Teil 2 - Spiele

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37. Verrat der Schwesternschaft


Einige Minuten bleibe ich noch auf dem Boden hocken, klammere mich an meine Waffen, wie eine Ertrinkende sich an einen Rettungsring klammert. Noch immer steht mein Körper unter Spannung und zittert vor Nervosität. Kalter Schweiß rennt mir den Nacken hinab und verfängt sich in meiner Kleidung. Mein Herz hämmert wie verrückt und meine Atmung ist zu hektisch, saugt die Luft ein, als hätte ich sie stundenlang angehalten. Nur langsam wird mir bewusst, wie viel Glück ich hatte. Wären die Vorräte nur wenige Minuten später in die Luft geflogen – mich schaudert es bei dem Gedanken, was Cato mit mir angestellt hätte, wenn er mich entdeckt hätte, so nahe dran an dem Ablenkungsmanöver. Unvorstellbar. Erst recht wenn die Jungs dazu gestoßen wären.

Ich stoppe, vergesse vollkommen zu atmen oder mich zu bewegen, mein Zittern erstirbt jäh, jeder Muskel spannt sich noch weiter an. Das mir das entgangen ist. Wie dumm muss ich sein, schalle ich mich selbst und springe schon im nächsten Moment auf. Mein Körper hat nun ein neues Ziel. Und das ist zu beschützen. Fahrig ziehe ich mir den Bogen wieder um die Schulter und ziehe mein Schwert, das an meinem Gürtel baumelt. Es liegt leicht in meiner Hand, eisern und blutrünstig, bereit tiefe und tödliche Wunden zu schlagen. Noch bevor ich das Blut sehe, gerate ich schon in einen Blutrausch. Und es tut gut. Als folge ich endlich meiner Bestimmung.

Mein Körper setzt sich in Bewegung, vollkommen auf das Ziel fixiert. Mein Körper reagiert von alleine, bewegt sich vorwärts, mit festen, selbstbewussten Schritten zwingt er mich in die nordwestliche Richtung zu gehen. Mein Atem ist erstaunlich ruhig, dafür, dass mein Inneres verrückt spielt. Ein Szenario nach dem anderen spielt sich vor meinen Augen ab, das eine Schlimmer als das darauffolgende. Trotzdem. Ich darf jetzt hysterisch werden oder schlimmer: verrückt. Ich muss gefasst bleiben, wachsam und tödlich. Ich habe das gelernt, von klein auf. Ich bin gut darin Puppen zu töten. Ich muss mir nur vorstellen, die Gefahr wäre eine ziemlich reale Puppe.

Ich renne so schnell ich kann und der dabei entstehende Luftstrom sorgt dafür, dass mein Nacken gekühlt ist und der Schweiß langsam trocknet. Die Kälte hilft mir außerdem dabei, meinen Kopf zu klären, alles abzuschalten was mich ablenken könnte. Ich lasse der Jägerin den Vortritt, höre auf das, was sie hört und reagiere auf das, was sie tut. Wir verschmelzen zu einer Einheit, der bekannte Zusammenklang von tödlicher Eleganz.

Vor mir sehe ich die Schneise, die ihr Körper in den Wald geschlagen hat. Ich mustere umgeknickte Äste von Büschen, niedergetrampelte Blumen und am Boden liegende Kiefernnadeln, die durch Schritte zur Seite geschoben wurden. Unwillkürlich umklammere ich den Griff meines Schwertes fester. Meine Handflächen sind schwitzig, daher sitzt das Schwert nicht fest in meiner Hand, nicht so fest wie es liegen sollte. Ein tödlicher Fehler, wenn ich nicht bald das Schwitzen abstelle. Wenigstens bin ich auf der richtigen Spur.

Nach endlosen Minuten lichtet sich die ein getrampelte Schneise und öffnet sich zu einem Platz hin, der mir bekannt ist. Und als ich ihn betrete und den Scheiterhaufen sehe, überkommt es mich eiskalt. Der Scheiterhaufen steht noch, das Grünzeug wurde nicht angezündet. Unser Plan ist schief gelaufen, so unglaublich schief. Und mir wird klar, dass es meine Schuld ist.

Ich umrunde das noch stehende Lagerfeuer, begreife nicht, dass es noch steht, dass es nicht niedergebrannt ist wie es sollte. Etwas ist schief gelaufen. Und ich weiß auch ganz genau was. Benommen bleibe ich stehen. Dann lege ich den Kopf in den Nacken, betrachte die Baumkronen, in denen Spotttölpel spielerisch durch die Äste hüpfen, kindlich, als würden sie nicht bemerken was unter ihnen geschieht, was für eine Grausamkeit hier veranstaltet wird. Ich lege den Kopf noch weiter in den Nacken, spüre den Windhauch der sich durch den Wald zieht und Blätter zum Rauschen bringt. Ich höre die Insekten summen, die Vögel zwitschern, das Orchester der Natur. Passend dazu verwebt sich meine gehauchte Stimme hinein, melodisch aber kurz. Und dann spielt das Orchester ein anderes Stück. Erst ein Spotttölpel greift Rues Melodie auf, dann noch einer und noch einer und dann ist die Luft erfüllt mit einem Canon von Rues Melodie.

Hungerspiele - Überlebenskampf [Finish]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt