Die scharfe Kante seiner Klinge stach silbern durch die Dunkelheit hervor. Nur durch das schwache Mondlicht im Hintergrund konnte man seine schwarzen Haare von dem Nachthimmel unterscheiden. Er hatte die Lippen zu einem schwachen Lächeln geformt, doch dies, änderte nichts an dem herausfordernden Eindruck welches seine kampfbereite Haltung hinterließ.
Mein Blick fiel auf den Streifen den ich mit dem Pinsel quer über sein Gesicht gezogen hatte, wo stattdessen seine Augen sein sollten.
Ich streifte mit den Fingerspitzen über sein Gesicht und obwohl es nur gewöhnliches Papier war welches ich berührte, bekam ich Gänsehaut; mir wurde die Luft aus den Lungen gesogen. "Wie deine Augen wohl aussehen.", flüsterte ich; in die Welt entflohen, die durch diese Zeichnung in mir erwachte.
In meinen Träumen sah ich wie er kämpfte, lachte, schrie und weinte; von jeder Perspektive aus, doch seine Augen hatte ich noch nie zu Gesicht bekommen. Egal wie oft ich versuchte sie zu zeichnen, gelang es mir einfach nicht; es zerstörte das Gesamtbild, sie passten nicht dazu.
"Wow.", kam es von hinten. Erschrocken zuckte ich zusammen und versteckte die Zeichnung hinter meinem Rücken.
"Du bist echt begabt im Zeichnen, Alia.", meinte die Person hinter mir und setzte sich neben mir aufs Bett. Es war David: der Sohn von dem Ehepaar, die mich adoptiert hatten. Ich rutschte ängstlich etwas weiter von ihm hinweg.
"Seit drei Monaten lebst du schon hier bei uns, warum fürchtest du dich so sehr vor mir?" Er senkte den Blick. "Ich dachte wir könnten tatsächlich so wie Geschwister werden."
"Lügner.", zischte ich. Die Furcht wuchs immer weiter in mir. "Ihr seid alle dieselben!"
"Du stellst mich mit dem Mörder deiner Familie also gleich? Alia, ich will dir nichts tun. Ist es so schwer mich als deinen Bruder anzuerkennen?"
"Mein Bruder ist tot, so wie meine Eltern auch."
"Ist das dein Bruder?", fragte er in dem er mit dem Finger nach hinten deutete. "Der Junge, den du andauernd zeichnest."
Ich umklammerte die Zeichnung noch fester. "Nein. Das ist..."
Ich kenne nicht einmal seinen Namen.
"Dein Freund?"
"Freunde?", ich legte die Zeichnung auf meinen Schoß und betrachtete sie. Meine Gedanken huschten wieder in völlig andere Welten, in denen dieser geheimnisvolle Junge, dessen Namen ich nicht einmal kannte, regierte. "Ich weiß nicht recht... Meinst du er würde mit mir befreundet sein wollen?"
Von meinem plötzlichen Gefühlswechsel zog David verwundert die Augenbrauen hoch. "Was soll das denn heißen?"
"Natürlich.", kam es trübe von mir. "Es ist doch klar dass er mich nicht einmal ansehen würde. Da spreche ich noch von Freundschaft."
David lachte in sich hinein. "Er muss sich glücklich schätzen so eine talentierte Verehrerin zu haben. Meine Freundin kann nicht mal einen graden Strich zeichnen."
"Ohne Lineal würde ich das auch nicht hinkriegen." Ich stand auf und steckte einen Notizblock und Bleistift in meine Tasche.
"Wohin gehst du?", wollte David wissen, der sich ebenfalls erhob.
"Zeichnen."
* * *
Das Kreischen von mehreren Menschen bebte in meinem Schädel. Ich richtete meinen Kopf auf die Menschenmenge. Alle filmten das Dach vom Haus, zumindest dachte ich das, bis ich den Mann sah, der kurz davor stand sich hinunterzustürzen.
Keiner zeigte auch nur die kleinste Bemühung ihm zu helfen; alle waren mit dem Filmen beschäftigt.
In dem Moment wünschte ich mir auch ein Handy; nicht um den verzweifelten Mann zu filmen, sondern die Feuerwehr zu rufen, damit man ihm helfen könnte. Ich wollte gerade eine Frau darum bitten da hörte ich schon den betäubenden Lärm welcher von dem Fahrzeug der Feuerwehr kam.
"Die Menscheit ist doch nicht ausgestorben.", dachte ich mir, doch verzog das Gesicht als mein Blick über all die Menschen fiel. "Trozdem hasse ich diese wie Menschen aussehenden Monster."
Ich spazierte weiter, bis die Menschen auf den Straßen immer weniger wurden und ich anschließend bei einer ruhigen Lichtung ankam. Die Sonne neigte sich langsam dem Untergang.
Ich ließ mich auf den Boden plumsen und begann beiläufige Striche aufs Papier zu kritzeln. "Deine Augen..." Meine Linien wurden immer dunkler. "Ich will deine Augen zeichnen."
Ein kalter Windstoß schnitt sich durch meine Klamotten. Die plötzliche Kälte verwandelte sich in eine ungewöhnliche Wärme, welches wie ein Atem über mein Ohr streifte. "Soll ich dir helfen?", hörte ich eine raue Stimme fragen.
Mein Herz wäre fast stehen geblieben. Ich wollte schreien, doch die Angst verhinderte dies. Tränen füllten meine Augen. Würde ich gleich auch ins Jenseits reisen?
Der Typ, der seine Arme um mich geschlungen und seinen Kinn auf meine Halsbeuge plaziert hatte, legte seine Hand über meine, in der ich den Stift hielt.
"Der Junge, dem das Gesicht gehört bin wohl ich.", kam es seelenruhig von ihm. "Kennen wir uns?"
Meine Hand hatte schon längst angefangen zu zittern. Ich konnte seine Worte nicht ordnen. Mein Gehirn verstand gar nichts mehr. Ich stand kurz davor in Ohnmacht zu fallen, da hörte ich ihn erneut sprechen: "Du brauchst dich nicht vor mir zu fürchten; ich bin kein Mensch."
Meine Tränen fielen auf das Papier. Erst jetzt sah ich das ich schon wieder den Jungen aus meinen Träumen gezeichnet hatte, der hinter mir stand, falls diese Worte nicht der Teil eines ziemlich gemeinen Plans waren.
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Das Erwachen
Paranormal"Ist es wirklich so auffällig dass ich Menschen nicht leiden kann?" "Nein, überhaupt nicht. Du siehst sie bloß so an als ob du ne Zitrone gegessen hättest.", meinte er und fing die Klinge auf, welche sich kurzzeitig in der Luft gedreht hatte. Mein...