Teil 2 - Spiele

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27. Der Flug

   Ich sitze in Schneidersitz auf meinem Bett, ungeschminkt und in meinem Schlafanzug. Nachdem ich Enobaria mit der Tatsache konfrontierte habe, bin ich sofort in mein Zimmer gegangen und unter die Dusche gestiegen. Nun sitze ich hier und warte darauf, was als nächstes passiert. Es ist bestimmt jeden Augenblick so weit, denn der Himmel steht kurz davor, sich rosa zu färben.

   Es ist Jasper, der kommt um mich abzuholen. Er reicht mir ein langes, dunkelrotes Hemd, dass ich gegen meinen Schlafanzug tauschen soll. Dazu reicht er mir braune Lederstiefel, die ich mir überstreife. Das richtige Einkleiden findet in den Katakomben unter der Arena statt. Schweigend folge ich Jasper aufs Dach, wo schon ein Hovercraft auf uns wartet. Es fährt eine Leiter hinab. Jasper bedeutet mir mit einer Handbewegung, dass ich vorgehen soll. Kaum stehe ich sicher auf der Leiter, fährt ein Stromschlag durch mich hindurch und sorgt dafür, dass ich mich nicht mehr bewegen kann, während die Leiter hochfährt.

   Oben angekommen, hält mich der Strom noch immer gefangen. Ein Mann im weißen Kittel kommt auf mich zu. In der Hand hält er eine Spritze mit einer dicken Nadel. „Was soll das?", versuche ich zu sagen, doch der Strom lähmt weiterhin meinen gesamten Körper.

   „Das ist dein Aufspürer. Je stiller du hälst, desto angenehmer wird es für dich", klärt der Mann mich auf.

   Stillhalten? Wie kann ich mich auch bewegen, wenn der Strom dafür sorgt dass ich mich wie ein Stein fühle? Doch im Gegensatz zu einem Stein kann ich den Einstich spüren, als der Mann mir die Nadel einsticht und den Aufspürer aus Metall in meinem rechten Arm platziert. Nun können die Spielmacher mich jederzeit, zu jeder Sekunde, in der Arena aufspüren. Die wollen ja keinen Tributen verlieren.

   Der Mann zieht die Nadel aus meinen Arm und die Leiter gibt mich frei, so dass ich in endgültig in den Frachtraum des Hovercraft treten kann. Die Leiter fährt wieder herunter und bringt Jasper hoch zu mir. Als er neben mir steht, erscheint ein junges Avoxmädchen, kaum älter als 14. Ich muss hart schlucken. Stumm führt sie Jasper und mich in einen Raum, in dem ein üppiges Frühstück vorbereitet wurde. Ich verspüre zwar kein Hunger – die Nervosität schlägt mir zu sehr auf den Magen – trotzdem verspeise ich alles was mir gereicht wird. Das Wissen, dass ich in der Arena nicht viel zu essen bekommen werde reicht aus, um das Essen drinnen zu behalten.

   Jasper überredet mich nach dem Essen mich ein bisschen hinzulegen und begleitet mich zu einer Couch, wo ich mich hinlege. Ich schließe die Augen, doch es hilft nichts. Der Gedanke in wenigen Minuten in der Arena anzukommen lässt mich wachbleiben. Mehrmals drehe ich mich hin und her, doch ich kann einfach keine Ruhe finden. Seufzend richte ich mich auf und lehne mich nach rechts an die Rückenlehne der Couch.

   Aus dem Fenster heraus kann ich die Bäume und die grünen Felder sehen. Es muss fantastisch sein, ein Vogel zu sein. Vögel erleben jeden Tag diese unglaubliche Aussicht. Sie sind frei, können sich über die Grenzen hinweg bewegen und werden von keiner Regel der Welt gehalten. Erneut seufze ich und schließe die Augen. Ich seufze in letzter Zeit viel zu oft.

   Auf einmal verdunkelt sich die Welt vor meinen geschlossenen Augenlidern. Erschrocken öffne ich die Augen und bemerke, dass sie Fenster verdunkelt worden sind. Es muss also jeden Augenblick so sein. Tiefe Nervosität ergreift mich. Und immer wenn ich wirklich schrecklich nervös bin, dann muss ich auf Toilette.

   Ich stehe auf und versuche auf eigene Faust nach einem Badezimmer. Doch schon bei der ersten Tür wird mir der Weg versperrt. Ein Friedenswächter tritt mir in den Weg und lässt mich nicht vorbei. Auf meine Erklärung hin, dass ich eine Toilette suche, bleibt er still und schaut mich finster an. Wut ergreift mich. Ich packe den Mann an den Schultern und zerre ihn mit aller Kraft zur Seite. Doch er greift zu seinem Schlagstock an seinem Gürtel, fährt ihn aus und schlägt mich damit. Mein Kopf ruckt zur Seite und ich kann das Blut in meinem Mund schmecken. Wie es meine Zunge benetzt und klebrig meine Speiseröhre hinunter rinnt. Meinen bösartigen Blick richte ich auf den Kerl, der seinen Stock wieder erhoben hat.

Hungerspiele - Überlebenskampf [Finish]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt