sich die Vorräte, beschützte sie und einer von ihnen gewann. Doch es gab immer Ausnahmen. Nämlich die Jahre, in denen ein Tribut aus einem armen Distrikt gewann. Dann hatten die Karrieros nicht genug auf ihr Essen aufgepasst und sie sind gestorben wie die Fliegen. Wenn man es so betrachtet, dann ist es ein Nachteil für uns Karrieros, das wir nie zu wenig Essen haben. Wir kennen keinen Hunger. Und daran gehen wir in den Hungerspielen zugrunde.

Ich habe das Hungern meiner Mutter zu verdanken. Wenn sie nicht fortgegangen wäre, dann würde Vater mich nicht hassen und mich gut genug ernähren. Dass ich die Welt außerhalb des Zaunes betreten und gelernt habe, mich selbst zu ernähren, habe ich ihr zu verdanken. Das Schicksal hat mich meiner Mutter beraubt und es hat mich zu einem hungernden Mädchen werden lassen, das nun einen Vorteil gegenüber ihren ehemaligen Verbündeten hat.

Gähnend lehne ich meinen Kopf nach hinten gegen den Baumstamm und schließe die Augen. Die Müdigkeit schleicht sich schwer durch meinen Körper. Ich gähne noch einmal und kuschel mich in meinen Schlafsack. Ich würde Cato zu gerne vorwarnen, ihn suchen gehen und ihm die Situation erklären. Doch alles was diese Aktion bringen würde, wäre ein gebrochenes Genick und unsere Chance wäre vertan. Ich seufze, ziehe den Schlafsack bis zum Kinn hoch und gebe mich der Müdigkeit hin.

Der Knall vermischt sich mit meinem Traum. Ich zucke krampfhaft zusammen und drehe mich auf die Seite um noch einmal einzuschlafen. Nur langsam realisiere ich, dass es ein echter Kanonenschuss war. Diese Art von Kanone, die abgefeuert wird wenn ein Tribut stirbt. Viel zu spät winde ich mich aus meinen Schlaf und meinem Schlafsack. Der Himmel ist schon hell gefärbt und ein breiter rosa, orangener Streifen zieht sich durch das blau. Vögel zwitschern ihre morgendliche Melodie.

Die Welt um uns herum steht still. Rue hockt still auf einen Ast unter uns, die Hände zu einer Schüssel geformt. Neben mir sitzt Katniss auf ihren Ast, kerzengerade aufgerichtet und mit Panik auf ihrem Gesicht. Mit schmerzhaft pochenden Herzen warten wir ob noch mehr Schüsse ertönen, doch es bleibt still. Es ist vorbei.

„Was glaubt ihr, wer das war?" Ohne dass ich es will, schleicht sich Ethans Gesicht vor meine Augen. Was ist, wenn Cato beschlossen hat, dass er nichts mehr nützt? Oder wenn Ethan den langen Kampf gegen das Jägerwespengift verloren hat? Nein, Cato braucht Ethan immer noch als Bewacher für seine so kostbaren Vorräte. Und wenn Ethan das Jägerwespengift nicht vertragen hätte, dann wäre er früher gestorben. Ethan kann es nicht sein.