Teil 1 - Tribute

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11. Tränen

   Der Friedenswächter packt mich am Oberarm und zieht mich hinter sich her durch die Gänge des Gerichtsgebäudes. Durch eine Hintertür gelangen wir auf die Rückseite des Gebäudes, wo ein Auto steht. Ich werde auf die Rückbank verfrachtet, wo Jade Pietoso schon in der Mitte auf mich wartet. Sie beginnt ein Gespräch, was ich aber nur mit knappen Worten erwidere – ihr Parfum ist so penetrant, dass ich fürchte, wenn ich den Mund aufmache, dass ich mich übergeben muss. Cato lässt sich ziemlich viel Zeit, weshalb ich wütend auf ihn werde. Wegen ihm werde ich hier vergiftet.

   Gerade als mir wirklich mein karges Frühstück wieder hochkommt, wird die Tür aufgerissen und ein breit grinsender Cato setzt sich auf Jades andere Seite. Aus den Augenwinkeln kann ich erkennen, dass seine Lippen geschwollen sind und an seinem Hals befinden sich mehrere Abdrücke von Lippenstift. Angewidert verziehe ich das Gesicht, gleichzeitig zieht sich mein Herz zusammen. Anscheinend darf jedes Mädchen Cato so nahe kommen, außer mir.

   Jade hat in Cato ihr neues Opfer gefunden und bombardiert ihn nun ausführlich mit den ganzen Problemen, die auf sie warten, sobald sie wieder Zuhause ist. Wer kümmert sich um ihre Pferde? Wer um ihre zwei Autos, um ihre Villa im Präsidentenviertel? – Ein Leben im Kapitol muss ja wirklich anstrengend sein.

   Über Jades Probleme kann ich nur die Augen verdrehen. Lieber sehe ich aus dem Fenster meinen vorbeirauschenden Distrikt an. Es könnte das letzte Mal sein, das ich ihn sehe. Die Vertrauten Hügel und Berge fliegen an uns vorbei, bauen sich auf, um langsam in der Ferne wieder zu verschwinden. Viel zu schnell sind wir am Bahnhof angekommen.

   Die Halle ist groß und trotz den Hitze draußen und den Fensterfronten Innen kalt. In der Mitte der riesigen Halle befand sich ein runder Springbrunnen aus Marmor und um ihn herum große, grüne Bäume. Überall in der Halle stehen große Beete mit allmöglichen Pflanzen. Von Bäumen zu Gräsern und von Büschen zu Blumen. Alles ist grün. Um diese Parkanlage hat man Stühle, Tische und Bänke drapiert, was unnütz ist, denn es verirren sich nicht groß Leute hier hin. Die Teile der Wände, die nicht aus Fenster bestehen, sind mit alten Runen und Geschichten des Kapitols verziert. Doch auch sind Bilder eingemeißelt, Bilder die die Geschichte Panems noch einmal für jedermann deutlich machen. Die zwei Gleise liegen am hinteren Ende der Halle auf dem Dach. Sie werden überdacht von einem Dachvorsprung aus Glas.

   Kaum betreten Cato und ich hinter Jade Pietoso das Bahnhofsgebäude, richten sich sämtliche Kameras auf uns. Leinwände bedecken die, sonst mit Runen bedeckten, Wände. Auf einer der Leinwände überprüfe ich meine Haltung und meinen Gesichtsausdruck. Alles bestens. Die Linsen der Kameras folgen uns auf Schritt und Tritt, während wir durch die Halle gehen, die Treppe ersteigen und schließlich vor dem Zug stehen bleiben. Ich nicke ein letztes Mal in die Kameras, dann folge ich Cato und Jade in den Zug.

   Hinter mir schließen sich die Türen mit einem leisen Zischen und der Zug setzt sich langsam in Bewegung. In der Schule haben wir gelernt, dass die Züge aus dem Kapitol bis zu 400 km/h schnell werden können. Ich war noch nie in einem Zug und seit meiner Mutter war ich auch froh drüber, nicht in einem fahren zu müssen, doch mir blieb keine andere Wahl. Augenblicklich stelle ich mir die Fragen, ob meine Mutter ebenfalls so einen Luxus in ihrem Zug hatte.

   „Kinder, wir werden gegen Abend im Kapitol ankommen. Am besten macht ihr euch kurz frisch und wir treffen uns im Fernseher-Wagon. Um sechs gibt es Abendessen. Jetzt aber husch, husch“, erklärte uns Jade mit ihrer schiefen, schrillen Stimme, ehe sie von einer Tür verschluckt wurde, hinter der ich den Speisewagon vermutete.

   Ich wende mich also zur anderen Seite, trete durch die, von alleine aufgehende, Tür auf einen Gang und fand meine Kabine schnell. Weiblicher Tribut prangt auf dem goldenen Schild, das an der Holztür befestigt worden ist. Hinter mir höre ich, wie Cato nun ebenfalls durch den Gang geht und seine Kabine sucht. Wortlos schiebe ich meine Tür auf und schließe sie wieder hinter mir, ohne ein Wort zu Cato zu sagen. Das Zimmer ist riesig, größer als ich gedacht habe.

Hungerspiele - Überlebenskampf [Finish]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt