Teil 1 - Tribute

778 34 16
                                    

22. Training Tag 3

   Der dritte Trainingstag ist gleichzeitig auch der Tag der Einzelsitzungen. Wir werden nach dem Mittagessen im Speisesaal bleiben und nacheinander aufgerufen, um unser Können den Spielmachern zu demonstrieren. Es geht mit Distrikt 1 los und endet mit Distrikt 12. Zuerst wird der Junge aus dem jeweiligen Distrikt aufgerufen und das Mädchen folgt.

   An diesem Morgen ziehe ich ein letztes Mal meine Trainingskleidung an. Vor meinem Spiegel binde ich wieder meine Haare nach hinten. Traurige, glasige Augen schauen mir entgegen und meine Haut sieht fahl aus. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich seit Tagen kein vernünftiges Licht mehr gesehen habe. Wenn es zum Training nach unten geht, dann geht die Sonne gerade einmal auf, und wenn wir wieder hoch kommen, dann ist sie schon wieder unter gegangen. Unten in der Trainingshalle ist es fast düster, wären da nicht die grellen Halogenlampen, die versuchen gegen die Düsternis anzugehen.

   Seufzend begebe ich mich in meinen neuen Alltag. Umringt von drei begeisterten Erwachsenen, die uns voller Elan auf unseren Tod vorbereiten und uns Tipps geben, ihn länger hinaus zu zögern, sitze ich hier in der Wohnung fest und wünsche mir einfach nur, alleine zu sein, Luft schnappen zu können und die Sonnenstrahlen auf meiner Haut zur fühlen. Unten bin ich umgeben von, nach Blut gierenden Menschen, die jede unserer Bewegungen genauestens beobachten und sich einen Plan machen, wie sie uns nach dem heutigen Einzeltraining bewerten können.

   Das Training verläuft schleppend. Ich komme mir vor, als besteht die Luft um mich herum aus Brei, der verhindert, dass alles in Originalgeschwindigkeit abläuft. Ich bin schlecht gelaunt und will endlich alles hinter mir haben. Irgendwann in der Nacht muss ich in ein tiefes Loch gefallen sein, aus dem ich nicht mehr heraus zu kommen scheine. Selbst Marvel gelingt es nicht meine Laune zu heben, ganz zur Freude von Cato, der Marvels enttäuschtes Gesicht mit einem höhnischen Lächeln quittiert.

   Ich fühle mich emotional völlig ausgelaugt, obwohl mein Körper zu Höchstformen aufgelegt ist. Ich wandere von Station zu Station ohne überhaupt wahrzunehmen welche es ist. Wie durch Nebel sehe ich, wie ich die bereitstehenden Trainer an den Kampfstationen besiege und das immer und immer wieder. Schon bald kleben mein Shirt und meine Haare an meiner Haut und meine Lunge brennt wie Feuer.

   Es ist ausgerechnet Cato, der mich vor mir selbst rettet. Er packt mich grob am Arm und zieht mich von der Station weg, an der ich mit einem der Trainer Nahkampf übe. Seine kräftigen Hände umschließen meine Oberarme fest und drücken mich von ihm fort, damit er mir besser ins Gesicht schauen kann. „Sag mal was ist heute mir dir los? Dir ist schon bewusst das du dich wie eine wandelnde Leiche verhältst und nicht wie eine Göttin, oder? Verdammt, heute geht es um verdammt viel, verstehst du? Da ist keine Zeit um schwach zu werden. Beiß die Zähne zusammen und stellt dir vor, du bist Zuhause und trainierst für dich alleine, völlig ungezwungen."

   Wut flammt in mir auf. Ich soll die Zähne zusammen beißen und so tun als würde mir das alles nicht zusetzen? Aber genau das tut es. Ich muss nur durch die Halle zu sehen und schon schnürt sich mir die Kehle zusammen. Denn dreiundzwanzig von uns werden dann nicht mehr auf dieser Welt weilen. Ihre Geschichten würden ausgelöscht sein, als hätten sie niemals existiert. In wenigen Wochen wird nur noch einer von uns hier sein und zusehen wie im nächsten Jahr die nächsten 24 Tribute in die Arena gepfercht werden. Wie kann einem Menschen bei klarem Verstand das nicht zusetzen? Ich bin nun mal nicht so blind und ignorant wie die anderen.

   Aber ich will nicht streiten. Ein neuer Streit mit Cato würde mir desweiteren noch zusetzen. Ich habe mich auch nicht umsonst gemeldet, sonder für ein größeres Wohl. Und das kann ich nur erreichen, wenn ich tatsächlich die Zähne zusammen beiße und endlich meinen Kopf aus den Hintern ziehe. Ich schlucke also meinen Zorn herunter und schaue Cato in die Augen, mein verkrampfter Körper löst sich, als ich aufgebe. „Schön", antworte ich knapp, reiße mich zusammen und sage freundlicher: „Du hast recht. Danke." Ich bringe sogar ein Lächeln zustande, dass so strahlend ist, wie es sich für eine Göttin gehört.

Hungerspiele - Überlebenskampf [Finish]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt