Teil 2 - Spiele

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31. Jäger und Gejagte

Marvels Speer verfehlt mich nur um Millimeter und bleibt irgendwo vor mir im Boden stecken. Im Vorbeirennen ziehe ich ihn heraus, zerbreche ihn und werfe die Splitter um mich. Ich habe keine Chance einen weiteren Pfeil auf meine Verfolger abzufeuern, denn dafür müsste ich stehenbleiben. Und stehenbleiben führt zum unweigerlichen Tod.

Da erreiche ich endlich die ersten Bäume. Ich renne, renne und renne, schlage Haken und weiche Bäumen aus, während das Feuer von meiner Lunge auf den gesamten Körper

überspringt. Ich werde von Meter zu Meter schwächer, doch ich treibe meinen Körper zu Hochleistungen an. Ich muss genug Abstand zwischen mich und meinen Jägern bringen. Immer wieder halte ich Ausschau nach einem geeigneten Baum, auf den ich klettern kann und um zur Ruhe zu kommen, finde aber keinen. Außerdem habe ich Angst, dass ich nicht mehr stark genug bin, um schnell genug auf den Baum zu kommen, so dass meine Verfolger mich einfach vom Baum ziehen könnten.

Ich kann spüren, wie mein Körper schwächer wird, wie ich meinem Körper alles abverlange und ihn in den Tod treibe. Ich müsste stehen bleiben, mich ausruhen und zur Ruhe kommen. Doch dann wäre ich genauso tot. Wenn ich weiterrenne, immer weiter, dann werde ich an Erschöpfung sterben, aber der Tod ist schneller und schmerzloser, als der Tod, der auf mich wartet. Ich höre, dass es nur noch ein Verfolger ist. Doch das bedeutet, dass er der gnadenloseste von ihnen ist. Und der Gnadenloseste unter ihnen, wird mich quälen und foltern, bevor er mich umbringt.

Mein ganzer Körper zittert vor Erschöpfung, Luft kriege ich schon lange nicht mehr und ich werde langsamer. Weiter, renn weiter, schreit alles in mir, feuert meinen Körper an, sein bestes zu geben. Doch ich bin zu erschöpft, den Tode zu nahe und mein Verstand nimmt nichts mehr auf, keine Sinneseindrücke, nichts. Ich stolpere über meine eigenen Füße und falle zu Boden. Ein rauer Schrei entfährt mir, als sich Steine, Dornen und Äste in meine Handflächen bohren und die Haut durchstoßen. Weiter, du musst weiter. Tränen brennen mir in den Augen. Verzweifelt versuche ich mich wieder hochzustemmen. Meine Arme zittern, können das Gewicht meines Oberkörpers nicht tragen. Steh auf.

Dann stehe ich. Schweiß und Tränen brennen in meinen Augen, laufen mir über das Gesicht. Mein ganzer Brustkorb wird von Flammen verzehrt, meine Arme und Beine sind Pudding und in meinem Kopf ist so ein großer Druck, dass er alles andere betäubt. Ich schwanke vorwärts, setze einen Fuß vor den anderen und doch bin ich zu langsam. Ich muss schneller gehen.

Also setze ich zum Sprint an. Mein Körper schreit und protestiert, doch ich ignoriere es. Ich darf nicht sprinten, ich muss rennen. Alles dreht sich darum, dass ich laufe und renne. Wenn ich aufgebe, ist das mein Tod. Ich darf mich nicht umsehen, denn dadurch verliere ich Zeit. Zeit, die ich brauche, um den Abstand auszubauen. Ich muss rennen, damit ich so viel Abstand wie möglich zwischen meinem Verfolger und mir bringen kann.

Etwas prallt auf meinen Rücken, etwas Schweres, das mich umklammert. Von der Wucht getroffen falle ich vorne über, gehe zu Boden. Mein Gesicht bohrt sich in den Waldboden. Ich kann spüren, wie ein Stein sich in meine Wange drückt, wie Erde in meine Nase und meinem Mund gelangt und wie etwas wild über mein Gesicht huscht. Und da ist das Gewicht, das auf meinen Rücken liegt und mich unter sich begräbt. Es gelingt mir nicht nach Luft zu schnappen, stattdessen Schlucke ich Erde. Galle steigt hoch und verätzt mir die Speiseröhre, was dafür sorgt, dass ich huste und spucke. Das ist es, wird mir bewusst. Das ist mein Ende.

„Lian." Stumpf höre ich die Stimme, die meinen Namen schreit. Doch meine Ohren sind mit Watte vollgepackt, in meinem Kopf herrscht dicker Nebel, der alles mit sich zieht, dass mir helfen könnte. Mein Körper wird auf Wolken getragen und auf Wolken schwebend werde ich umgedreht. Ich sehe in den Himmel, dessen Anblick von Baumkronen zum Teil verborgen wird. Ich versuche zu atmen, einmal, zweimal. Ich weiß nicht ob es mir gelingt.

Hungerspiele - Überlebenskampf [Finish]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt