"Warum ist das denn so unmöglich?", keifte ich die Wand vor mir an und warf ein Kissen nach ihr. Wäre jemand anderes bei mir gewesen, würde ich als verrückt erklärt werden. Doch das half mir wirklich weiter. Ich konnte meine Angst, meine Wut und den Stress von mir fallen lassen und ihn der Wand aufzwingen. Ich löste meinen Schneidersitz und schwang mich vom Bett. Tief in Gedanken versunken, lief ich im Zimmer auf und ab und tippte mir mit dem Zeigefinger ans Kinn.
Seit nun gut einer Stunde und dreißig Minuten, wiederholte ich meinen Gang vom Bett, um ein Kissen an die Wand zu werfen, durch mein Zimmer um nachzudenken. Aber wirklich geholfen hatte es nicht. Erschöpft und völlig erledigt legte ich mich auf den Boden und sah die Zimmerdecke an, als würde sie schlauer sein als ich. Wie zur Hölle sollte jemand mit so viel Druck auskommen? Es war beinahe kaum zu schaffen. Natürlich hätte ich Callom um Hilfe bitten können, doch so wirklich Lust auf seine Reaktion hatte ich nicht. Was sollte ich tun, wenn er alles andere als begeistert war? Was würde passieren, wenn er mir befahl, damit aufzuhören? Es war zum Haare ausreißen! Es war furchtbar!
Auf einmal klopfte es an der Tür und ich fuhr erschrocken hoch. Moment bitte, bat ich und stand auf. Zögerlich ging ich auf die Tür zu und legte meine Hand auf die Klinke. Der Schweiz brach mir aus und ich fing an zu zittern. Bitte, bitte, bitte! Lass es bitte nicht Callom sein. Ich drückte die Klinke herunter und kniff kurz die Augen zusammen, bevor ich die Tür aufzog. Ich stieß einen erleichterten Seufzer aus, als ich Kai erkannte. Er trug einen großen braunen Karton vor der Brust und sah auf mich hinab. Langsam hob sich seine linke Augenbraue und ein verschmitztes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Lass mich raten, sagte er und trat an mir vorbei ins Zimmer. Er stellte den Karton auf das Bett und drehte sich zu mir. "Du bist erleichtert das ich nicht Callom bin, oder?" Ich schloss die Tür und lehnte mich dagegen. "Was? Niemals", sagte ich und sah gespielt entrüstet zu ihm. "Doch. Sie haben recht", gab ich zu und seufzte erneut. "Ich habe fürchterlich Angst, wie er reagieren wird. Ich vertraue ihm ja. Aber ich habe keine Ahnung was passieren wird." Kai kam auf mich zu und legte eine Hand auf meine Schulter. "Ach Vivien. Das ist doch überhaupt nicht tragisch." "Doch!", rief ich aufgebracht und warf die Arme in die Höhe. "Er vertraut mir und dass sollte ich auch. Aber es ist so schwierig." "Meinst du die Aufgabe oder ihm Vertrauen zu schenken?" "Beides", gestand ich klein und sah zu Boden. "Vivien", Kai hob mein Kinn an und lächelte matt. Er führte mich zum Bett und ich setzte mich neben den Karton. "Was daran bereitet dir Angst? Ich meine, warum hast du Angst ihn um Hilfe zu bitten?" "Ich habe keine Ahnung, ich weiß es nicht." "Doch du weißt warum. Bitte, erzähl es mir. Es bleibt auch unter uns." Misstrauisch sah ich ihm in die Augen. Verständnis, Sorge und Sturheit spielten sich in ihnen ab und mir war bewusst, dass er nicht lockerlassen würde. "Na schön", seufzend gab ich nach und ließ meine Schultern sinken. "Ich fürchte mich davor wie er reagieren wird, wenn ich ihn bitte mir bei der Planung der Verteidigungsstrategie zu helfen. Ich meine, was würdest du den tun, wenn Elina dich das fragen würde?" Kai sah kurz zu Seite, als würde er überlegen, bevor er mir antwortete. "Ich würde sie vermutlich umstimmen wollen. Aber da ich weiß wie sie darauf reagieren würde, würde ich ihr helfen. Ich vertraue ihr nämlich." Herausfordernd lächelte er mich an und meine Mundwinkel zuckten kurz nach oben. Doch dann sackten sie wieder hinab und mein Blick verschleierte ich. Die Worte die ich wählen würde, würden nicht einfach sein. Denn eigentlich wollte ich an so etwas überhaupt nicht denken. "Aber Callom ist nicht genauso wie du. Was ist, wenn er enttäuscht ist, sich von mir abwendet und mich nie wiedersehen will?" Meine Stimme war immer hysterischer geworden und die Tränen liefen mir in Bächen über die Wangen. "Schschsch. Das vergisst du ganz schnell wieder. Callom ist kein solcher Idiot, wie man ihn nur auf der Straße finden kann. Er ist wirklich angetan von dir, da besteht kein Zweifel. Er sieht dich ständig an und wenn du bei ihm bist, wirkt er gleich viel ruhiger und wie er selbst. Er liebt dich wirklich." Mit offenem Mund starrte ich den Vater meines Freundes an. Noch nie hatten andere Worte, als die die Callom und ich gewechselt hatten, solche Emotionen in mir ausgelöst. "Danke", flüsterte ich. Kai legte einen Arm um mich und zog mich zu sich. Ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter und schloss die Augen. "Danke", murmelte ich erneut und lächelte wieder. "Und nun musst du dich an die Arbeit machen. Sag Callom erst Bescheid, wenn du es für richtig hälst, aber warte nicht zu lange. Desto früher er davon weiß, desto besser wird er es aufnehmen." Ich nickte und Kai ging zur Tür. Mit meinen zitternden Händen zog ich eine dunkelblaue Mappe mit der Ausschrift Trainingsplan heraus und legte sie auf meinen Schoß. "Und Vivien?", sagte Kai und ich hob den Kopf. "Vergieße nicht zu viele Tränen. Sie sind so wertvoll." Die Tür fiel ins Schloss und ich starrte auf die Stelle, wo Kai gerade noch gestanden hatte. Ich ließ mir die Worte durch den Kopf gehen und nickte zustimmend, obwohl niemand mehr hier war der es sehen konnte.
"Du wolltest mit mir reden?" "Ja das wollte ich. Bitte, setzt dich", sagte ich und wies auf mein Bett. Nach dem Gespräch mit Kai hatte ich mir dreißig Minuten lang die Akte mit dem Inhalt des Trainingsplan durchgelesen und mir eine weitere halbe Stunde Notizen gemacht, wie man diesen verändern konnte. Umso schneller, desto besser. Auch wenn Kai damit etwas ganz anderes gemeint hatte, hatte es doch auch hier seine Wirkung gezeigt. Danach hatte ich bei Callom angeklopft und ihn gebeten, in zehn Minuten zu mir zu kommen. Dann hatte ich die Kiste mit den ganzen Unterlagen, Akten und Ordnern unter meinem Bett versteckt und hatte alle Spuren, die auf meine Arbeit hätten hinweisen können, verschwinden lassen. Nun schloss ich die Tür hinter mir und setzte mich Callom gegenüber auf die Bettdecke. Er schien komischerweise ziemlich nervös und ich überraschender Weise gelassen. Langsam strich ich mir eine Haarsträhne hinters Ohr und sah ihm dann in die Augen. Umso schneller, desto besser. "Du weißt ja mit Sicherheit, dass das Weiße Rudel sich auf einen Krieg vorbereitet und Die Anderen es ebenfalls tun." Er nickte. "Da deine Mutter uns ja in Kenntnis gesetzt hat, wie sie zu deinem Rudel stehen und ich etwas über den Wandlerkrieg gelesen habe, weiß ich nun, dass sie sich dem Weißen Rudel niemals anschließen werden." Wieder nickte er und ich bin froh das er mich nicht unterbricht. Dann würde ich wahrscheinlich schnell eine Ausrede erfinden um mich zu drücken. Aber das durfte ich nicht! "Und deshalb habe ich mich mit dem Entschluss befasst, dass es eine sehr gute und vorteilhafte Idee wäre, wenn wir sie bitten uns zu Seiter zu stehen!" Entschlossen sah ich ihn an und wartete auf das kommende Donnerwetter. Doch es kam nicht! Er sah mich eindringlich an und versuchte anscheinend irgendeine Lücke in meinem Plan zu finden. "Und? Was meinst du?", fragte ich. Ich hasst es auf die Folter gespannt zu werden. "Könnte das nicht gefährlich werden? Und was soll mein Vater davon halten?" Ich lächelte amüsiert. "Alles geregelt. Er ist mit meinem Vorschlag einverstanden und wir haben uns auf einen Kompromiss geeinigt." Nun bekam er einen ängstlichen Ausdruck in den Augen und fing an zu zittern. "Was für einen Kompromiss?" "Nun. Da er daran zweifelt eine gute Verteidigungsstrategie zu entwerfen, habe ich mich bereit erklärt dies zu übernehmen." Callom fuhr vom Bett auf. "Was? Das geht nicht. Du kannst das doch nicht alles alleine bewältigen! Ist er denn verrückt geworden? Und seit wann entscheidet er, was in meinem Rudel passiert und was nicht?" Ich zuckte zusammen und schluckte. Dann erhob ich mich ebenfalls und drückte den völlig aufgelösten Callom wieder zurück. "Callom ich besitze genügend Erfahrung dazu und weiß über das Weiße Rudel Bescheid. Und ich habe mich dazu entschieden, das zu übernehmen ob es dir passt oder nicht. Ich möchte helfen, Callom! Vertrau mir." Die letzten Worte sagte ich so eindringlich das ich mich kaum wiedererkannte. Das alles schien mich doch ziemlich zu verändern. "Aber du schaffst das nicht alleine", stellte er fest und seine Stimme wurde leiser, während er zu Boden sah. "Aus diesem Grund bist du hier. Ich bitte dich mir zu helfen". Er schwieg und nun spürte ich die Nervosität in mir aufsteigen. "Es tut mir leid, ich hätte nicht so reagieren dürfen. Ich weiß doch wie du bist, wie du dich fühlst und ich vertraue dir doch", sprudelte er los und erinnerte mich eher an einen Wasserfall als an eine große Hilfe. "Es ist nur so, ich ich habe furchtbare Angst um dich." Gerührt fing ich an zu lächeln. "Ich habe doch auch Angst. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass sie stärker wird als wir es sind. Gemeinsam sind wir unbesiegbar!" Überrascht hielt ich den Atme an, als er mir einen Kuss auf die Stirn gab. "Also gut, Anführerin. Wie lautet der Plan?" Ich fing breit an zu grinsen und stand auf. "Umso schneller, desto besser!"
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Gefunden (Abgebrochen)
Loup-garouDie junge Wandlerin Vivien Davenport hat ihr ganzes Leben über im grönländischen Wald gelebt und bekommt nun die Chance in England zu leben. Dort trifft sie auf den jungen Alpha Callom der ihr schnell ans Herz wächst. Nur leider ist nicht jeder mit...