18.7

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Nevada

Die Schneeflocken beginnen sich aus den weißen Wolken zu lösen, sie fallen wie sanfte Kristalle durch die schneidend, kalte Luft. Sie sammeln sich auf dem Boden, auf den Zweigen der Tannen, sie sammeln sich in dem Tal, legen eine Schicht aus der weißen Masse auf den Boden nieder und verdecken die Spuren der Tiere. Des Sommers. Der gefallenen Blätter und Gräser. Der eingegangen Blumen. Sie machen es unkenntlich. Sie machen es unsichtbar. Ich wünschte sie könnten sich über mich legen, wie sie es mit der Natur machen. Ich möchte unsichtbar sein, unkenntlich. Ich möchte weder gesehen, noch gefunden werden. Und doch lausche ich jedem knacken, dass von den Dielen des Hauses kommt. Ich lausche jedem Glas, dass aneinander geschlagen wird. Ich lausche jedem Atemzug, der in diesem Haus gemacht wird. Ich schaffe es nicht einzuschlafen ohne meine Waffe zu kontrollieren. Ohne sie erneut anzusehen und mich mit ruhigem Gewissen nieder zu legen. Ich schaffe es nicht, überhaupt ruhig zu schlafen. Weder wegen meinen Erinnerungen, die wie Blitze in mich einschlagen und zu vernichten versuchen, noch wegen all der Wunden die mich unruhig herum wüten lassen. Aber besonders nicht, wegen der Kühle die mich jede Nacht ereilt. Nicht wegen des Mondes, der mit seinen eisigen Farben das Zeitgefühl aus den Zimmer zieht. Nicht wegen der Nacht, die mich im dunkle zurück lässt.

Nur wegen des kalten Bettes neben mir. Eine kahle Seite, die eine leere in mir wieder zurück kehren lässt, die ich eigentlich zu überwunden gehofft hatte. Ich hatte mir kaum mehr vorstellen wollen, wie sich das Herz anfühlt. Alleine und aus Blei. So alleine, dass es kaum mehr ertragbar ist. Und dabei sind wir uns näher als jemals zuvor. Nur für wie lange.

Mühsam drehe ich mich auf meinen Rücken, spüre das ziehen, den Druck der auf meinen Wunden lastet, der auf meinen Schultern lastet, während ich meine Augen auf das Gesicht fixiere. Auf seine Züge. Auf seine Falten, die sich selbst in seinem Schlaf bilden. So zornig und verbittert. Ich schätze das dies am besten zu ihn trifft. Verbittert. Er besitzt mehr angst und Hass vor sich selber, als vor irgendjemanden selbst. Sein Spiegelbild ist sein größtes Graus und es zerreißt mich, dies mitansehen zu müssen. Es zerreißt mich, dass er nicht redet und das er ständig versucht zu vergessen.

Aber ich schätze das tun wir alle. Wir vergessen alle, um uns nicht an unsere Taten zu erinnern. Denn diese sind meist die schlimmsten. Wir vergessen, um uns nicht an die Ader des Menschen zu erinnern, die wir nunmal sind. Wir sind Menschen und aus diesem Grund, verhalten wir uns schrecklich, barbarisch und so fremd. Wir beginnen uns damit herauszureden, dass unsere Umstände uns zu dem machen, wer wir sind. Aber jeder hätte sich doch bereits anders entscheiden können. Ich hätte mich anders entscheiden können.

Ich hätte lieber Tod sein sollen, als all die Unruhe anzustiften.

"Hör auf sowas zu behaupten." erschrocken blicke ich den blauen Augen entgegen, die sich so distanziert und warm zugleich anfühlen. Die mein Herz trotzdem in Töne schlagen lässt, die ich für vergangen gehalten habe. Seine Hand schlingt sich um meine Wange, seine Berührung auf meiner Haut löst Hitzewallungen, Stromschläge und zeitgleich schmerzen aus. ,,Ich möchte nicht mehr streiten, Henry." hauchend schließe ich meine Augen, merke wie die Finger auf meiner Haut intensiver wahrgenommen werden. Wie ich sie intensiver wahrnehme. Ihre Sänfte spüre, ihre Leichtigkeit, die mir eine Gänsehaut verursacht. ,,Ich möchte nicht mehr denken, nicht mehr den Schmerz fühlen, ich möchte nicht mehr Überleben." unser Atem ist das einzige was in dem Raum ein Geräusch von sich gibt. Nicht einmal meine Wörter schaffen es ihn zu übertönen. Nicht einmal mein Herz schafft es ihn zu überdecken, als ich meine Augen wieder öffne. ,,Ich möchte Leben. Unbeschwert. Ich möchte Lieben. Furchtlos. Ich möchte Lachen. Ehrlich. Ich möchte etwas, was ich für selbstverständlich gehalten habe. Ich möchte etwas, was so viel Kostet. Aber ich würde es niemals nehmen, wenn du es nicht auch nehmen würdest."

Make Me Yours - Keep breathingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt