Kapitel 37 (Valerie)

1.6K 63 0
                                    

Wir erreichten den Palast, als es langsam begann dunkel zu werden. Die Wolken zogen sich zusammen und die Luft begann schwül zu werden. Es sah nach Regen aus. Aber all das wirkte verglichen mit der Aussicht , das Schloss wiederzusehen und Graces Brief zu lesen unwichtig. Einen Moment hielten die Wagen noch, dann wurde uns verdeutlicht, auszusteigen. Tessa und ich stiegen zeitgleich mit Stella und Charlotte aus. Langsam versammelten sich alle vor den Eingangstoren. Mein Blick wandte sich von den Mädchen ab und richtete sich stattdessen auf das Schloss. Mir war es noch nie so groß und gleichzeitig klein vorgekommen. Türme schraubten sich in den Himmel und die Statuen vor den Toren sahen uns aus steinernen Augen an. Als würden sie jeden Schritt betrachten, den wir taten. Die strahlend weiße Fassade leuchtete gegen den dunklen Himmel und hinter den Fenstern, welche sich auf den Vorplatz richteten , meinte ich Schemen von Personen zu erkennen. Es war ein eindrucksvolles Bild.

"Val ?", machte Tessa mich auf Vanessa aufmerksam. Widerwillig wandte ich meine Aufmerksamkeit von dem Schloss ab.

"Ihr habt genau eine Stunde Zeit, etwas zu essen. Danach finden die Interviews im Thronsaal statt. Jede von Euch bekommt dort eine persönliche Rückmeldung zu Eurem Verhalten. Es kann also etwas dauern. Dafür finden an den folgenden Tagen kein Unterricht statt. Ihr habt Zeit Euch von den Strapazen zu erholen."

Vanessa deutete uns mit einer Handbewegung zu folgen und zusammen betraten wir das den Eingangsbereich.

Es war für uns alle ein Moment der Erholung, als wir in den Speisesaal geführt wurden und sich hinter uns die Türen schlossen. Man konnte ein erleichtertes Aufatmen spüren. Endlich waren wir in unserer gewohnten Umgebung und konnten uns sicher fühlen. Allerdings wurde mir in dem Moment erstmals bewusst, wie sehr sich das Casting dem Ende zuneigte. 6 Plätze waren leer. 6 Plätze, an denen vor ein paar Wochen noch Mädchen gesessen hatten. Niemand hatte uns gesagt, wo Tiffany, Susi, Maisee, Fleur , Alice und Camille waren. Wenn wir es erfahren würden, dann erst beim Interview. Ansonsten blieb nur eine Möglichkeit. Sie mussten ausgeschieden sein. Irgendwann innerhalb der 2. Aufgabe.

Man hatte sich nicht die Mühe gemacht, den gesamten Raum zu dekorieren, wie es sonst der Fall gewesen wäre. Stattdessen gab es mehrere kleine runde Tische, welche nur mit dem Nötigsten bedeckt waren, einige Stühle und ein einfaches Essen. Niemand beschwerte sich. Wir alle waren einfach nur zufrieden, unter uns zu sein und von niemandem gedrängt zu werden. Selbst Tanja schien sich einmal nicht zu echauffieren.

"Ich muss noch einmal in mein Zimmer, kannst du Vanessa sagen, dass ich nachkomme ?", wandte ich mich an Tessa und erhob mich.

"Wir sollen den Raum eigentlich nicht verlassen", fügte sie hinzu und sah mich fragend an.

"Ist es wichtig ?"

"Sehr", flehend sah ich sie an.

"In Ordnung. Lass dich nur nicht erwischen. Die Interviews finden im Damensalon statt. "

"Danke", flüsterte ich und verließ den Raum.

Meine Füße fanden den Weg wie von selber und nur einen Moment später befand ich mich vor meiner Zimmertür. Mit den Fingerspitzen fuhr ich über den Türgriff und schloss für einen Moment die Augen. In meinem Kopf begannen Bilder Form anzunehmen, Bilder, die ich lieber verstecken würde. Meine Zelle, in der ich Tage verbracht hatte, die Schreie, die ich immer noch in meinem Hinterkopf hörte, all das kam an die Oberfläche und zog mich wieder in die Untiefen meines Kopfes. Ich öffnete meine Augen, zwang mich zu erinnern, wo ich mich befand. Vor mir erstreckte sich der Gang, durch welchen ich 100te Male geschritten war. Der Spuk war vorbei.

Ich betrat mein Zimmer und eilte sofort zu meiner Ankleidekommode. Ich wusste, dass ich nicht viel Zeit hatte, bevor die Interviews stattfinden würden, also reduzierte ich mein Handeln auf das Minimum. Mein Blick schweifte über die Papiere, die dort lagen und sich in der Zeit angesammelt haben mussten, aber meine Augen suchten nach etwas anderem. Unter all den Erklärungen, den Übungsblättern, welche Vanessa uns fast täglich gegeben hatte, lag er. Ein kleiner Brief, eingepackt in einen roten Umschlag. Meine Hände zitterten, als ich den Umschlag aufriss und den Brief herausnahm. Es war Graces Handschrift.

~Between Always and Forever~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt