Teil 1 - Tribute

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9. Blaue Augen

   Nicht er! Nicht er! Nicht er! Bitte, bitte, bitte!

   Er ist es. Die Menge macht für ihn Platz und selbstsicher und mit erhobenem Kopf schreitet er auf die Bühne zu. Es wird getuschelt und man mustert uns beiden. Die größten Kontrahenten, die Besten aus dem Distrikt gehen beide in die Arena. Leicht recke ich mein Kinn höher in die Luft, schaue niederträchtig auf die Menge hinab, so wie eine Göttin es sicherlich machen würde, wenn ihr ihr Volk nicht gefällt. Und es gefällt mir gerade ganz und gar nicht. Cato stürmt die letzten Schritte zur Treppe, geht langsam die Stufen hoch und nimmt den Platz neben Jade ein. Adam wird ebenfalls von Friedenswächtern von der Bühne geführt.

   Wie viel kann eigentlich noch schief gehen?

   Jade wendet sich leicht verwirrt aber sichtlich erfreut zu Cato. „Möge das Glück immer zu deinen Gunsten sein, junger Tribut. Sag, wie ist dein Name?“

   Cato schaut einmal durch die Menge, die sich vom Schock erholt hat und nun uns beiden zujubelt.

   „Cato Minaccia“, sagt der Junge zur Jades rechten. Sein Lächeln, kalt und gefährlich. Immer dieses gefährliche. Wirke ich auch so auf andere? Oder bin ich irgendwie missraten, wie mein Vater mir immer so schön sagt? Was sehen die anderen in mir, wenn sie mich sehen? Was hat Nicholas in mir gesehen? Er hat mich geliebt, hat er gesagt. Was hat er an mir gemocht? Ich habe ihn nie danach gefragt und jetzt ist es zu spät. Mein Gesicht verdunkelt sich noch mehr und ich hoffe, dass ich wenigstens hochnäsig wirke, arrogant, irgendwas. Wenigstens einmal muss ich doch Glück haben.

   Wie jedes Jahr tritt nun der Bürgermeister vor und beginnt den langen, trostlosen Hochverratsvertrag vorzulesen, doch ich höre nicht hin.

   Wieso er? Wieso kein anderer? Noch während ich die Einöde hinter dem Distrikt betrachte und versuche meine Maske zu bewahren, werde ich innerlich nach hinten gerissen. Weit in die Vergangenheit. Zu dem glücklichsten aber auch schrecklichsten Tag meines Lebens. Den Tag, an dem ich meine Mutter verlor und meine Liebe fand.

   Es war ein schöner Sommertag, an dem ich meine Klasse für das nächste Jahr kennen lernen würde. Die Sonne hatte mich wach gekitzelt und während ich die dicke, weiße Seidendecke versuchte zu bändigen, kam meine Mutter herein.

   „Aufwachen meine süße Blume. Wir müssen dich anziehen, damit du essen kannst.“ Sie schloss die Balkontür und setzte sich auf mein Bett.

   Ich war voller Energie und Entdeckerdrang, typisch für eine Fünfjährige. Ich wollte die Welt kennenlernen, neue Blumenarten entdecken und einmal den ganzen Distrikt erkunden. Meine Mutter hatte Probleme, mich in mein gelbes Sommerkleid zu stecken. „Halt still, meine Süße“, lachte sie und kitzelte mich durch. Ich hatte geniest und meinen Kopf geschüttelt. Als sie mir die Haare zu zwei Zöpfen geflochten hatte, trug sie mich nach unten in die Küche.

   Dort saßen wir und aßen unser Frühstück. Leise. Keiner sagte ein Wort. Für eine fünfjährige unbegreiflich. Ich war glücklich und hatte so viel Freude in mir, dass ich schier explodieren wollte. Doch die Stimmung ließ es nicht zu. Also unterdrückte ich jeglichen Drang Spaß zu haben und stattdessen meine Familie mit unverhohlener Neugierde zu beobachten. Meine Mutter hatte Tränen in den Augen. Vaters Gesicht wirkte noch kälter und mürrischer als sonst. Finn sah ernst von Mutter zu Vater und dann zu mir und wieder zurück. Saphire und Rubin hatten ihr Essen nicht angerührt. Nur Lic und Luke waren wie immer und aßen wie Schweine. Ich hatte die beiden schweren Koffer im Flur sehr wohl gesehen, aber ignoriert.

   Nach dem Frühstück, hatten wir unser Haus verlassen. Mein Vater und Flin sind hinten gegangen, jeder hatte einen der alten Koffer in der Hand. Mutter hatte mich an der Hand, die sie immer wieder fest gedrückt hatte.

Hungerspiele - Überlebenskampf [Finish]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt