18.6

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Nevada

Genießerisch schließe ich meine Lider und atme seinen herben Geruch ein. Spüre seine Fingerkuppen auf meiner Schulter gleiten, bis hin zu meinem Arm. Ich lausche dem steten Klopfen seines Herzens, während sich die Gänsehaut auf seiner Brust weiter aufrecht hält. ,,Ich werde dich nicht in Ruhe lassen, dass sollte dir bewusst sein." flüstere ich leise in die Stille hinein. Seine Finger stoppen auf meiner Haut Muster zu malen. ,,Warum schweigst du so sehr?" ungläubig stütze ich mich an seiner Brust ab, blicke in sein Gesicht das sich wieder wie Wände abzuschotten versucht. ,,Henry."

"Weil du mich hassen wirst." die Worte kommen genauso erstaunt bei mir an, wie sie ihm über die Lippen glitten. Stöhnend streicht er sich durch sein Gesicht und weicht mir somit meinen Blick aus. ,,Wieso sollte ich dich hassen?" fassungslos schüttle ich meinen Kopf und schlinge die Wolldecke um mich, als ich mich aufrichte. ,,Du hast mich schon einmal gehasst Nevada." rechtfertigt er sich. Jedoch ist dies wohl ein Ausnahmezustand. ,,Erinnere dich daran, dass ich zum ersten mal einem Mörder in die Augen geblickt habe." augenrollend richtet er sich auf und greift nach seiner Kleidung. Meine Hand schlingt sich hektisch um seinen Arm, als er aufstehen möchte. ,,Hör auf immer weg zu rennen. Du möchtest mir die Wahrheit nicht sagen, weil ich dich hassen könnte. Aber was ist, wenn man kaum mehr Hass empfindet?"

Kopfschüttelnd reißt er sich aus meinem Griff heraus. ,,Das soll es also wieder sein? Zwei weitere Wochen schweigen wir uns an, um dann nach einem kurzen Wortaustausch miteinander zuschlafen?" schnippisch stemme ich mich aus dem Bett und betrachte Henry, welcher sich mir zudreht. ,,Du könntest die Zeit verkürzen, wenn du einfach nicht mehr dieses Thema betrachtest." Wut schnaubend versuche ich alle Kontrolle bei mir zu behalten, doch das Spitzbübische Grinsen das sich auf seine Lippen gelegt hat, lässt mich vor Zorn schäumen. ,,Wie kannst du bloß so sein! Was ist daran so schlimm zu reden?" meine Fäuste ballen sich zusammen, während sein grinsen sich in ein abfälliges schnauben verwandelt. ,,Warum ist es dir denn so wichtig, dass zu wissen?"

"Weil du mir wichtig bist, verdammt!"

Erstaunt ziehen sich seine Brauen nach oben, während ich bei meinen Worten zurück zucke. Wahrscheinlich ist dies das erste mal gewesen, dass ich überhaupt jemanden gesagt habe das man mir wichtig ist. Und Henry ist mir wichtig geworden, zu Zeiten zu denen ich keinen hatte. ,,Ist es das oder ist es weil du keine Kontrolle hast?" entgeistert klammert sich meine Hand fester um den Stoff der Decke. ,,Was willst du damit sagen?" ich versuche das Zittern in meiner Stimme zu untersagen, nicht zu zeigen und nicht zu präsentieren. ,,Du weißt nichts über mich, Nevada und das spricht gänzlich gegen deinen neu gewonnenen Charakter. Du musst alles wissen, jede Person kennen die in dem Leben deines Gegenübers war, jede Eigenschaft und wie diese entstanden ist. Du musst jeden kennen, um die Schwächen herauszufinden."

Ich habe kaum eine Ahnung wie ich auf die Anschuldigung reagieren kann. Wie ich überhaupt seine Worte verarbeiten kann. Sie fließen in mich, sie verteilen sich schmerzhaft. Sie fressen mich von innen heraus auf und hinterlassen den bitteren Beigeschmack der Enttäuschung.

"Wenn du sowieso die Wahrheiten über mich kennst, wieso hast du mich dann gerettet?"

Der Schauer gleitet kühl über meinen Körper, als ich seinen Blick auf mir vereist spüre. Als er sich wortlos umdreht und die Tür hinter sich zuschmeißt. Ich könnte schreien, ich könnte weinen über sein Stures Verhalten. Über seinen Zorn der in seinem inneren herrscht, der ihn jedesmal einnimmt, wenn er sich fürchtet, wenn er sich klein fühlt, wenn er sich machtlos fühlt. Und ich hasse mich selber dafür, dass seine Worte wahr sein könnten, dass ich mich von meiner Rolle im Untergrund bereits viel zu sehr einnehmen lassen habe. Das ich mich von alldem viel zu sehr habe einnehmen lassen. Ich möchte den Arg in mir nicht spüren. Ich möchte meine Gedanken nicht über das Leid anderer erfreuen lassen. Ich möchte nicht die Schwächen kennen, um mich Stärker zu fühlen, um mich abzusichern. Und ganz besonders möchte ich dies nicht bei Henry machen. Es wäre das letzte was ich ihm antun wollen würde. Nicht nach all der Zeit, wo ich versucht habe ihn zu ersetzten oder zu vergessen. Nicht nach all den Schlaflosen Nächten in denen er mir die Ruhe vergönnte, weil seine blauen Augen vor mir auftauchten. Weil ich zu dumm war, um ihn von mir fernzuhalten. Weil ich zu dumm war, um ihn nicht auf Ewig zu hassen, dafür was er tat. Weil ich zu Egoistisch bin, für all das, was ich tat. Ich bin ebenso eine Mörderin wie er. Ich habe mich ebenso auf das Niveau herunter gelassen. Ich habe mich ebenso in dieser Welt verloren wie er.

Noch immer fassungslos greife ich nach meiner Unterwäsche und der Kleidung, die nicht über meine Verbände reibt oder sich daran aufhängt. Doch mein Blick bleibt in dem Spiegel hängen. Ich erkenne den verrutschten Verband, der sich zu lockern beginnt. Ich erkenne die Blutkruste die sich über die Wunden der Peitsche gezogen hat. Und sie sind über meinen ganzen Rücken verteilt. Nur wenige Wunden sind vernäht worden, nur wenige haben überhaupt eine Chance richtig zu heilen. Die von Matthew zumindest gebe ich auf. Das Messer hat meine Haut zerstückelt. Sie hing nur in Fetzten an meinem Bein. Die Wiederhaken haben das Gewebe zerstört, sie haben mein Bein zerstört, sowie es Matthew eben wollte.

Ich zucke auf, als es an der Tür klopft und ich mir innerlich wünsche, dass es Henry ist, welcher sich zur Vernunft gebracht hat, doch sobald ich zu Connor blicke erkenne ich bereits seine Aufgabe. ,,Man hat euren Streit gehört." seufzend lasse ich mich auf dem Bett nieder und beginne den Verband von mir zu wickeln. ,,Er ist einfach dumm." gebe ich mürrisch von mir, was ihn schmunzelnd auf mich zu kommen lässt, um den Verbandskasten neben mich abzustellen. ,,Ich glaube er hat einfach Angst. Du solltest wissen, dass nicht einmal Edward über seine Vergangenheit bescheid weiß." Kopfschüttelnd ziehe ich meine Luft ein, als das Kühle an meinen Rücken gelangt und ich die Blutergüsse an meinen Rippen erkenne. ,,Es kann doch nicht so schlimm sein." verständnislos drehe ich ihm meinen Rücken zu, spüre seine kalten Hände die die beißende Creme auf all meine Schlieren verteilt und damit meine Tränen in meine Augen stechen. ,,Vielleicht nicht für dich, aber für ihn. Jeder muss entscheiden wie tief man seine Wunden wachsen lässt." seufzend lasse ich meinen Kopf über meine Schulter gleiten und erwische sein aufmunterndes Lächeln. ,,Wunden kann man heilen, man muss nur aufpassen das es keine Narben werden."

Mein Blick gleitet zu meinen Beinen. Ich hatte immer gedacht es gibt nur wenige, geringe unterschiede zwischen einem seelischen und einem körperlichen Schmerz. Doch ich wurde besseres belehrt. Körperlicher schmerz vergeht, auch wenn eben Narben übrig bleiben. Seelischer Schmerz vergeht erst, wenn auch die Narben fort sind. Aber dies ist eine Sache, an die ich bisher nicht einmal denken kann. Sie scheint zu weit fort, als das ich es ergreifen könnte.

Make Me Yours - Keep breathingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt