Nevada
Ihre weißen Augen sind das erste was mir entgegen blickt, sobald ich meine dazu zwinge wieder wach zu werden. Mein Kopf dröhnt und doch fühle ich mich leichter und entspannter. Ich weiß nicht wie lange ich geschlafen haben muss, doch die Sonne geht unter und ich befürchte, dass dies nicht der Sonnenuntergang des eigentlichen Tages ist. Ein Schauder durchfährt mich, als die Augen der Frau noch immer auf mich gerichtet sind. Bevor mir zu übel wird, stürze ich aus dem Wohnwagen und versuche mich an ihre Worte zu erinnern. Ich gehe in die Falsche Richtung. Ich gehe in die Falsche Richtung. Er kennt meinen Plan doch gar nicht. Raus aus dem Wald, dann in die Zivilisation. Ich schüttle meinen Kopf und versuche mich zu orientieren, solange bis mir die kleine Karte auffällt, die die Frau in ihren Fingern hält. Mir ist bewusst, dass diese noch gestern nicht dort war. Ich schüttle den widerwärtigen Verdacht von mir fort.
"Roadway Motel. Unglaublich." Ich versuche die Straße kenntlich zu machen, doch ich befinde mich in mitten der Pampa, wodurch ich mich Hoffnungsvoll dem Auto zuwende und die Türen aufreiße. Bereits auf dem Beifahrersitz befinden sich Karten, die ich auf der Motorhaube aufschlage und versuche den kleinen Ausschnitt auf der Visitenkarte auf der Landkarte ausfindig zu machen. Wieder gehe ich zum Auto, ergreife den Kugelschreiber mit welchem ich meinen momentanen Standort einkreuze und anschließend den möglichen Standort des Motels. Wenn es nicht dieser ist, bin ich ebenso wissend wie vorher.
Meine Augen verharren für einen Moment noch auf die beiden. Sie waren wohl auf einer Reise. Unschuldig und mit einem normalen Leben wollten sie die Kanadische Natur kennenlernen. Und nun haben sie mit ihrem Leben bezahlt, weil wir geflohen sind. Weil wir es versucht haben.
Und wir haben versagt.
Ich schlucke den Klos hinunter und wende mich der Richtung zu, wo sich die Straße befinden soll. Es ist nur ein kleiner Anhaltspunkt, aber einer, an den ich glauben muss. Ich muss mir eingestehen, dass nichts durch ein Zufall geschieht. Das ich nicht alleine bin. Irgendeiner verfolgt mich wie ein zweiter Schatten. So gut, dass ich ihn von dem Wald nicht unterscheiden kann. Wohl ist er ebenso ein Teil dieser Natur geworden, wie ich es bin.
Trotz der brennenden Wärme am Tag, erreicht die schlierende Kälte nun wieder den Boden. Die Hitze gleitet aus den Baumkronen, sie hinterlässt einen Schaurigen Geschmack der Finsternis. Der Schweiß beginnt wieder über meine Stirn zu laufen. Er vermischt sich mit dem Dreck. Er verläuft zusammen in meine Augen und lässt diese schmerzhaft aufbrennen.
Meine Lider schließen sich qualvoll und erschöpfend. Ich zweifle langsam daran wirklich solch eine lange Zeit geschlafen zu haben. Wohl schienen es doch die paar Stunden zum nächsten Sonnenuntergang gewesen sein. Denn die Kraft wird trotz der Suppe aus mir herausgezogen. Ich zwinge mich weiter dazu meine Augen offen zu halten. Ganz gleich, wie lange ich bereits unterwegs bin. Ich lausche den Zikaden, die ihr Spiel durch das Gestrüpp gleiten lassen, bis auch diese verstummen. Ich lausche den Eulen, die die Nacht lebendig machen. Die wenigstens ein Stück von dem zerrenden Wind ablenken. Ich möchte mich hinlegen. Ganz gleich, ob es der Boden ist oder ein verlassener Fuchsbau. Ich möchte schlafen, egal ob ich mit einem Messer in meinem Körper aufwache oder erst gar nicht wieder erwache. Ich brauche ruhe. So sehr.
Aber meine Füße bringen mich weiter. Sie lassen mich in die gleiche Richtung laufen, wie es die Karte mir gesagt hat. Die Karte, die meine Hand schmerzvoll umfasst. Die bereits von meinen Nägeln aufgespießt wurde und die sich in meine Haut rammen. Es ist genau die Karte, die das einzige ist, an das ich mich halte.
Die Ärmel rutschen weiter über meine Hand. Ich genieße den kleinen Schub der wärme. Ich denke an ein zuckendes Feuer. Die Glut gleitet zum Horizont, die Funken vermischen sich mit den funkelnden Sternen an dem schwarzen Himmel. Ich folge ihnen mit meinen Augen. Spüre den aufgeweichten Baumstamm unter meinen Fingerkuppen. Und meine Lippen sind zu einem Lächeln verzogen. Unbewusst, so unbewusst, dass ich erst wieder in die Realität gezogen werde, als mir eine Plastikartige Packung auf meinen Schoß geworfen wird. Ich blicke mit großen Augen und einem breiter werdenden Lächeln zu Rachel. Das Feuer lodert in ihren Braunen Augen, während sie ein Stück Schokolade zwischen ihre Lippen verschwinden lässt. ,,Ich werde sicher nicht alleine Fett, Vade." Ihre herausfordernde Art lässt mich innerlich wohl kaum so kalt, wie äußerlich. Sie beherrscht den Spitzen Unterton, der mich so wie immer wütend macht. Außer heute. Dafür ist die Ruhe zu schön. Schweigsam greife ich in die Tüte hinein und schaue zu dem See. Er wirkt dunkel, aber so friedlich, dass nicht einmal die Wellen die das Wasser brechen es unruhig wirken lassen. Rylan und Amber begnügen sich freudig in dem Wasser. Oder eher: Rylan versucht Amber in das Wasser zu werfen, während Amber all die Tiere aus ihren Schlaf holt.
Ein sanfter Druck legt sich um meine Schultern. Mein Bauch wird brennend heiß. Die wärme gleitet bis hin in meine Adern, es erweicht mein Herz. Es lässt die Schmetterlinge in mir herrschen, als sei es das einzige, was ich noch in meinem Leben fühlen möchte. Und das stimmt. Was würde ich dafür geben, in diese blauen Augen zu gucken. Für den Rest meines Lebens. ,,Ich frage mich noch immer wie du diesen Platz gefunden hast." Seine Stimme gleicht der flüssigen Schokolade, die zwischen dem Keks und dem erhitzten Marshmallow platz gefunden hat. Es lässt mich voller Freude noch breiter lächeln. Henry lässt sich neben mir nieder, seinen Arm um mich geschlungen, seinen Kopf auf meiner Schulter platziert. Sein Atem streift meinen nackten Hals, hinterlässt einen angenehm heißen Schauer auf mir. ,,Das wird wohl auf Ewig mein Geheimnis bleiben."
Ein stechender Schmerz durchfährt mich, wodurch sich meine Augen aufreißen. Ich bemerke erst zögernd, dass dies der Nachgeschmack eines gebrochenes Herzens ist. Und keiner ist Schuld, außer Charles. Er ist Schuld, dass wir alle das Gefühl kennen. Das Gefühl wie sich Splitter in unsere Herzen bohren. Das wir wissen, wer uns liebt, aber ebenso das wir wissen, dass Liebe keinen Platz in diesem Leben hat. Ich wische mir über meine Wangen, merke erst nun die Tränen, die ich vergossen haben muss.
Nur zögernd hebt sich mein Blick wieder und nur zögernd erkenne ich die Schemenhaften Umrisse einer Leuchtreklame. Sie konkurriert mit dem Sonnenaufgang. Ich vergesse all die Müdigkeit. Ich vergesse, dass Charles nicht einmal den Wohnwagen ohne Absicht dort hin platziert hat. Das er ihn extra dort hingestellt hat, damit ich genau in seine Arme laufe.
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Make Me Yours - Keep breathing
ChickLit•Abgeschlossen• Spin-off von He owns my World ❀ The beauty and the criminal ❀ Illusion ❀ Shattered Hearts "Atme Nevada." "Atme." • Das Buch handelt von und über Drogen und Alkoholkonsum, Gangs und Mafias, Manipulation, Intrigen innerhalb der Famili...