Teil 1 - Tribute

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1. Distrikt 2

   Das Donnergrollen lässt mich aus dem Schlaf hochfahren. Durch das offene Fenster weht der eisige Nachtwind herein und zerrt an meiner dünnen Seidendecke, in der ich mich eingehüllt habe. Laub wirbelt von meinem Balkon ins Zimmer und verursacht die typischen kratzigen Geräusche, wenn es auf den kalten Fliesen aufkommt.

   Ich schlage die Decke zur Seite und schwinge meine Beine aus dem Bett. Der eisige Wind hüllt mich sofort ein und ich bereue fast, nur ein luftiges Nachthemd angezogen zu haben. Doch wo ich lebe, da ist eisige Luft selten. Tagsüber ist es so warm, dass man schwitzt, sobald man das Haus verlässt. Nachts kühlt sich die Luft auf angenehmere Temperaturen herunter. Doch heute hat das Wetter beschlossen, uns eins auszuwischen. Passend zu dem Spektakel, dass heute Abend beginnen wird.

   Mit einem lauten Knall fliegt das Fenster fest gegen die Angeln und wieder zu. Die Gardinen rauschen im Wind und tanzen durch den Raum, gehalten von ihren Befestigungsstangen. Ich brauche meine ganze Kraft, um das Fenster zu schließen. Der Wind ist stark und versucht zu verhindern, dass ich ihn aussperre. Doch schließlich gelingt es mir, das Fenster zuzudrücken und den Hebel nach unten zu ziehen. Die tanzenden Vorhänge legen sich über mich; ihr Tanz ist beendet.

   Einen Moment lausche ich, ob ich jemanden im Haus geweckt habe. Saphire zum Beispiel. Sie hat schon immer einen leichten Schlaf gehabt. Doch im Geschoss unter mir ist nichts zu hören. Auch das restliche Haus ist still. Vater und die anderen schlafen also. Mein Glück, denn ich bin mir sicher, dass Vater mich bestraft hätte, für das Schlafen mit offenen Fenster. Er braucht eigentlich keinen Grund um mich zu bestrafen, er tut es immer.

   Langsam strackse ich auf meinen altbackenen Kleiderschrank aus weiß lackierten Ebenholz zu und öffne ihn. Er ist überfüllt mit Anziehsachen. Auch wenn Vater mich hasst, er sorgt immer dafür, dass ich gut aussehe. Eher, damit sein guter Ruf keinen Schaden nimmt, als dass er doch irgendeine Art von Zuneigung für mich empfindet. Seine Art mich für das Gehen meiner Mutter verantwortlich zu machen, macht mich wütend und traurig zugleich. Warum sollte ausgerechnet ich Schuld an Mutters Fortgehen sein? Wäre ich nicht ein Grund gewesen zu bleiben? Ich war fünf, als sie für immer ging, ohne eine Chance wiederzukommen. Wäre ich nicht ein toller Grund gewesen um zu bleiben? Nicht zu gehen und der jüngsten Tochter beim Aufwachsen zuzusehen? Anscheinend nicht.

   Ich schüttele den Kopf, um die Erinnerungen los zu werden. Ich will mich nicht erinnern. Nicht an dem Tag, der so viele Jahre zurück lieg. Gestern Abend habe ich Saphire versprochen, nach Kräutern und Beeren zu suchen, weil es auf dem Markt keine mehr gab. Aber so wie es draußen aussieht, wird es bald anfangen zu regnen. Aber es könnte das letzte Mal sein, dass ich für sie unbeachtet Kräuter sammeln kann. In wenigen Stunden wird der Distrikt nur so von Friedenswächtern wimmeln, die darauf aus sind, endlich mal jemanden zu erschießen. Sie bekommen nicht oft die Gelegenheit dazu, im Gegensatz zu anderen Distrikten, denen es nicht so gut geht wie uns hier.

   Distrikt 2. Ein sauberer und großer Distrikt. Größer als alle anderen und beliebter. Hier haben die Menschen keinen Grund, sich gegen die Gesetze zu lehnen und eine Straftat zu begehen. Sie beten das Regime an. Wieso auch nicht? Es gibt uns alles was wir brauchen. Durch die fast alljährlichen Sieger bekommen wir sogar noch mehr Essen und Geld, als wir es eigentlich bräuchten. Jeder der zwölf Distrikte von Panem hat sich auf ein Gebiet spezialisiert. Distrikt 1 zum Beispiel produziert Luxusgüter, ebenfalls ein beliebter Distrikt, der vor Reichtum nur so strotzt. Mein Distrikt hat sich auf den Abbau und Weiterverarbeitung von Stein spezialisiert. Doch das ist nur die Hauptaufgabe. Wichtiger ist die Ausbildung von Friedenswächtern, die dann in ganz Panem eingesetzt werden. Sie werden in den verschiedenen Distrikten eingesetzt, aber auch im größten und mächtigsten Teil Panems. Der Wohnsitz des Regimes, in dessen Gegensatz unser Reichtum nichts ist. Der Mutter von Panem und den Distrikten. Dem Kapitol. Und da kommen wir zu unseren dritten Aufgabe: Der Produktion von Waffen. Den besten Waffen, mit denen die Friedenswächter ausgestattet werden. Mein Vater besitzt die meisten der Waffenproduktionsfirmen hier im Distrikt. Ein Drittel aller Firmen gehören ihm. Aber nicht nur das. Ihm gehören auch kleinere Steinbrüche, in denen weißer Marmor abgebaut wird. Reich sind wir alle Male.

Hungerspiele - Überlebenskampf [Finish]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt