55. Kapitel

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Terence

„Vielen Dank." Mit einem Lächeln nimmt der fremde Mann die heiße Tasse Tee entgegen. Ich lasse mich währenddessen einfach nur gegenüber von ihm nieder. „Ich schätze mal, ich muss euch ein paar Erklärungen liefern, oder?" Der Mann sieht erst mich und dann Kate, die hinter mir steht, fragend an. Wir beide nicken einfach nur und ich sehe ihn erwartungsvoll an. Mittlerweile ist sein Gesicht gewaschen und er hat sich sogar den Bart abrasiert.

Ein ganz anderer Anblick, statt dem, der sich mir heute Morgen bot. Als wir den Kampf beendet hatten, sind Kate und ich wieder zu unserem Haus zurückgekehrt. Aber statt dem schwarzen Wolf, den Kate dort niedergeschlagen hatte, hat dieser Mann dort gefesselt gelegen.

„Mein Name ist Michael. Vor etwa einem Jahr haben diese Anfälle begonnen. Immer wieder verwandelte ich mich in einen schwarzen Wolf. In solchen Momenten konnte ich mich nicht kontrollieren. Die Mordlust, die ich immer gespürt habe, konnte ich kaum stillen. Immer wieder brachte ich Leute um und wenn ich mich dann zurückverwandelte, konnte ich mich an jedes kleine Detail erinnern. Jedes Gesicht, dem ich das Leben nahm. Jeder Schrei, der vor Schmerzen ertönte. Ich bin auf all das in keiner Weise stolz. Mit der Zeit wurden diese Anfälle immer häufiger, stärker und vor allem länger. Das ist das, was jeden einzelnen schwarzen Wolf ausmacht." Während er erzählt, gerät er immer wieder ins Stocken und gerade, als er von den Menschen erzählt, der er ermordet hat, kann ich mir vorstellen, dass das in keiner Weise leicht für ihn ist.

„Gibt es irgendwas, womit man die schwarzen Wölfe aufhalten kann?", nutzt Kate die Pause und blickt in interessiert an.

„Ich weiß nicht, ob es etwas gibt, womit man die schwarzen Wölfe ganz aufhalten kann. Aber manchen Wölfen gelingt es, ihre Anfälle bis zu einem gewissen Grad aufzuhalten oder sich dagegen zu wehren. Meistens haben sie noch etwas, was ihnen etwas bedeutet. Unser Anführer hat auch so etwas, zumindest munkelt man das. Er ist schon viel länger, als jeder von uns ein schwarzer Werwolf und verwandelt sich immer noch zurück."

„Ihr habt einen Anführer?" Erstaunt sehe ich ihn an. Ich weiß nicht, womit ich genau gerechnet habe. Vielleicht damit, dass sie reine Einzelgänger sind, aber nicht, dass sie einen Anführer haben.

„Ja. Wir funktionieren ähnlich, wie die meisten Rudel. Doch dadurch, dass wir uns auf der ganzen Erde verteilt haben, ist es uns auch noch möglich, dass wir in Gedanken kommunizieren können. Unseren Anführer habe ich nie selbst gesehen, meistens nimmt er immer nur so Kontakt mit uns auf."

„Weißt du denn, ob es irgendeinen Auslöser für diese Anfälle gibt, oder ist damals irgendwas passiert, was der Auslöser sein könnte?", hakt Kate weiter nach, scheinbar darauf bedacht, irgendwas Wichtiges herauszufinden.

„Ich weiß nicht, ob das der Auslöser sein könnte", der Mann gerat ins Zögern, als sei er sich nicht sicher, ob er das nun wirklich sagen will, „Aber kurz, bevor ich meinen ersten Anfall gehabt habe, ist meine kleine Schwester gestorben. Nach dem Tod meiner Eltern und meiner Mate vor mehreren Jahren ist sie die einzige richtige Familie gewesen, die ich gehabt habe und der wichtigste Mensch in meinem Leben." Er öffnet den Mund, als wolle er noch etwas sagen, doch schließt ihn dann wieder. In diesem Moment kann ich nicht anders, als Mitleid mit ihm zu empfinden, selbst, wenn er ein schwarzer Wolf ist und mich fast umgebracht hätte, so ist er doch immer noch ein Mensch. Wahrscheinlich kann ich sogar besser als die meisten anderen nachvollziehen, was er durchgemacht hat.

„Ist deine ... deine Schwester auf eine bestimmte Weise umgekommen?" Das Zögern in Kate's Stimme ist leicht erkennbar und mit aufgerissenen Augen drehe ich mich zu ihr um. Genau wie ich, muss sie sehen, dass es ihm nicht leicht fällt, über all das zu reden, und trotzdem fragt sie noch weiter nach? Normalerweise wäre sie die Erste, die dieses Gespräch beenden oder zumindest in eine andere Richtung lenken würde.

An der Art, wie sie an ihrer Unterlippe kaut, weiß ich aber auch, dass es ihr alles andere als leicht fällt. Dies ist einer der wenigen Momente, in denen es mir unergründlich ist, wieso sie jetzt so handelt. Ich richte mein Augenmerk wieder auf den Mann mir gegenüber. Er hat sein Gesicht in seinen Händen vergraben. Gerade, als ich ihm sagen will, dass er auf diese Frage nicht antworten muss, schlägt er seine Faust mit einem lauten Knall auf den Tisch. Die Tränen in seinen Augen sind deutlich sichtbar und ein Schluchzen entfährt ihm.

„Ja, verdammt. Es ... es ist ... meine Schuld." Die letzten zwei Wörter flüstert er so leise, dass ich sie gerade mal mit Mühe verstehen kann und erschrocken sehe ich ihn an. „Es war ein Autounfall. Ich bin gefahren. Ich habe aber nicht auf die Straße geachtet. Dabei hat sie mich die ganze Zeit ermahnt. Ich bin nur knapp mit meinem Leben davon gekommen. Sie ist hingegen direkt dort ... in meinen Armen gestorben." Während er spricht, wird er immer flüssiger, und zum Schluss scheint jeder Damm gebrochen zu sein. Er vergräbt sein Gesicht in seinen Händen, wahrscheinlich, um uns die Tränen nicht zu zeigen.

Wortlos reiche ich ihm ein Taschentuch, dass er, ohne aufzusehen, annimmt. In diesem Moment erinnert er mich viel mehr an ein Kleinkind, dessen Lieblingsspielzeug kaputt gegangen ist, als an einen erwachsenen Mann, der schon Menschen umgebracht hat. Ich werfe Kate einen besorgten Blick zu. An dieser Stelle sollte jetzt unbedingt sie übernehmen, da ich nicht sonderlich gut darin bin, andere Menschen zu trösten.

„Hey, Michael." Zum ersten Mal in diesem Gespräch löst Kate sich von der Wand, an der sie die ganze gelehnt hat und geht langsam auf den Mann. Unsicher hebt er den Kopf. Nur ein Blick auf seine geröteten Augen reicht, um zu sehen, dass er auf jeden Fall geweint hat. „Ich glaube nicht, dass du dir für den Tod deiner Schwester die Schuld geben solltest. Das hätte sie wahrscheinlich auch gar nicht gewollt. Ich bin mir sicher, sie hätte gewollt, dass du damit abschließt und noch ein wundervolles Leben führst. Ich würde mir das zumindest wünschen." Bei ihren letzten Worten wirft sie mir ein Lächeln zu und wieder einmal wird mir bewusst, wie sehr ich Kate liebe. Ich hätte niemals so einfühlsam und ruhig sprechen können, während es bei ihr scheint, als würde sie den ganzen Tag nichts anderes machen. Thea meinte einmal, Kate und ich würden uns perfekt ergänzen. Schon damals habe ich ihr zugestimmt und heute würde ich es wieder tun.

„Ich glaube, du hast Recht. Sie würde nicht wollen, dass ich mir die Schuld an ihrem Tod gebe." Mittlerweile hat der Mann sich wieder beruhigt und selbst, wenn er nicht lächelt, so kann ich doch erkennen, dass Kate's Worte ihm geholfen haben. Ich werfe Kate einen fragenden Blick zu, da ich mir unsicher bin, ob ich wieder mit ihm über die schwarzen Wölfe reden kann. Auch ohne Worte versteht sie, was ich will und nach kurzem Zögern nickt sie. Wenn es darum geht, mit Menschen richtig umzugehen, bin ich immer wieder froh, sie an meiner Seite zu haben.

„Gibt es noch etwas, was du uns über die schwarzen Wölfe erzählen kannst, was uns vielleicht helfen könnte?"

„Ich weiß es nicht. So viel verstehe ich nicht von all dem", gibt er nach einigen Sekunden eine Antwort. Enttäuscht nicke ich einfach nur, ich habe eigentlich gehofft, irgendwas zu finden, womit man sie aufhalten kann.

„Du hast eben erzählt, dass ihr einen Anführer habt, oder? Kannst du uns vielleicht noch etwas zu ihm sagen?", erkundigt Kate sich bei ihm hoffnungsvoll.

„Ich habe ihn zwar nie selbst getroffen, allerdings kann ich euch sagen, was man unter den schwarzen Wölfen über ihn redet." Erwartungsvoll sehen Kate und ich ihn an und in diesem Moment kehrt meine Hoffnung zurück. „Ein hochrangiger Wolf hat mir mal erzählt, dass er nicht irgendein Werwolf sei, sondern ein weißer Wolf."

„Ein weißer Wolf?", wiederhole ich überrascht seine Worte.

„Ja, Celio, der Beta des damaligen weißen Rudels."

Der schwarze BetaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt