Teil 3 - Sieger

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48. Fiebertraum

Rhythmisch federt das Pferd unter mir. Mein Körper passt sich automatisch den Bewegungen des Pferdes an. Eine kühle Brise streift meine Haut. Mein Haar wirbelt nach hinten, die langen Ärmel und die Schleppe meines weißen Kleides folgen, während ich mich in der schwarzen Mähne des Pferdes festhalte. Im vollen Galopp schweben wir über die Wiese, begleitet von Musik. Alles bewegt sich zum Takt dieser Musik. Das Pferd, mein Herz, der Wind, selbst meine Gedanken. Die Sonne hüllt alles in ein goldenes Licht. Es ist so einfach. So perfekt. Der Rappe gleitet weiter durch das Meer aus Gras. Da taucht ein anderes Pferd neben mir auf. Es ist ein strahlend weißes Pferd, wie unberührter Schnee im Winter, nur nicht ganz so kalt. Cato federt die groben Bewegungen des Galopps mit seinen Hüften ab. Sein schwarzer Anzug hebt sich von dem weißen Fell seines Pferdes ab. Wir sehen uns an, reiten schweigend weiter. Immer weiter. Ich lache. Cato lacht. Es ist so einfach, so still, so friedlich. Übermütig und verliebt begeben wir uns in den Wettstreit, wer zuerst den Wald durchquert, der fünf Meter vor uns beginnt. Bedrohlich. Gefährlich. Wir sind verliebt, das Grauen gibt es nicht. Nicht auf dieser Wiese, nicht hier. Mein Rappe ist schneller, er gleitet vor Catos Pferd in den Wald. Mein gelöstes und fröhliches Lachen schallt zu ihm hinüber.

Schlagartig wird es dunkel. Die Musik ändert sich; die klare, liebliche Stimme verschwindet. Jetzt singt sie schneller, bedrohlicher, gefährlicher. Sie bringt mein Pferd dazu, schneller zu galoppieren, es gerät völlig außer Kontrolle. Mein Herz rast und donnert immer fester gegen meinen Brustkorb. Dann ist mein Pferd weg. Einfach so verschwunden. Noch durch den Schwung stolpere ich einige Schritte nach vorne. Mein Kleid hängt schlaff herunter, die Schleppe zieht sich durch den Dreck. Verwirrt drehe ich mich nach Cato um. Ein Keuchen, ein Schrei, ein Kanonenschuss. Wieder wirbel ich herum, von Furcht ergriffen. Thresh sackt auf die Knie, sein Blick merkwürdig leer, seine dunkle Haut blass. Er hält sich die Hände vor dem Bauch, so als hätte er gut gegessen. Dann fällt er um, mit dem Gesicht voran in den Schmutz. Fünfzehn Meter entfernt steht Cato.

Ein Krachen, Äste knacken. Zu große Wölfe brechen durch das Gebüsch. Cato schreit, rennt um sein Leben. Ich will ihm zur Hilfe eilen, aber ich bin wie festgefroren. Ein Pfeil bohrt sich in Catos Hand. Er stürzt nach hinten. Ein erstickter Schrei meinerseits. Die Wölfe stürzen sich auf ihn. Das Knurren, das Geräusch von reißen von Kleidung und Fleisch erfüllen die Luft.

Ich keuche, weine, schreie. Ich fühle mich, als würde ich von innen heraus verbrennen und langsam einschlafen. Meine Beine geben nach, ich sacke auf die Knie. Mein Unterleib schmerzt, zieht, brennt. Das weiße Kleid färbt sich rot. Ich falle nach vorne auf die Erde. Mein Kopf dreht sich nach rechts, mein taubes, linkes Ohr bohrt sich in die Erde. Präsident Snow steht da vor mir, blickt herablassen zu mir herab. Er sieht aus wie eine Schlange, die gleich angreift.

„Es wird nur einer Leben. Die Spiele funktionieren nur so. Nur einer kommt hier lebend raus."

Dann ist er verschwunden. Stattdessen sehe ich Katniss, die ihren Bogen senkt. Neben ihr liegt Peeta. Er rührt sich nicht. „Peeta?", fragt Katniss und schaut zu ihm hinab. „Peeta?", schreit Katniss erstickt. Peeta hebt seinen Kopf und starrt mich direkt an. Sein Gesicht ist blass, er sieht kränklich aus. Sein Kopf fällt schlaff zurück. Katniss hebt ihren Boden, richtet ihn auf die Stelle, wo Cato von Wölfen zerfleischt wird. Nein, ist alles was ich denke. Der Pfeil bohrt sich durch seinen Kopf. Mich verlässt die Kraft. „Peeta!", schreit Katniss voller Trauer. Eine Kanone knallt. Eine zweite. Eine Ditte. Fanfaren. Katniss wird als Siegerin ausgerufen.

„Nur einer kommt lebend heraus."

Durch das stetige Trommeln des Regens werde ich langsam aus meinem Fiebertraum gerissen. Ich würde so gerne weiterschlafen. Aber ich weiß, dass das nicht geht. Ich kann einen pochenden Schmerz in meinem Unterleib spüren. Ich fühle die benebelnden Kopfschmerzen, die drückende Übelkeit in meinem Magen, die einen leichten Schwindel erzeugt, auch wenn ich liege und die Augen geschlossen habe. Und ich spüre eine allumfassende Erschöpfung, so, als habe ich eine lange, schwere Krankheit hinter mir. Bestimmt hat mich Mummy deswegen schlafen lassen, statt mich nach draußen zum Training mit den anderen Kindern zu schicken. Ich muss mich erst von meiner schweren Krankheit erholen, anstatt mich beim Training zu verausgaben und mir im Regen eine Lungenentzündung zu holen.

Hungerspiele - Überlebenskampf [Finish]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt