Teil 1 - Tribute

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13. Abendessen

   Ich erhebe mich aus dem bequemen Sofa und folge Enobaria durch eine weitere Tür, die uns direkt in den Speisewagon bringt. Der Tisch ist schon fertig gedeckt. Es wundert mich, dass der Tisch unter der Last nicht zusammen bricht. So viele Speisen, Essen, das ich vorher noch nicht gesehen habe, türmen sich auf der Platte und jedes riecht verlockend. Ich dachte, ich kenne schon ziemlich viel, leidet unser Distrikt doch keinen Hunger. Doch ich hatte die ganze Zeit über falsch gelegen. Ich kannte gerade mal einen Bruchteil von dem, was mir gerade serviert wird.

   Schnell setzte ich mich auf den Stuhl, der direkt vor mir steht, in der Hoffnung nicht gegenüber oder neben Cato zu landen. Doch direkt nach mir zieht er seinen Stuhl zu meiner rechten Seite zurück und lässt sich drauf nieder. Enobaria und Rex setzten sich uns gegenüber.

   Mit großen Augen starre ich das Essen an, traue mich aber nicht, es anzurühren. Es ist makaber, rufe ich mir ins Gedächtnis. Andere Bürger Panems sterben vor Hunger und wir werden gemästet wie die Tiere, nur um dann doch in der Arena an Hunger zu sterben. Mir vergeht der Appetit.

   „Ihr dürft ruhig essen, Kinder. Es ist alles für euch“, sagt Enobaria, die ihre Ellbogen auf die Tischplatte stützt und ihr Kinn auf ihre Handrücken bettet. „Schlagt euch ruhig eure Bäuche voll, dafür steht es hier. In der Arena werdet ihr es schwer haben Essen zu finden, also esst lieber jetzt gut.“

   Und damit ist mir mein Appetit wirklich endgültig vergangen. Während sich Cato neben mir den Teller belädt, tue ich mir ein Stück Hühnerbrust und Kartoffeln auf. Es ist eine karge Mahlzeit, bei deren Anblick Rex die Stirn runzelt. Zum Glück sagt er nichts, sondern isst einfach weiter. Das Hühnchen ist auf den Punkt gegart, so dass es sich leicht schneiden lässt und im Mund zergeht. Die Kartoffeln sind weich und mit der dickflüssigen braunen Soße schmecken sie fantastisch. Jedoch kann mich dieser großartige Geschmack nicht davon überzeugen viel zu essen, weshalb ich schon nach einer viertel Stunde fertig bin.

   Nun habe ich Zeit, das Essverhalten der anderen zu beobachten. Enobaria legt großen Wert auf Manieren. Ihre Portionen sind nicht groß, folglich ist ihr Teller nie überladen. Sie tut sich erst wieder was auf, wenn ihr Teller komplett leer ist und dann nur so viel, wie sie meint noch zu schaffen. Die Jungs dagegen überfüllen ihre Teller und schmatzen vor sich hin. Sie machen den Eindruck, als hätten ihre Eltern ihnen nie Manieren beigebracht. Die Hähnchenkeulen und Schweinerippen nehmen sie in die Hände und nagen und saugen daran, als gäbe es kein Morgen. Angewidert von so einem Verhalten ziehe ich die Nase kraus und wende meinen Blick ab.

   „Lian, du hast ja gar nichts gegessen“, unterbricht Enobaria die Stille. Mit der Gabel deutet sie auf meinen Teller.

   „Ich hab doch etwas gegessen“, antworte ich und lege mein Besteck in die Zwanzig-Nach-Stellung, die signalisieren soll, dass man satt ist. Mein Vater und Saphire haben sehr großen Wert auf Manieren gelegt. Wenn man sie in unserem Haus nicht hatte, dann lehrte Vater sie einem. Und meistens war ich sein Opfer.

   „Kindchen, dass nennt man nichts“, belehrt mich Enobaria. Sie greift nach einem Brotkorb und reicht es mir rüber. „Iss wenigstens noch ein Brot.“ In dem Korb befindet sich Brot aus unserem Distrikt. Es ist rechteckiges, dunkles Vollkornbrot. Mit einem Blick rüber zu Rex und Cato lehne ich es ab.

   Wenn man das schon als nichts ansieht, was muss man dann gegessen haben, um wenigstens „etwas“ gegessen zu haben? Von ihren Worten wird mir ganz flau im Magen. Das ist widerlich. Enobaria hat damals genau das gleiche durchgemacht und nun redet sie so? Ich kann nicht begreifen was für eine Veränderung Enobaria durchgemacht hat. Ich will es auch gar nicht. Ich will nicht begreifen können, wie jemand, der ein genauso schreckliches Leben geführt hat, das Essen so leichtfertig hinnehmen kann.

Hungerspiele - Überlebenskampf [Finish]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt