5. Kapitel

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Niklas

Als ich die Augen öffne, erkenne ich meine Umgebung sofort wieder. Ich befinde mich in einem Raum mit mehreren gleichaltrigen Kindern und aufgrund des Aussehens der anderen, weiß ich auch sofort, wo oder eher, wann ich bin. Jeder einzelne von uns ist im letzten Jahr zwölf geworden und nun zwei Tage vorm neuen Jahr steht uns unsere große Zeremonie bevor.

Die Erste, an die wir uns wirklich erinnern werden. Genau wie jeder andere bin ich schick angezogen und wahrscheinlich sogar noch nervöser als meine Eltern, was schon fast ein Ding der Unmöglichkeit ist. Vor Aufregung konnte ich heute kaum etwas hinunterbekommen und jetzt fällt es mir sogar noch schwerer, einfach ruhig auf meinem Platz zu sitzen, während ich das Geschehen um mich herum beobachte. Nach einigen Sekunden erregt eine laute Stimme meine Aufmerksamkeit, die ich überall wiedererkennen könnte, wenn ich nicht schon ohnehin wüsste, was jetzt passiert.

„Du willst Jägerin werden? Etwas Dummeres habe ich ja noch nie gehört." Ich höre ein lautes Schluchzen, erhebe mich von meinem Platz und kämpfe mich durch die wenigen Personen, die dem Ganzen zusehen. Schließlich fällt mein Blick auf Jordan, der auf das Mädchen ihm gegenüber hinabsieht. Heute wie damals kommt mir ihr Gesicht zwar bekannt vor, doch kann ihr keinen Namen zu ordnen.

„Hör auf." Meine Stimme klingt erstaunlich selbstsicher und bis heute frage ich mich, wie ich damals den Mund aufbekommen habe. Sofort stehe ich in der Mitte der Aufmerksamkeit.

„Niklas. Was willst du?" Jordan scheint alles andere als erfreut, dass ich mich in seine Angelegenheit einmische, denn schon seit einigen Jahren hat Scott mich unter seine Fittiche genommen und hat mir immer wieder geholfen, wenn Jordan mich einmal ärgerte. Das hier ist jetzt mein Moment, jemand anderen zu beschützen.

„Du sollst sie in Ruhe lassen, habe ich gesagt", wiederhole ich meine Worte mehr oder weniger und genau in dem Moment, als Jordan etwas erwidern will, fällt sein Blick auf eine Person hinter mich. Ich brauche mich gar nicht erst umzudrehen, um zu wissen, dass knapp hinter mir Scott steht. Aus diesem Grund besinnt Jordan sich eines Besseren und dreht sich um.

Nur langsam wenden die anderen sich wieder anderen Dingen zu und das Mädchen schenkt mir ein dankbares Lächeln, ehe sie sich wieder zu zwei anderen Mädchen gesellt. Ich spüre, wie Scott neben mich tritt, doch bevor wir beide ein Gespräch beginnen können, betritt der Zeremonienleiter den Raum und bittet uns nach draußen zu kommen.

Nun ist es also soweit, wir müssen nun die wichtigste Entscheidung unseres Lebens treffen. Wie allen anderen folge ich dem Mann hinaus auf den Platz, an dessen Rand schon viele Eltern und andere Rudelmitglieder sitzen.

„Bitte bleibt hier stehen, bis ich euch aufrufe", erklärt er uns, ehe er die Mitte des Platzes betritt und die Zeremonie mit den traditionellen Worten beginnt. Langsam betreten weitere elf Personen den Platz, jeder von ihnen steht für einen der Berufe, denn wir heute wählen müssen.

Immer, wenn einer von uns Kindern aufgerufen wird, treten meistens mehrere Vertreter der Berufungen vor, um zu symbolisieren, dass dieses Kind in diese Berufungen aufgenommen werden kann. Danach muss derjenige sich zwischen diesen entscheiden.

Schließlich werde auch ich aufgerufen und wie erwartet, treten erstaunlich viele hervor und augenblicklich schweift mein Blick zu Thea. Sie lächelt mich aufmunternd an, als sie ihren Schritt nach vorne macht, doch auch der Vertreter der Richter macht seinen Schritt nach vorne.

Augenblicklich umgreife ich die Taschenuhr in meiner Hand fester, sie ist ein altes Familienerbstück und meine Eltern haben sie mir heute Morgen erst gegeben. Genau, wie unzählige Familienmitglieder vor ihnen, sind auch sie Heiler geworden und das Gleiche wird auch jetzt von mir erwartet.

Leider hat mich der Beruf des Heilers noch nie wirklich interessiert, meine Liebe galt immer mehr dem Richter. Ich spüre immer noch Thea's Blick auf mir, während ich versuche, eine Entscheidung zu treffen. Sie ist die Einzige, der ich je von meinen Zweifeln erzählt habe. Meine Eltern würden nicht so begeistert davon sein, wenn sie von diesen Gedanken wüssten, aber Thea hatte erstaunlich mitfühlend reagiert und mir geraten, auf mein Herz zu hören.

Also höre ich auf mein Herz und genau in dem Moment, als ich den Schritt in Richtung des Vertreters mache, tauchen Bilder in meinem Kopf auf. Erinnerungen, die nach meiner Entscheidung hier geschehen werden.

Nach und nach spielt sich in meinem Kopf ab, wie die Beziehung meiner Eltern und mir immer mehr zu Bruch geht. Immer weiter entfernten wir uns voneinander und ich glaube, sie konnten es nie verkraften, dass ihr einziger Sohn nicht in ihre Fußstapfen getreten ist.

Doch kann ich für meine Familie, für meine Eltern, wirklich mein Leben aufgeben? Tag für Tag aufstehen und etwas machen, was mir nicht gefällt? Ohne, dass ich lange nachdenken muss, habe ich meine Entscheidung gefällt. Ich möchte Gerechtigkeit verbreiten und Personen, wie Jordan, aufhalten. Entschlossen setze ich einen Fuß vor den anderen, bis ich schließlich vor dem Vertreter der Richter zum Stehen komme.

Ich höre augenblicklich das laute Aufkeuchen meiner Mutter und auch mein Vater fängt an, mich wütend an zu starren. Doch ich kann nur aus dem Augenwinkel erkennen, wie Thea mir zulächelt, was mich nur noch mehr in meiner Entscheidung bestärkt. Plötzlich erstrahlt ein helles Licht.


Als ich die Augen wieder öffne, befinde ich mich nicht mehr auf dem Platz der Zeremonie, sondern in einem geschlossenen Raum, der fast ganz leer ist. Denn als ich langsam aufstehe, fällt mein Blick auf Scott, der auch auf dem Boden liegt und sich langsam aufrappelt. Doch noch bevor ich etwas zu ihm sagen kann, fällt mir etwas auf und mir stockt der Atem. Mitten auf dem Boden ist auf den Fliesen der gleiche Mond eingezeichnet, wie auf dem Baum.

„Hey, was is ...?" Doch auch Scott verstummt, als er aufgestanden ist und das Zeichen im Boden betrachtet.

„Komm, wir gehen hier erstmal raus", bemerke ich schließlich und gemeinsam verlassen wir das Haus, das von außen einem alten griechischen Tempel ähnelt.

„Wo sind wir hier?" Scott Verwunderung kann ich sehr gut nachvollziehen, als ich die schneebedeckte Landschaft um uns herum mustere. Die Bäume um uns herum verlieren ihre Blätter, wobei manche schon fast kahl sind, während andere noch ihre ganze Blätterpracht tragen.

„Mich würde viel mehr interessieren, wo die anderen sind", spreche ich meinen nächsten Gedanken aus und lasse meinen Blick weiter über die Umgebung schweifen.

„Keine Bewegung." Erschrocken drehen Scott und ich uns zu der Stimme um und hinter dem Haus tritt ein Junge, ungefähr etwas älter als wir hervor, während er einen Bogen auf uns gespannt hält.

„Lass die zwei in Ruhe, dass hier ist nicht dein Territorium", ertönt schon eine zweite Stimme, diesmal ein Mädchen, die auf unserer anderen Seite steht. Mit ihren braunen Augen starrt sie den anderen Jungen wütend an, der sich davon aber nicht einschüchtern lässt.

„Ich weiß, dass das Portalhaus zu keinem Territorium gehört, Alissa. Aber der eine gehört zu den Zetas." Mit einer Kopfbewegung deutet der Junge auf mich, wobei ich dem Gespräch nicht ganz folgen kann. Das Mädchen wirft mir einen kurzen Blick zu, ehe sie nickt und danach zu Scott blickt.

„Du kommst mit mir." Dieser kann mir nur einen fragenden und zugleich hilfesuchenden Blick zu werden, bevor das Mädchen seinen Arm ergreift.

„Scott und ich werden nicht voneinander getrennt", ergreife ich endlich die Initiative und werfe dem Mädchen einen entschlossenen Blick zu. Diese kann als Reaktion nur mit den Augen rolle, da ich mich damit anscheinend gegen die Regeln hier auflehne.

„Gut, du kannst gerne mitkommen, aber dann musst du das mit meiner Alpha klären und da wünsche ich dir viel Glück. Folgt mir einfach." Mit Schwung dreht sie sich um. Der Junge scheint erst widersprechen zu wollen, überlegt es sich dann aber doch anders. Während Scott und ich ihr folgen, kann ich auf ihren Lippen ein hinterhältiges Grinsen erkennen. Scott hingegen wirft mir ein aufmunterndes Lächeln zu, wobei wir beide keine Ahnung haben, was uns nun erwartet.

Der schwarze BetaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt