Teil 3 - Sieger

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44. Die Felsenschlucht

Ich sehe auf Ethans Leiche herunter, während mein steifer Körper sich irgendwie von alleine aufrichtet. Das Bild von dem toten Ethan legt sich auf die Bilder der toten Rue und des toten Nicholas. Sie verschmelzen zu einem einzigen. Und auf einmal sehe ich drei Körper, die blutend auf dem Boden liegen, vom Leben verlassen. Drei Menschen, die wegen mir sterben mussten. Die wegen mir vom Kapitol hingerichtet wurden. Mit mir gehen die Sicherungen durch. Ich will Rache, zuckersüß und brodelnd heiß. Und auch wenn ich sie jetzt nicht bekommen kann, es wird eine Zeit geben, in der ich das Kapitol leiden lassen werde.

Brennend vor Zorn und leergefegt durch die Trauer lege ich meine rechte Faust über mein Herz und bilde mit der linken das Friedenszeichen, das ich Ethan entgegenstrecke. Auf einmal ist da ein anderer Körper neben mir. Die Wärme von Catos kräftigem Körper spendet mir dieses Mal keinen Trost. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie er ebenfalls die Abschiedsgeste aus unserem Distrikt für Ethan anwendet.

Mein Blick huscht suchend über die Lichtung, doch hier wachsen keine Blumen, mit denen ich Ethans Leiche schmücken kann. Stattdessen wende ich mich den Büschen zu, die die Lichtung umwachsen. Mit zittrigen Fingern fange ich an Äste von den Büschen abzuschneiden und eine Krone daraus zu flechten, so wie es mir Nicholas gezeigt hatte. Sobald die Krone fertig ist, wende ich mich wieder Ethans Leiche zu.

Ich lege sie gerade auf den Boden und lege seine Hände ineinander verschränkt auf seinen Bauch. Das Messer in seiner Brust lasse ich stecken. Ich will es nicht zurück, nicht nachdem ich damit Ethan umgebracht habe. Also wende ich mich seinem Gesicht zu. Sein Gesicht zeigt ein zufriedenes Lächeln, befreit von den Schmerzen, die Augen sind noch geöffnet und schauen mich an. Es sieht so aus, als habe er die letzten Minuten seines Lebens genossen. Weil ich Ethans leeren Blick nicht ertragen kann, schließe ich ihm die Augen. Dann setze ich ihm die Krone aus grünen Blättern auf den Kopf. Es ist nicht das gleiche wie bei Rue, doch es ist genauso eindrucksvoll. Und vor allem müssen die Spielmacher auch diese Geste zeigen, sobald sie Ethans Leiche aufsammeln.

Catos Hand legt sich auf meinen Unterarm und dreht mich mit sanfter Gewalt zu ihm herum. Er macht Anstalten mich in eine Umarmung zu ziehen, doch ich tauche unter seinen Armen hinweg. Noch mehr Schmerz kann ich heute nicht ertragen. Also wende ich mich dem Zelteingang zu, vor dem mein Rucksack mit meinem verpackten Zelt und mein Pfeil und Bogen liegen. Ich packe den Köcher und den Bogen und schwinge sie mir beide stumm über die Schulter, dann folgt der Rucksack. Mit einer steifen Bewegung überprüfe ich, ob mein Schwert in ihrer Scheide an meinem Gürtel hängt. Dann gebe ich meinen niederen Gelüsten nach. Ich laufe.

Ich laufe so schnell wie es mir mein Körper erlaubt und sogar noch schneller. Ich will meinen Körper spüren, das Reißen der Muskelfasern, das Brennen in meiner Lunge, das bittersüße Gefühl in meinem Kopf, als stände er unter Druck und würde im nächsten Moment platzen. Ich laufe bis der Schweiß auf meiner Haut brennt und mein Körper schreit, dass ich stehen bleiben soll. Mein Laufen wird schließlich zum Joggen und geht dann in ein langsames Gehen über, bis ich stehen bleibe, meine Hände in die Seite drücke und zitternd Luft hole. Ich sehe Ethans lächelndes aber totes Gesicht vor mir und wende das Gesicht ab, als könnte ich so dem Schmerz und der Leere entgehen. Als könnte ich jemals das Bild vergessen.

Schwer atmend lasse ich mich zu Boden gleiten, winkel die Beine an und lege die Arme auf die Knie. Ich weiß, dass Cato mir folgt und dass er mich früher oder später einholt. Deswegen bleibe ich sitzen und starre Löcher in die Luft, wobei ich versuche die Schuldgefühle und bösen Gedanken zu ignorieren, die in mir aufschwemmen. Auch versuche ich die Tränen zurück zu halten, die unablässig fließen wollen.

Schließlich kündigen die dumpfen, festen Schritte Cato an, der sich brüsk einen Weg durchs Unterholz bahnt. Ich drehe mich nicht um, als er mich erreicht und rühre mich auch nicht, als er sich schweigend neben mich auf den Boden setzt, einen Arm um meine Schulter legt und mich an sich heran zieht. Auch wenn sich alles in mir sträubt, mich dem hinzugeben, vergrabe ich trotzdem mein Gesicht in seiner Brust, um mein Gesicht vor den Kameras zu verstecken.

Hungerspiele - Überlebenskampf [Finish]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt