1. Kapitel

2.3K 140 45
                                    

Silber fließt an mir herunter und die Seide umschmeichelt meine Haut. Bisher hatte ich mir diesen Tag märchenhaft vorgestellt, der Beste in meinem Leben, doch nun, wo er hier ist, geschieht alles ganz anders, als ich dachte. Langsam hebe ich meine Augen und blicke in den körpergroßen Spiegel, der an der Wand hängt. Das Kleid ist schlicht gehalten und schimmert im Mondschein, der durch das Fenster kommt. Meine weißen Haare sind ordentlich hochgesteckt, so das keine Strähne an der falschen Stelle liegt und hier und da blitzt ein kleiner Edelstein auf, während ich mich drehe und bewundere. Doch am erstaunlichsten ist mein Gesicht. Normalerweise schminke ich mich nie und umso größer ist der Unterschied, wenn ich dann mal Make-up auflege. Meine Lippen glänzen in einem leichten Rotton und meine sonst eher blasse Haut wirkt auf einmal kräftiger. Am schönsten aber sind meine Augen. Sie sind schwarz umrandet, sodass das Grün mit den Sternen am Nachthimmel um die Wette leuchtet, jedoch ab und zu auf ein undurchdringbares Grau trifft. Für gewöhnlich habe ich meine Augen immer gehasst, fand sie sogar hässlich und habe andere Leute um ihre blauen oder braunen Augen bewundert. Doch heute bin ich nicht in der Lage, meinen Blick von ihnen abzuwenden. Was Kilian jetzt wohl macht? Ohne, dass ich es verhindern kann, schweifen meine Gedanken zu meinem Mate, meinem Seelenverwandten ab und ein schmerzlicher Stich durchfährt mein Herz.

„Es ist richtig, was ich hier mache", versuche ich mich, zu überzeugen. Es ist richtig, weil er sich somit nicht zwischen mir und seinem wahren Rudel entscheiden muss.

„Adriana", reißt eine Jungenstimme mich aus meinen Gedanken und eine Person taucht ein paar Meter im Spiegel hinter mir auf. Mit einer schnellen Handbewegung wische ich mir die Träne aus dem Augenwinkel. Gnade mir Luna, sollte ich das Make-up vor der Zeremonie zerstören, Mary würde mich umbringen.

„Was ist, Niklas?", frage ich ihn mit fester Stimme, nur um nicht schwach zu wirken. Ich mustere den Jungen durch die reflektierende Glasfläche, den ich heute zum ersten Mal im Anzug sehe und kann nicht leugnen, dass er gut aussieht und auch sonst ist er nicht wirklich unattraktiv. Ich muss lachen, als ich mir Gedanken über Niklas's Aussehen mache, da so etwas für mich noch nie sonderlich wichtig war. Bisher hatte ich immer eher einen Bruder in ihm gesehen, nicht den gutaussehenden Burschen, in den man sich verlieben könnte. Doch ich weiß jetzt schon, dass ich immer nur den Ersteres in ihm sehen werde.

„Es ist alles soweit. Bist du sicher, dass du das machen möchtest?", erkundigt Niklas sich nochmal bei mir. Ich straffe nochmal die Schultern und drehe mich zu ihm um.

„Ja, ich bin mir sicher." Nach meiner Antwort nickt der Braunhaarige einfach nur nachdenklich und ich hake mich bei ihm unter. Gemeinsam verlassen wir die Hütte und folgen dem Weg entlang zum Zeremonienort.

Immer wieder spüre ich kleine Steinchen unter meinen nackten Füßen, doch ich ignoriere sie. Seit jeher sind Schuhe bei dieser Zeremonie verboten und ich habe auch nicht vor, diesen Brauch zu brechen. Schließlich nähren wir uns dem Ort immer mehr und so langsam warten am Rand des Weges auch ein paar Leute, denen ich lächelnd zunicke. Nicht lange und hinter mir und Niklas an sich eine Menschenmenge angesammelt, die uns folgt. Schließlich erreichen wir einen kleinen Platz, der von Fackeln umrahmt wird. Dort warten noch mehr Menschen auf uns, viele schick angezogen. Langsam machen sie uns Platz und ich folge dem Weg bis zur Mitte des Platzes, wo ein kleiner Pavillon aufgebaut ist. Langsam lässt Niklas mich los und die restlichen Schritte gehe ich alleine, bis ich neben Scott stehen bleibe. Er wirft mir einen kurzen Blick zu, während ich wieder über mein Symbol am Handgelenk streiche, ehe er meine Hand in seine nimmt und drückt. Dankbar lächel ich ihn an, glücklich darüber, dass er mich so gut kennt und immer zu mir hält. Der Mann, der uns gegenüber steht, räuspert sich und wir beide, so wie die Menschenmenge, richten unsere Aufmerksamkeit auf ihn.

„Wir sind heute hier zusammengekommen", beginnt er mit den traditionellen Worten, „Um das Vereinigungsritual zwischen diesen beiden Menschen zu vollziehen. Selbst, wenn unserer Mondgöttin Luna, sie nicht füreinander ausgewählt hat, so haben diese beiden Menschen zueinander gefunden und sich dazu entschieden, ihr Leben zusammen zu verbringen. Möge Luna euch vollgesinnt sein und eure Zukunft und Liebe unter einen guten Stern stellen." Feierlich wiederholt die Menschenmenge den letzten Satz. Doch für mich sticht nur ein Wort heraus. Liebe. Empfinde ich Liebe für Scott? Genau wie Niklas, war Scott für mich immer wie ein großer Bruder, ein guter Freund, der immer für mich da war. Ich liebe ihn, wie man seinen Bruder oder seine Schwester liebt, aber auch nicht mehr. Erst jetzt stelle ich mir die Frage, ob ich vielleicht ein bisschen überstürzt handel. Gibt es dort draußen vielleicht jemanden, den Scott anfangen könnte zu lieben und ich zerstöre hier in diesem Moment seine Zukunft? Nur mit Mühe kann ich die Zweifel davon abhalten, die Oberhand zu gewinnen und höre auch gar nicht mehr dem Mann zu, wie er weiter den Vorschriften des Rituals folgt. Ist das hier wirklich der richtige Weg? Werde ich damit vielleicht auch Kilian's Leben zerstören? Zum wiederholten Mal spüre ich einen schmerzlichen Stich in meinem Herzen. Doch ich weiß, dass ich es mir nie verzeihen könnte, wenn Kilian wegen mir alles hinter sich lassen müsste und genauso wenig kann ich weiter mit dem Schmerz leben, den die Trennung zu ihm verursacht. Gleichzeitig bin ich mir auch sicher, dass Scott sich den Folgen dieses Rituals bewusst ist. Er weiß, dass wir nach diesem Ritual mit einander verbunden sein werden. Wir beide werden von der Verbindung zu unseren alten Mates gelöst und zwischen uns beiden wird ein Band geflochten, dass fast so stark ist, wie das Band der Mates.

„Seid ihr beide bereit, eurer altes Band zu durchschneiden und ein neues Band zu knüpfen?", fragt der Mann uns. Scott wirft mir einen kurzen Blick zu, in diesem kann ich seine Unsicherheit deutlich erkennen. Zögernd, was ich tun soll, stelle ich meine Möglichkeiten gegenüber. Auf einmal weiß ich gar nicht mehr, was ich tun soll und schaue mich um, einfach nur in der Hoffnung, dass mir irgendeine Idee kommt, ein Zeichen, welche Richtung ich nehmen soll. Doch stattdessen blicke ich in die Augen, der umstehenden Leute, die erwartungsvoll zu mir hinaufsehen und mich als die starke Alpha kennen. Die Alpha, die immer weiß, was sie tut und bisher nur selten in die Knie gezwungen worden ist. Doch würden sie mich immer noch so sehen, wenn ich es nicht schaffe, hier oben stark zu bleiben, wenn ich hier oben nun an meine Grenzen stoße, weil ich es nicht schaffe, eine einzige Entscheidung zu treffen? Ich zögere immer noch, während der Mann und die Personen um mich herum, mich erwartungsvoll anblicken. Langsam kann ich Unsicherheit und Erstaunen in den Gesichtern erkennen.

„Der Alpha ist nicht einfach nur ein Vorbild für sein Rudel. Sie richten sich nach ihm. Ist der Alpha ängstlich, ist das Rudel auch nicht mutiger. Ist der Alpha traurig, trauert das Rudel mit ihm und ist er unsicher, weiß auch das Rudel auch keine Antwort. Deswegen sollte ein Alpha immer stark sein. Denk immer daran, wenn es soweit sein sollte", ertönt die Stimme von Pa, meinem Ziehvater in meinem Kopf. Selbst, wenn er schon lange tot ist, so verfolgen mich seine Ratschläge immer wieder. Aber bevor ich eine Entscheidung treffen kann, ertönt ein Heulen in der Nähe und alle drehen sich in die Richtung, aus der es gekommen ist. Da so gut wie jeder aus dem Dorf hier ist, kann es sich dabei nur um einen Fremden handeln, entweder Freund oder Feind. Einer der Männer kurz vor mir, ein sogenannter Iota, ein Kämpfer, wie ich weiß, zieht ein Messer aus seinem Gürtel, bereit sein Rudel zu verteidigen, genauso wie jeder andere hier.

„Ruhe, wir befinden uns in einer wichtigen Zeremonie, hier soll kein Blut vergossen werden", hallt die Stimme des Mannes, der die Zeremonie leitet über den Platz. Er ist der Vertreter der Richter im Rat und der einzige, der befugt ist, diese Zeremonie durchzuführen. Doch kaum einer achtet auf ihn, jeder ist auf die Umgebung konzentriert. Schon fast keimt in mir die Hoffnung auf, dass Kilian hier ist, um mich zurückzuholen. Um mich davon abzuhalten, diese Entscheidung zu treffen. Allerdings zerspringt meine Hoffnung wieder, wie ein Glas, das auf den Boden fällt, als nach und nach mehrere Personen aus dem Wald in das Licht der Fackeln hinaustreten.

Der schwarze BetaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt