Teil 3 - Sieger

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47. Festmahl

Um die Zeit während meines Trainings im Auge zu behalten, schaue ich nach immer drei Einheiten nach oben zum Mund. Etwa dreieinhalb Stunden bevor die Sonne aufgeht, breche ich mein Training ab. Die Klinge des Schwertes gleitet mit einem sirrenden Geräusch in der Scheide an meinem Gürtel. Um sicherzugehen, dass ich während meines Trainings keine Messer verloren habe, taste ich meinen Körper nach ihnen ab. Alle sind noch gut verstaut an ihrem Platz. Leichtfüßig hüpfe ich durch die Dunkelheit durch den Fluss an die Stelle, wo mein Rucksack und mein Pfeil und Bogen stehen. Mein Blick streift zu der Höhle. Cato sitzt am Höhleneingang und schaut schweigend zu mir herunter. Ich bekomme eine Gänsehaut. Wie lange sitzt Cato schon da und beobachtet mich?

Wir liefern uns stillschweigend ein Wortgefecht. Ich kann spüren, dass Cato immer noch eingeschnappt ist, sonst hätte er sich zu erkennen gegeben und einen dummen Witz über mein Training gerissen. Soll er doch auf die Wahrheit sauer sein. Hätte ich sie ihm nicht gesagt, hätte sie ihn im Affekt irgendwann so oder so angesprungen. Und dann wäre es ohnehin zu spät für ihn gewesen.

Wortlos steigt Cato zu mir herab. Und genauso wortkarg teile ich unsere Vorräte auf, für den Fall das wir getrennt werden. Als er bemerkt, dass er mehr Essensvorräte bekommt als ich, zieht er kritisierend die Augenbrauen hoch. Schnell und grob entreißt er mir seinen Rucksack und schwingt ihn sich über die Schultern, so dass ich keine weitere Chance mehr habe, ihm noch mehr Essen unterzujubeln und ihn so vor ganz Panem bloß zu stellen. Auch wenn das nie meine Absicht gewesen ist.

Cato würdigt mich keines Blickes mehr, als er sich in Bewegung setzt und einfach drauf los marschiert, obwohl ich noch nicht ganz mit Verstauen fertig bin. All seine Muskeln sind angespannt, sein Schwert hält er gezogen in der Hand. Augenrollend stopfe ich meine restlichen Sachen grob in den Rucksack, ziehe den Reißverschluss zu und springe auf, um Cato hinterher zu sprinten.

Es herrscht nicht nur im Wald eine eisige Kälte, sondern auch zwischen mir und Cato. Wir sollten die verliebte Göttin und ihr verliebter Krieger spielen, doch wir streiten uns wie wir es noch vor so vielen Wochen im Distrikt getan haben. Zwischen uns ist es wieder so, als hätten wir nie den Distrikt verlassen. Das hier ist es, was wir eigentlich sind. Jugendliche, die sich gegenseitig die Köpfe einschlagen, weil sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Wir sind kein tragisches Liebespaar, das sich gegenseitig respektiert und bedingungslos liebt. Wir sind nur ein Junge, der dem Mädchen das er hasst, das Leben zur Hölle macht und ein Mädchen, das vom Jungen gehasst wird und es trotzdem fertig bringt, sich in ihren Peiniger zu verliebt. Wir sind erbärmliche Lügner. Und die ganze Welt sieht es.

Ich schließe zu Cato auf, so dass wir Seite an Seite laufen, mit erhobenen Häuptern und eisernen Mienen. Wie selbstverständlich findet meine Hand in die von Cato. Ich verschränke meinen gefrorenen Finger mit seinen. Es ist nur ein kleiner Schritt, doch dass Cato seine nicht wegzieht, macht daraus einen großen. Die Geste soll nicht ihn besänftigen, sondern die Zuschauer aus dem Kapitol. Sie sollen sehen, dass wenn wir uns auch streiten, wir immer füreinander da sind und miteinander in den Kampf ziehen.

Unser beider Atem wirft weißen Nebel in die Luft. So kalt wie jetzt, war mir noch nie in meinem Leben. Zuhause im Distrikt ist es immer warm. Schnee und schneidende Kälte ist bei uns selten. Bei uns scheint immer die Sonne. Meine Finger frieren, auch wenn sie von Catos umschlossen sind. Ich erinnere mich, als es einmal im Distrikt kalt war – nicht ganz so kalt wie jetzt. Das war der Tag gewesen, an dem Nicholas sich das erste Mal getraut hatte, sich laut über das Kapitol zu beschweren. Ich kann noch immer seine verängstigte, quietschige Stimme in meinem Kopf hören. Das war einer der wenigen Momente, in denen der sonst so ruhige Nicholas die Fassung verlor und Angst sich in seinen Augen zeigte. Mit den Gedanken an Olas schleicht sich ein leichtes, trauriges Lächeln auf meine Lippen. Oh Olas, denke ich betrübt. Wärst du doch nur hier.

Hungerspiele - Überlebenskampf [Finish]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt