Teil 3 - Sieger

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60. Naivität

Mein Körper schreit nach Ruhe. Ich bin emotional so ausgelaugt, dass ich mich kaum noch auf den Beinen halten kann. Verzweifelt sehne ich mich danach, mich in mein gemütliches Bett zu legen, die Decke über den Kopf zu ziehen und zu weinen. Ich möchte mir die Schwere von meinem Herzen weinen, ich möchte um die Kinder und Jugendlichen trauern, die ich habe sterben sehen – die ich größtenteils getötet habe. Aber das Kapitol lässt keine Pause zu.

Katniss, Peeta, Cato und ich werden nach beenden der Show umgehend zum Präsidentensitz gebracht, wo das Siegerbankett veranstaltet wird. Ich verspüre keinerlei Hunger, so präsent schmiegt sich die Trauer um meinen Körper, aber zum Essen bleibt uns ohnehin kaum Zeit. Die Würdenträger des Kapitols und die großzügigen Sponsoren schupsen sich quasi gegenseitig zur Seite, um uns zu gratulieren und Fotos zu machen. Für einige muss ich sogar meinen Namen auf ein Foto von mir schreiben. Der viele Rummel ist mir unangenehm.

Der Abend rauscht an mir vorbei. Immer mehr bunte und schrille Gesichter rauschen an uns vorbei, mit einem breiten Grinsen im Gesicht, dass im Übergang von Abend zur Nacht immer beschwipster wird. Der Lärm der Musik und der Unterhaltungen der Gäste vermischen sich zu einem unendlichen Dröhnen, dass mir Kopfschmerzen bereitet. Gelegentlich erhasche ich einen Blick auf Präsident Snow, dessen Anblick mir einen eisigen Schauer beschert.

Meine Gesichtsmuskeln verkrampfen, meine Mundwinkel zucken vor Anstrengung, aber ich behalte mein stahlendes Lächeln weiter. Ich bedanke mich herzlich bei jeden einzelnen Gast, der zu mir kommt und mir gratuliert. Geduldig lasse ich ein Foto nach dem nächsten über mich ergehen. Cato habe ich in dem Gewusel schon längst verloren, nachdem er meine Hand losgelassen hat, um mit zwei Mädchen aus dem reichen Geschlecht ein Foto zu machen. Ich habe gespürt, wie distanziert er wirkt, schon seit wir die Bühne verlassen haben. Seine Hand lag in meiner, aber ohne das Gefühl von irgendeiner Art von Vertrautheit. Das Leuchten in seinen Augen war erloschen. Er hat sich vor mir zurückgezogen.

Es ist früher Morgen, als wir zurück in den zweiten Stock des Trainingscenters fahren. Die Sonne kriecht schon über den Horizont. Jetzt, wo ich nicht mehr von einer Menschenmasse umgeben bin, habe ich das Gefühl, das erste mal wieder richtig Luft holen zu können. Die Ruhe ist nach den vielen Stunden des Lärmes zu laut in meinen Ohren. Ich überlege, dass die eisige Kälte, die von Cato ausgeht, vielleicht nur durch die große Menschenmenge ausgelöst wurde. Kaum erreichen wir aber unser Apartment, geht Cato sofort in sein altes Zimmer und knallt die Tür hinter sich zu.

Tränen schnüren mir die Kehle zu. Diese Art der Abweisung schmerzt. Ich bin verwirrt und ich fühle mich mit einem Schlag alleine. Hat es jemals ein Cato und ich gegeben? In diesem Moment fühlt sich alles wie eine Lüge an. Eine Lüge, die mein Herz schmerzhaft zusammendrückt.

„Es war ein anstrengender Tag. Los. Gönn ihm seine Ruhe." Enobaria schupst mich den Flur entlang in mein Zimmer.

Mein Zimmer ist so groß und prächtig wie eh und je. Das Bett wirkt einladend, aber ich kann nicht darin schlafen. Es fühlt sich nicht richtig an, die Bequemlichkeit des Kapitols auszukosten, während wir für sie doch nichts weiter als Schlachtvieh sind. Obwohl das Zimmer genau passend temperiert ist, beginne ich zu frieren. Zähne schlotternd schlinge ich meine Arme um die Brust. Ich habe das Gefühl innerlich zu zerbrechen. Das Gefühl meiner schützenden Arme um meinem Oberkörper gibt mir das trügerische Gefühl des Schutzes.

Ich will mich nicht in das Bett legen. Also setze ich mich in Schneidersitz vor das Fenster, wie an den einen Abend vor der Arena, umschlinge weiterhin meinen Oberkörper und lehne mich dann nach vorne. Meine Stirn presst sich gegen die eisige Fensterscheibe. Das Kleid bauscht sich um meinen Körper, als wolle es mich verschlucken. Es ist eine unbequeme Position zum Sitzen, aber sie hilft mir wach zu bleiben. Ich starre durch das Glas hinaus auf das Kapitol, beobachte die Stadt, wie sie langsam aus dem Schlaf erwacht. Doch dann schalte ich meinen Kopf aus. Ich starre nur noch, ohne etwas zu sehen. Ich atme, ohne zu fühlen. Die Zeit vergeht, ohne jede Emotion, die versucht mich zu vernichten. Ohne jeglichen Gedanken ist es still.

Hungerspiele - Überlebenskampf [Finish]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt