20.1

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Nevada

„Ich habe eine Salbe." Sie schließt die Tür hinter sich und betrachtet mich mit einem zerknitterten Ausdruck. Sie mag meinen Anblick nicht. Ich mag ihn genau so wenig, doch die Schmerzen sind schlimmer. „Ich habe sie entwenden können." Fügt sie noch leise hinzu, ehe sie mich auffordert den Mantel auszuziehen. Über meinen Rücken ziehen sich die verschmälernden Farben. Das Grün und das Gelb verschmelzen und verlaufen ineinander und ziehen sich über meine Rippen. „Hat es aufgehört zu bluten?" Ich schüttle ernüchternd meinen Kopf und möchte bereits nach dem Pflaster greifen, um es aus meinem Gesicht zu ziehen, doch sie hält mich auf. „Es tut jeden Tag mehr weh." Krächze ich heiser. „Halte einfach durch, Nevada." Seufzend schlinge ich meine Arme um meine eingezogenen Beine und atme die zittrige Luft aus. Wimmernd beiße ich mir fester auf meine Lippe und lasse den Schmerz durch mich gleiten, als sie die Creme auf meinen Rücken verteilt. Ihre Worte gehen in meiner Halb-Ohnmacht unter. Ich halte durch. Ich schaffe das. Ich halte durch. Ich schaffe das. Irgendwie.

„Und nun komm."  Sie zieht mir den Mantel wieder über meine Schultern und nickt zur Tür. Die Dunkelheit wird ein Teil von uns, als wir langsam wieder in Richtung der Eingangshalle gehen. Meine Augen werden groß, als ich hinunter blicke und den Sohn von Charles erblicke. „Was tut er hier?" Ratlos ziehe ich meine Braue hoch und mustere Gwen die ihre Arme vor ihrer Brust verschränkt. „Er wohnt mit diesem Mädchen hier. Charles hat sie aufgenommen." Fassungslos schüttle ich meinen Kopf. „Wir sind bei Timothy."
„Nein, Nevada. Wir sind bei Charles in dem Haus. Timothy kümmert sich lediglich um die Frauen hier, damit Charles das nicht zu tun hat."

Die Magensäure erkämpft sich immer weiter hinauf, welche ich nur mit Mühe unten halten kann. Erst nun realisiere ich das gesagte von Gwendolyn, wodurch mein Kopf wieder nach unten zur Tür schießt. Und tatsächlich dort steht sie. Sie sieht ihm so ähnlich. Alleine ihre blauen Augen, die sich so unschuldig in diese Welt bohren, die sich so sehr an Black klammern. Meine Beine machen sich selbsttändig, ich möchte rennen. Ich möchte sie anflehen, mich gehen zu lassen. Ihn zu suchen. Ihm zu sagen, dass ich ihn liebe, dass er sie liebt. Ich möchte ihr so viele Dinge entgegen schreien, doch alles verstummt, als sich eine Hand auf meinen Mund legt und mich aufhält. Sie hält mich auf, meiner Freiheit entgegen zu kommen. Sie hält mich auf ihm entgegen zu kommen. Schluchzend knicken meine Beine unter mir fort, bringen mich zu Boden und lassen mich wimmernd verkrampfen. Es schmerzt. Es schmerzt so sehr, dass ich nicht sagen kann, wo es pocht. Wo ich der Ohnmacht nahe bin. Die Erschöpfung hat sich selbstständig gemacht. Sie pumpt das Blut durch mich hindurch und zieht jede Kraft aus mir heraus. Es ist nur noch ein Gedanke existent. Ein einziger, der mich am Leben hält. Der mich glauben und hoffen lässt, so wie er es wollte. So wie er es mir gesagt hatte. Und ich halte mich dran. Oh, ich versuche es doch so sehr, aber mit jedem Tag der vergeht, schwindet sein Bild vor meinen Augen immer mehr. Und es ist alles was ich tun würde. Es ist alles was ich ein letztes Mal in meinem Leben machen würde. Ihn sehen. Nur ein einziges Mal.

„Beruhige dich. Nevada. Bitte beruhige dich." Ihre Finger fahren über meinen Kopf, während sich ihre Arme weiter um mich schlingen. Ich versuche es. Ich versuche es wirklich, doch es geht nicht. Ich weine, vor lauter Verzweiflung, vor Schmerz, vor Kummer und Sorgen. Ich weine, weil es gefühlt das einzige noch ist, womit ich mich nicht verliere.

„Iss was." Ich vergrabe meine Hände unter meine Beine und starre weiter auf das ausgekühlte Essen. „Du brauchst das, wirklich." Ich schüttle ernüchternd meinen Kopf und lehne mich ein Stück nach hinten, ohne das mein Rücken die Stuhllehne berührt. „Du weißt, dass ich gleich los muss." Heiser versucht sie mich zum aufsehen zu bringen, doch ich möchte nicht. Ich möchte mich weg schließen und nie wieder hervorkommen. Und wie erwünscht beginnen die Stuhlbeine über den Boden zu schaben. Sie steht auf. Timtohy hatte irgendeinen Mann für sie, wodurch sie den Rest des Abends nicht an meiner Seite sein wird. Wahrscheinlich besser. Es gab schon bessere Tage für mich, um als Gesprächspartner zu dienen.

„Iss wenigstens ein bisschen was." Seufzend entfernt sie sich von mir, sodass ich endlich wieder alleine bin. Mein Kiefer beginnt aufeinander zu mahlen, meine Hände bilden Fäuste unter meinen Beinen. Mein Körper beginnt unter den Schmerzen an zu pochen, doch ich vermag nicht aufzuhören.

Sei der Sturm, waren seine Worte auf der Flucht. Sei der Sturm. Sei das vor dem sich jeder fürchtet. Sei das, was niemals durchschaubar ist. Unwillkürlich zucken meine Mundwinkel nach oben, als ich langsam aufstehe und in mein Zimmer gehe. Die Tür fällt ins Schloss, worauf ich das Stück Holz vom Boden aufhebe und gegen den Spiegel werfe. Die Scherben klirren durch den ganzen Raum, verteilen sich auf den Teppich und springen gegen meine nackte Haut. Ich ignoriere die weiteren Wunden, die ich mir zu ziehe. Ich ignoriere die schwarzen Punkte, die sich auf meinem Auge breit machen. Die Dunkelheit herrscht in mein Zimmer, als ich eine Scherbe von dem Regal nehme und mir das Lachen nicht verkneifen kann, sobald die Dunkelheit von einem Lichtstrahl der Tür unterbrochen wird. Meine Augen kneifen sich zu, meine Hand schafft die gezielte Übung, bevor der anfängliche Protest des Mannes erstirbt. Sein Blut quillt aus seinem Hals, er beginnt sich röchelnd auf dem Boden zu werfen, wodurch ich ihm die Scherbe ins Herz ramme.

Sei der Sturm und sorge für Chaos.

Make Me Yours - Keep breathingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt