Teil 2 - Spiele

692 29 1
                                    

34. Das Leben selbst

Mein Inneres scheint sich nicht entscheiden zu können ob ich wach oder bewusstlos bin. Es ist ein ewiges hin und her zwischen den Bildern. In dem einen Moment sehe ich in ein grelles Licht, das von grünen Blättern umrahmt wird und im nächsten Moment sprengen sich Körper von toten Tributen und hinterlassen einen Blutregen, der heiß und dickflüssig auf mich niedergeht. Wenn ich glaube, dass ich wach bin, dann sehe ich Rues Gesicht über mir, die mir über das Gesicht streicht. Aber ich bin mir da nicht sicher, denn im Nächsten Moment sehe ich einen anderen Tribut in die Luft gehen. Es fällt mir schwer zu entscheiden ob ich gerade träume oder wach bin. Ich sehe Saphire, Rubin, Cato und Suzanne. Dann werden ihnen von unsichtbaren Waffen die Arme und die Beine abgeschlagen.

Mit zittrigen Körper und wahnsinnigen Kopfschmerzen wache ich auf. Meine Klamotten sind feucht und kleben an meinem Körper. Ob von Tau, Regen oder Schweiß kann ich nicht sagen. Für einen Augenblick bin ich zu benommen um zu realisieren, dass ich wieder wach bin und das Gift meinen Körper verlassen hat. Nur unter großer Anstrengung gelingt es mir, meinen Oberkörper aufzurichten. Erst dann betaste ich meinen Körper, begutachte ihn, aber von dem tonnenschweren Blut ist nichts mehr übrig.

Ich sehe mich um. Ich liege unter Farn versteckt, meine Wunden sind mit Mullbinden umwickelt. Rue sitzt zwei Meter rechts von mir, neben ihr die Waffen und Vorräte. Sie ist tatsächlich zurück gekommen. Langsam, sehr langsam und mit viel Mühe schaffe ich es mich hinzuknien. Meine Welt dreht sich noch immer, aber um einiges schwächer. Die Welt verzerrt sich nicht mehr, der Boden schlägt auch keine Wellen und vor allem behält alles seine Farbe. Nur meine Augen fühlen sich an, als würde jemand sie aus meinen Kopf drücken wollen.

„Wie lange war ich weg?", frage ich mit rauer, kratzender Stimme und lasse mich neben sie fallen. Sie schaut mich an und reicht mir dann stumm den angefangenen Wasserkanister.

„Noch nicht einmal einen Tag. Du scheinst einer der wenigen Leute zu ein, denen das Gift nicht viel ausmacht", sagt sie und nimmt mir den Wasserkanister wieder aus der Hand um ihn gegen das restliche Brot zu ersetzen, das mit Käse belegt ist.

„Warum?", frage ich sie und beiße in das Brot. Es ist trocken und hart, trotzdem erfüllt es seinen Zweck. Der Käse ist durch die Hitze fad geworden und schmeckt ranzig. Ein Glück das ich ihn aufessen kann. Es ist nicht wie das Essen aus dem Kapitol, aber es gibt Kraft und sättigt wenigstens ein bisschen. Dieses Mal muss ich auch kein schlechtes Gewissen haben, denn Rue versichert mir, dass sie vorhin auch etwas davon gegessen hat. Außerdem weiß ich, dass der Käse womöglich morgen schlecht sein wird.

„Die Karrieros wurden bestimmt genauso wenig gestochen wie du, aber als ich vorhin bei ihnen vorbeigeschaut habe, wälzten sie sich in ihren Albträumen. Sie haben nicht den Eindruck gemacht, wach zu sein", erklärt sie. „Du bist bestimmt immun", flüstert Rue und schaut mich aus großen Augen an.

Freudlos lache ich einmal auf und lasse den Arm mit dem Bot sinken, dass ich gerade zum Mund geführt habe. „Glaub mir, ich bin sicherlich nicht immun", antworte ich ihr trocken und starre auf das Bort in meinen Händen. „Ich hab die Hölle durchgemacht. Ich wusste nicht ob ich Glimmers Leiche noch vor mir sehe oder ob es Einbildung war. Und wie schrecklich sich die Welt verzerrt hat, der Boden hat Wellen geschlagen und das Bild vor meinen Augen hat sich angefangen zu drehen", ich verstumme. Die Beklemmung umschlingt mich mit ihren eisigen Armen. Je weniger ich erzähle, desto besser wird es. Hoffentlich.

„Aber du sahst wach aus, als würdest du mich wahrnehmen", wiederspricht Rue mir.

Ich seufze und lege das Brot auf den Rucksack. Mir ist eindeutig der Appetit vergangen. Rue greift es sich und nagt selbst daran. Ihr Hunger ist bestimmt mächtig. „Ich glaube das war ich zwischenzeitlich auch, aber ich bin mir nicht sicher ob das auch nur Einbildung war", gebe ich zu bedenken.

Hungerspiele - Überlebenskampf [Finish]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt