Teil 3 - Sieger

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42. Wiedersehen

Nach dem Besuch auf der Wiese kommt mir der Wald heimischer und sicherer vor. Ich drehe der Wiese den Rücken zu und begebe mich in die Dunkelheit des Unterholzes. Kaum trete ich in den Schatten der Bäume, empfängt mich eine angenehme Kühle. Nun kann ich nachvollziehen warum die meisten der Tribute in den Wald geflüchtet sind. Hier herrscht eine angenehme Temperatur, da die Baumkronen die heißen Sonnenstrahlen des Tages abhalten. Sofort passt mein Anzug sich dem Temperaturumschwung an und sorgt dafür, dass mein Körper sich nicht abkühlen muss.

Meine Priorität richtet sich auf die Notwenigkeit, Cato und Ethan zu finden. Doch weil der Wald groß ist, könnten sie überall sein. Deshalb muss ich überlegt vorgehen. Wo würde ich hingehen, wenn man mir meine wichtigste Nahrungsquelle genommen hat? Ich brauche gar nicht lange überlegen. Wie von selbst schlagen meine Beine den Weg zum Fluss ein. Wenn der See tagelang meine Wasserquelle gewesen wäre, dann würde ich mir eine neue suchen, sobald ich von der alten vertrieben wurde. Und das ist im Wald nun mal der Fluss. Entschlossen wandere ich durch den Wald. Um mich herum wird der Tag älter und damit auch im Wald heißer. Schon bald sendet mir mein Anzug angenehme Kühle zu.

Ich kriege mit, wie der Wald um mich herum dunkler wird, je tiefer ich hineingehe. Unheimlicher weise wird er auch immer stiller. Einmal bleibe ich stehen um zu lauschen, ein Schauer durchzuckt mich. Misstrauisch runzle ich die Stirn. Etwas stimmt hier nicht. In einem Wald gibt es immer Geräusche, doch ich kann nur das leise Summen der Insekten hören, sonst nichts. Ein ungutes Gefühl beschleicht mich, genauso wie vorhin, als ich in Threshs Territorium eingedrungen bin. Doch hier kann keine Gefahr lauern. Ich habe mich fast schon seit Beginn der Spiele hier aufgehalten, wenn es etwas Böses hier im Wald geben würde, dann hätte ich das schon längst mitbekommen.

Um mich von der unheimlichen Stille abzulenken, fange ich an Lieder zu summen. Es sind Lieder, die mir meine Mutter früher vorgesungen hat, Lieder über die Liebe. Und alle drehen sich um dieselbe Art von Liebe: die, die einem durch den Körper spült, das Herz erweicht und den ganzen Körper mit Sehnsucht erfüllt. Zeitgleich machen sie mich auch traurig. Ich kann nicht verhindern, mich zu fragen, ob Mutter mir gerade zuguckt und sich fragt, was ich für Lieder summe. Vermutlich wird sie nicht wissen, dass sie sie kennt. Sie wird sich nicht erinnern können, dass sie sie mir vorgesungen hat wenn ich im Bett lag und nicht schlafen wollte oder an sonnigen Tagen, wenn wir beide auf Schmetterlingsjagd gingen. Tränen steigen in mir auf. Damit die Kameras sie nicht einfangen können, schaue ich auf den Boden und tue so, als würde ich auf Fußspuren achten.

Spotttölpel um mich herum greifen meine Melodien auf und tragen sie weiter. Der Gesang haucht dem Wald wieder Leben ein und macht ihn wieder weniger befremdlich. Ich könnte mir fast einbilden, dass ich Zuhause in den Wäldern bin, umgeben von den Zäunen und auf den Weg um Nicholas und seine Familie zu besuchen. Doch der Wald ist nicht heimisch und ich werde Nicholas auch nie wieder sehen. Er ist Tod und dran bin ich Schuld. Und dieser Wald ist ein Schauplatz für die Grausamkeit, zu der Menschen fähig sind, sobald man sie in die Enge drängt. Und das werden wir. Wenn wir uns wehren würden, würden die Spielmacher uns Mutationen oder Naturkatastrophen auf den Hals hetzen.

Zum ersten Mal seit ich in der Arena bin, wird mir so richtig bewusst, wie ekelerregend das hier ist, wie nahe ich dem Tod schon gekommen bin. Ich bleibe stehen und schaue mich im Wald um, richtig. Hinter jedem dieser Bäume könnte ein Feind lauern, der mich töten will. Es kann schließlich nur einer überleben. Und ich dümpel hier einfach herum, versuche mich der Situation anzupassen, ohne wirklich zu begreifen, wie ernst die Lage ist. Ich habe keine Angst, ich bin auch nicht auf einen Kampf gefasst. Ich schlendere einfach nur bewaffnet durch den Wald und suche Cato und seine Verbündete, als sei das hier ein ganz normaler Tag an einem ganz normalen Ort.

Hungerspiele - Überlebenskampf [Finish]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt