19.3

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Nevada

Montana

Der Schrille Ton über mir lässt mich zusammenfahren und hastig weiter gehen. Es ist warm. Es riecht nach Kaffee. Und ich fühle mich unwohl. Mein Gestank muss jeden in meiner Nähe bereits belästigen. Mein Anblick muss jeden Abschrecken.

"Miss, kann ich ihnen helfen." Missbilligend erscheint ein Mann mittleren Alters hinter der Rezeption. Er ist nicht einmal besorgt. Er muss mich für eine Obdachlose halten. Ich würde am liebsten schnauben, wer entscheidet sich freiwillig in Kanadas Pampa Heimatlos zu sein? Und selbst wenn hier sind nur Resorts oder Campingstellen, es gibt kaum eine Chance Obdachlos zu werden.

Mein Mund fühlt sich ausgetrocknet an, ich wüsste nicht einmal, was ich sagen sollte. Hat er ein Zimmer reserviert? Wartet er persönlich hier? Ist das mein Ende?

Ich könnte schreien und weinen, wenn ich überhaupt noch eine Flüssigkeit in mir hätte.

"Sie gehört zu mir."

Das ist unmöglich. Unfassbar. Ein Alptraum. Ich versteife mich sogleich, die Stimme an meinem Ohr zu mir durchdringt. Ich würde diese Stimme von tausenden wieder erkennen.

"Ich will sie immer mehr." Sein Raunen geht mit der schrillen Lache von Charles unter. Erschöpft sacke ich wieder hinunter, spüre den schmerzhaften Ruck, der durch mich hindurch gleitet, als ich jede Faser wieder zu entspannen versuche. ,,Du kriegst sie, wenn ich Antworten habe."

"Das ist ein Fehler." Ich drehe mich um. Blicke in das widerwärtige Gesicht des Mannes. Seine Haare sind nach hinten gegält, sein Körper steckt in einem ebenso schmierigen Anzug. ,,Ich habe auch besseres Erwartet." Säuselnd blickt er hinter sich, deutet einen weiteren Mann ein nicken an, wodurch dieser aufsteht und an uns vorbei geht. ,,Ich werde nicht mit dir gehen. Ich bin nicht durch diesen verschissenen Wald gelaufen, um dir in die Arme zu gehen. Wo ist Charles." Mit nur einem Augenaufschlag gleitet seine Aufmerksamkeit zu dem Rezeptionisten. Seine Mundwinkel zucken nach oben, bevor er seine Hand um meinen Arm schlingt und mich stolpernd nach vorne bringt. ,,So riechst du auch." Ich könnte schreien, weinen. Ich habe mit allem gerechnet, aber nicht mit dem Kopf des Menschenhandels. ,,Wer waren die Menschen im Wald?"

Vorsichtig blicke ich über meine Schulter, als er mich die Treppe hinauf stößt. ,,Eine Prostituierte, die ich nicht los wurde und der Besitzer des Wohnwagens." Ohne weiters beuge ich mich vor und übergebe mich. Der Hoodie war bereits davor von meiner Kotze befallen, doch diese ist neu. Ich werde gegen die Wand geschlagen. Ich werde wieder an meinen Arm gepackt. Ich werde wieder auf die Beine gezerrt.

"Eine ziemliche Veränderung Nevada Davis. Noch bei Charles warst du stark und nun bist zu gebrochen." Mein Hals brennt. Meine Tränen brennen, doch es kommt keine. Ich kann nicht weinen.

"Du hast drei Stunden Zeit, dich fertig zu machen." Mir erstreckt sich ein Doppelbett, sowie einen rauschenden Fernseher. ,,Dann verlassen wir Montana." Fassungslos zucken meine Brauen zusammen, doch er lässt mir keine Chance zu denken. Die Tür fällt mit einem lauten Knall ins Schloss und er schubst mich unsanft auf das Bett. Ich kann mich nicht einmal dagegen wehren, dass er mir den Pullover überzieht, dass sich mein eigenes Erbrochenes an meiner Wange und an meinen Haaren abwischt. Ich kann mich nicht dagegen wehren, dass er meine Hose auszieht, meine Unterwäsche. Mir tut alles weh. Besonders da ich nun liege, selbst wenn er mich wieder auf die Füße zerrt und in die Dusche stellt. Und ab diesen Moment, habe ich kaum mehr eine eigene Vorstellung oder ein eigenes Handeln. Ich denke bloß an diese blauen Augen.

Das kalte Wasser fließt über meinen Körper, der Schmutz löst sich Schicht um Schicht. Es scheint mich befreien zu wollen, doch es bewirkt das Gegenteil. Die Luft erreicht meinen Körper, lässt ihn erzittern, erbeben. Das Wasser scheint mich wecken zu wollen, meine Augen reißen sich auf und meine Hände beginnen sich gegen die Brust zu stemmen, welche mich noch immer unter dem Strahl gefangen hält. Das Wasser stoppt. Die Kühle erreicht mich gänzlich, bis mir ein Handtuch entgegen geworfen wird. ,,Creme dich ein und putz dir deine Zähne. Die Tür bleibt auf." Er beachtet mich nicht einmal weiter, wofür ich ihm fürs erste Dankbar bin. Ich schlinge mit zitternden Fingern das Handtuch um mich und steige aus der Dusche.

Timothy hat sich in den Sessel niedergelassen. Seine Augen sind starr auf mich gerichtet, während seine Finger die qualmende Zigarette umfassen. Der Rauch verteilt sich in dem Zimmer und gelangt selbst in das Bad. Er schnürt mir den Hals zu. Hastig schüttle ich den Kopf und trete aus sein Sichtfeld, um das Bad anzuschauen. Es befindet sich kein Fenster hier drinnen, nur die pfeifende Röhre an der Decke spendet ein wenig künstliches und grelles Licht. Es bringt mir Kopfschmerzen. Meine Hände stützen sich auf dem Waschbeckenrand ab, meine Augen erfassen sich im Spiegel. Das grau meiner Iriden ist fort. Der Glanz gebrochen und verschwunden. Sie sind glasig, meine Haut fad und blass. Voller Wunden die mir der Wald zugezogen hat. Aber auch von dem Stoß von Timothy auf der Treppe. Ich kann kaum glauben, dass ich das bin. Das ich dieses Wesen vor mir bin, dass mich so anstarrt. So fremd. So verloren.

Seufzend greife ich nach der Creme neben dem Waschbecken. Ich möchte nicht einmal gehorchen, doch die leise Stimme in meinem Kopf flüstert über all die Tage bereits, dass sie wissen wo Henry, Connor und Liam sind. Das sie mich so oder so dazu bringen werden, das zu tun, was sie wollen. Und nachdem die Creme massiv auf meinem trockenen Körper eingezogen ist und ich meine Zähne mehrmals und ausreichend genug geputzt habe, um den Geschmack meines Erbrochenen loszuwerden, trete ich an die Tür. Sein Mundwinkel zuckt nach oben, seine Augenbraue ist erhoben und legt seine Stirn in Falten. ,,Wir sind in Montana?" Ich erschrecke selber vor meiner Stimme. Sie ist kratzig, leise und... gebrochen. ,,Du hast gestern die Kanadische Grenze überquert. Die Wälder unterscheiden sich nur bedingt."

Ich bin teils sogar überrascht, dass er mir überhaupt eine Antwort gibt. Er nickt ohne Worte auf das Bett, wodurch mir erst nun das Outfit bewusst wird. ,,Werde ich-" Ich breche ab und hole weiter tief Luft. ,,Was ist meine Aufgabe?" Die Frage erscheint mir nicht allzu direkt wie die, die in meinem Kopf herum irrt. ,,Hör auf Fragen zu stellen und zieh das an." Herrisch lässt er die Zigarette auf den Boden gleiten. Die Asche bohrt sich in den Teppich, er wird schwärzer bis Timothy nach der Flasche greift und das Wasser darauf gleiten lässt.

"Zieh dich an." Wiederholt er ruhig. Ich greife nach der Kleidung und drehe mich wieder um. ,,Hier." Fassungslos blicke ich über meine Schulter. Sein angedeutetes Lächeln wird zu einem richtigen Lächeln. ,,Nein." Gefasster kralle ich meine Finger in die Fetzen des Stoffes.

Lachend erhebt er sich aus dem Sessel. Ich habe das Gefühl zu ersticken, je näher er kommt. ,,Ich bin erleichtert, dass du das sagst." Aus seinem Jacket holt er wenige Fotos die er neben mir auf das Bett wirft. Ich verstehe erst nicht, bis sich diese blauen Augen in mein Gedächtnis bohren. Sie ist das Ebenbild von Henry. Nur ihr Haar ist goldener, als seines. Aber ich habe noch nie so gleiche Augen gesehen. Noch nie das gleiche Funkeln. Das gleiche Feuer, wie er es in sich trägt. ,,Henry Thompson wäre wohl der erste der davon mitbekommt, dass seine Schwester am helligsten Tag erschossen wurde." Fassungslos gleiten meine Augen zu ihm. ,,Und zwar von uns persönlich, mit der Mitschrift, dass du absofort über ihr Leben entscheidest. Beweise deine Liebe, Nevada. Das ist es immerhin, was dich sowohl binden, als auch erlösen wird."

Was für ein krankes Spiel.

Make Me Yours - Keep breathingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt